Süddeutsche Zeitung

Raumfahrt:Der Farbfernseher

Am Freitagabend ist der neue deutsche Umweltsatellit "Enmap" gestartet. Er soll bislang ungeahnte Einblicke liefern - und das von jedem Punkt der Erde.

Von Alexander Stirn

Nach fast 20 Jahren der Planung und Entwicklung soll ein deutscher Umweltsatellit nun endlich die Welt von oben sehen. Enmap, so der Name des knapp eine Tonne schweren Spähers, ist am Freitagabend von Cape Canaveral aus an Bord einer Falcon-9-Rakete von Space-X ins All gestartet. Fünf Jahre lang soll er nun aus dem Orbit die Wasserqualität von Seen überwachen, Nährstoffmangel und Schädlingsbefall bei Pflanzen erkennen und Mineralien in Böden ausmachen. All das mit einem besonders feinen Blick.

Denn Enmap ist ein sogenannter Hyperspektralsatellit, der erste, den Deutschland ins All schicken will. Während die Sensoren in handelsüblichen Digitalkameras die Welt in drei Farben sehen - in Rot, Grün und Blau - und daraus ihre Bilder errechnen, soll Enmap 242 einzelne Farbtöne wahrnehmen können. Die Schattierungen entstammen dabei sowohl dem sichtbaren Licht als auch dem fürs menschliche Auge nicht zu erkennenden Infrarotbereich, der sich direkt daran anschließt.

Diese Vielfalt an Farbtönen ist Enmaps großes Plus. Sie verspricht bislang ungeahnte Einblicke in die Vorgänge auf der Erde: Jedes Material an der Oberfläche - egal ob Pflanzen, Böden, Gesteine oder Gewässer - reflektiert das einfallende Sonnenlicht auf ganz besondere Weise. Manche Farbtöne werden dabei verschluckt, es entsteht ein jeweils charakteristischer Fingerabdruck im reflektierten Licht. Enmap, der etwa 650 Kilometer hoch über dem Erdboden unterwegs sein soll, fängt diese reflektierte Strahlung auf und zerlegt sie in seine 242 Kanäle. Je nachdem, welche Sensoren dabei wie stark anschlagen, erlaubt das Rückschlüsse auf den Zustand der beobachteten Materialien am Boden.

Alle 27 Tage kommt "Enmap" an jedem Punkt der Erde vorbei

Enmap kann dadurch nicht nur erkennen, welche Pflanzen auf einem Acker angebaut werden, sondern auch, wie es um deren Nährstoffversorgung steht, ob sie unter Wassermangel leiden oder ob ihnen die Luftverschmutzung zusetzt. In Seen oder Küstengewässern soll der Satellit aufdecken, welche Schadstoffe im Wasser gelöst sind, und ob Algen oder Schwebstoffe dem Gewässer zusetzen. Dadurch, so die Hoffnung des Enmap-Teams, müssten nicht mehr so viele Wasserproben entnommen werden. Auch Waldflächen soll der Satellit aus dem All beobachten und frühzeitig Schädlingsbefall oder Wasserstress entdecken.

Alle 27 Tage überfliegt Enmap jeden Punkt der Erde. Durch absichtliches Drehen seiner Hyperspektralkamera und damit verbundene seitliche Blicke lässt sich dieses Intervall auf vier Tage verkürzen - zum Beispiel bei Naturkatastrophen, wo möglichst aktuelle Aufnahmen benötigt werden. Die Daten sollen der Wissenschaft, aber auch Behörden und Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, heißt es beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). Bislang sei die Technik nur bei Beobachtungen mit Flugzeugen eingesetzt worden.

Enmap ist somit nicht nur Deutschlands erster Hyperspektralsatellit, er ist auch einer der Satelliten, die bislang am längsten vom Reißbrett bis zur Startrampe gebraucht haben. Bereits 2003 hatte das DLR um Ideen für eine entsprechende Mission gebeten. 2008 hatte es den Vertrag zum Bau des Satelliten unterschrieben, für damals 90 Millionen Euro. 2012 sollte Enmap starten.

Dass es nun deutlich länger gedauert hat, führt das DLR auf "tiefgehende Technologieentwicklungen" zurück, wie es auf Nachfrage heißt. "Diese Entwicklungen haben uns Zeit gekostet und deutlich länger gedauert als geplant", schreibt Projektleiter Sebastian Fischer. "Nun, mit zehnjähriger Verspätung und zu Gesamtkosten von 300 Millionen Euro, soll es endlich losgehen." Immerhin: Der Bedarf an den Enmap-Daten dürfte in der Zwischenzeit - angesichts von Klimakatastrophe und Umweltzerstörung - noch größer geworden sein.

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