Raumfahrt:Die zweite Mission von Alexander Gerst beginnt

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Der deutsche Astronaut ist ein PR-Genie, und dank seiner Erfahrung das wichtigste Mitglied der Besatzung der Internationalen Raumstation.

Von Christian Gschwendtner

Nein, vor dem Start nimmt die Aufregung nicht zu. Eher ist es umgekehrt: Je näher der Abflug heranrückt, desto mehr entspannt sich Alexander Gerst. Er weiß dann, jetzt kann nur noch wenig schiefgehen. Jedenfalls nimmt die Wahrscheinlichkeit, dass es ein technisches Problem gibt - oder dass er sich noch verletzt - mit dem Countdown zum Raketenstart ab.

An diesem Mittwoch ist es so weit: Wenn alles nach Plan läuft, dann fliegt Gerst zum zweiten Mal auf die Internationale Raumstation (ISS). Die Leute kennen ihn spätestens seit 2014, als er schon mal ein paar Monate im All verbrachte. Seit dieser Zeit ist Gerst so etwas wie ein Popstar und Deutschlands offizieller Weltraumerklärer. Seine Außeneinsätze an Bord der ISS sind bis heute unvergessen.

"Astro-Alex" musste selber Hand anlegen

Während seiner ersten Mission installierte Gerst eine wichtige elektromagnetische Vorrichtung: den Levitator. Materialforscher wollten damit neue Wirkstoffe testen, zum Beispiel eine revolutionäre Gummimischungen für Autoreifen. Gleich zu Beginn hakte das Experiment allerdings. "Astro-Alex", wie sich Gerst auf Twitter nennt, musste selber Hand anlegen. Einen verklemmten Bolzen konnte er schließlich mit einem Sägeblatt lösen. Und weil Gerst außerdem ein umsichtiger Handwerker ist, schmierte er zum Schutz vor herumfliegenden Spänen noch Rasierschaum auf den Bolzen. Das hat erstens geholfen und war ganz nebenbei noch eine gelungene PR-Maßnahme.

Ganz geheuer ist Alexander Gerst der Rummel um seine Person trotzdem nicht. Er weiß, dass so eine Weltraummission viel Geld kostet, und dass die 150 Milliarden Euro teure Raumstation seit ihrem Anfang umstritten ist. Gerst lenkte die Aufmerksamkeit deshalb in den letzen Wochen vor dem Start zunehmend auf die vielen Experimente, die während seines sechsmonatigen Aufenthalts auf der ISS durchgeführt werden. Rund 300 sollen es am Ende sein, 65 davon stammen aus Europa, und 41 davon gehen auf eine deutsche Initiative zurück.

Auf der 400 Kilometer von der Erde entfernten ISS spielt die Erdanziehungskraft praktisch keine Rolle. Forscher wollen sich diesen Umstand zunutze machen. Ohne Schwerkraft lassen sich chemische oder biologische Prozesse nämlich um ein Vielfaches leichter beobachten. Die Weltraumwissenschaftler wollen zum Beispiel gefärbte Immunzellen in einer Spezialapparatur mit mehreren hundert Linsen untersuchen. Sie hoffen, dass Stoffwechselprozesse dadurch in Echtzeit sichtbar werden.

Seine Erfahrung ist besonders beim Start gefragt

Auf dem Plan stehen außerdem Versuche in Plasmaphysik, Humanmedizin und Fluiddynamik. Die große Mehrzahl dieser Experimente läuft allerdings automatisch ab. Gerst und seine Kollegen müssen nicht viel mehr machen als die Proben einlegen und ab und zu einen Versuch neu starten. "Im Prinzip sind wir Laboranten", sagt Alexander Gerst. Ganz richtig ist das nicht, denn zumindest er selbst wird für drei Monate das Kommando auf der ISS übernehmen - als erster Deutscher überhaupt.

Seine Erfahrung ist besonders beim Start gefragt. Anders als beim ersten Mal muss der studierte Geophysiker nicht mehr auf dem Sitz Platz nehmen, der normalerweise für Weltraumtouristen reserviert ist. Er ist jetzt Co-Pilot und sitzt ganz links - beim Start und bei der geplanten Landung nach 187 Tagen im All.

Wirklich bequem ist die Kapsel in der Sojus-Rakete nicht. Wer in das 2,7 Meter kleine Innere will, muss sich durch eine enge Einstiegsluke zwängen. Innen drinnen müssen die Astronauten auf jeglichen Komfort verzichten. Mit den Füßen finden sie nur schwer Halt, die Knie müssen sie eng vors Gesicht ziehen. Die Enge hat einen Grund: zusammen mit Alexander Gerst fliegen noch zwei weitere Astronauten zur ISS: die amerikanische Medizinerin Serena Auñón-Chancellor und der russische Kampfpilot Sergej Prokopjew: Für beide ist es der erste Ausflug ins Weltall.

Eigentlich hätte statt der Ärztin Auñón-Chancellor Jeanette Epps mit an Bord gehen sollen. Sie wäre die erste afroamerikanische Langzeitastronautin auf der ISS gewesen. Mit ihr hat Gerst eineinhalb Jahre intensiv auf den Einsatz hingearbeitet. Bis die Nasa Epps fünf Monate vor dem Starttermin wieder auswechselte. Warum genau, weiß man bis heute nicht.

Gut vorbereitet ist das neue Team trotzdem. Auf dem legendären Nasa-Trainingsgelände in Texas haben sie sich auf viele Notsituationen vorbereitet. Zum Beispiel, was zu tun ist, wenn der Luftdruck auf der ISS plötzlich abfällt, etwa weil ein Meteorit die Außenhülle zertrümmert hat oder ein Weltraumschrottpartikel. Wie man die Sojus-Rakete an der ISS andockt, dürfte Gerst inzwischen im Schlaf beherrschen. Unzählige Male hat er das Manöver zuletzt im Juri-Gagarin-Zentrum in Moskau an einer Simulation geübt. Am Ende hat es problemlos geklappt.

Bis zum Start ist sowieso jeder Schritt auf dem Weltraumbahnhof in Baikonur in Kasachstan durchchoreografiert: Um 9.40 Uhr verabschieden sich die drei Astronauten von ihren Familien, um 10.46 Uhr betreten sie die Sojus-Rakete des Typs MS-09. Es gibt eine technische Überprüfung der Raumanzüge, und um Punkt 13.12.41 Uhr soll die Rakete abheben. Dann wird Alexander Gerst mit einer Kraft von mehr als 20 Millionen PS in den Weltraum katapultiert.

© SZ vom 06.06.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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