Süddeutsche Zeitung

Raumfahrt:Das große Finale

"Cassini" hat den Saturn umkreist, die bizarren Welten auf den Monden Titan und Enceladus beobachtet - nun wird die Sonde nach 20 Jahren auf Mission spektakulär verglühen.

Von Marlene Weiss

Man kann dieser Tage viele lila T-Shirts auf dem Campus des Jet Propulsion Laboratorys in Kalifornien sehen: Cassini-Erinnerungs-Hemden, dem Vernehmen nach mittlerweile weitgehend ausverkauft. Tausende Wissenschaftler haben über die vergangenen Jahrzehnte an einer der aufwendigsten und erfolgreichsten Raumfahrt-Missionen gearbeitet, die es je gegeben hat; sie war nur möglich, weil die US-Raumfahrtbehörde Nasa sich dafür mit ihrem europäischen Pendant Esa zusammentat. Hunderte von ihnen sind nun in Pasadena zusammengekommen, um sich gemeinsam von der Sonde zu verabschieden, wenn sie am Freitag auf dem fernen Saturn in einen einsamen Feuertod stürzt. Da sag noch einer, Forscher seien nicht sentimental.

Auch Norbert Krupp vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen ist nach Kalifornien gereist, selbstverständlich. Seit 1996 ist er an Cassini beteiligt, da liefen schon die letzten Vorbereitungen. "Ein bisschen Wehmut ist jetzt schon dabei", sagt er, nach all den Jahren, aber stolz ist er auch, logisch. Er hat 1997 den Start der Sonde verfolgt, den Bürgerinitiativen bis zuletzt verhindern wollten. Immerhin hatte Cassini mehr als 30 Kilogramm Plutonium an Bord, um die Instrumente mit Strom zu versorgen. Solarpaneele wären beim Saturn, zehnmal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde, wenig hilfreich gewesen.

Im Oktober 1997 unterzeichnete US-Präsident Bill Clinton die Starterlaubnis für "Cassini"

Auch in Deutschland hielten viele das Risiko für nicht vertretbar: Was, wenn der Start misslingen würde? Oder wenn die Sonde zwei Jahre später bei ihrer Ehrenrunde um die Erde, statt Schwung für die weitere Reise zu holen, in die Erdatmosphäre rasen würde? Die Nasa hatte zwar alle erdenklichen Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, das Material auf brutalste Weise getestet, das Plutonium wurde in Keramik-Kugeln und Metallbehälter verpackt, damit selbst im schlimmsten Fall nur ein Bruchteil entweichen sollte. Aber ein Restrisiko blieb.

Trotzdem unterschrieb US-Präsident Bill Clinton - ja, so lange ist das her - im Oktober 1997 die Starterlaubnis, wenig später ging es los. Und es folgte keine Katastrophe, sondern im Gegenteil: Es lief fast perfekt. Und das von 1997 bis heute, nach zweimaliger Verlängerung um insgesamt neun Jahre.

Auf der Erde übergab Clinton an George W. Bush, der 11. September traumatisierte die Welt, der Afghanistan-Krieg begann, ein Student namens Mark Zuckerberg gründete Facebook. Cassini, damals noch mit dem Landemodul Huygens huckepack, zog derweil gelassen ihre Bahnen durchs Sonnensystem. Vorbei an der Venus, zurück zur Erde, weiter zum Jupiter und schließlich, im Jahr 2004: Ankunft am Saturn. Kurz darauf setzte Cassini den Lander Huygens auf Saturns größtem Mond Titan ab. Unterwegs hatte sich zwar ein Kommunikationsproblem zwischen Cassini und Huygens gezeigt, aber es konnte durch eine neue Bahnplanung einigermaßen ausgeglichen werden. So konnte die Muttersonde die Bilder und Daten empfangen und weiterleiten, die Huygens in den wenigen relevanten Stunden seines Daseins sammelte.

Sie zeigten eine fremde, bizarre Welt, die doch der Erde erstaunlich ähnlich ist. Titan, bis dahin unter seiner dicken Stickstoff-Atmosphäre verborgen, erwies sich als Ort voller vertrauter Strukturen; Huygens sah Berge, Täler, Flussbetten. Spätere Messungen von Cassini bestätigten: Titan hat als bislang einziger bekannter Himmelskörper im Sonnensystem außer der Erde einen erdähnlichen Flüssigkeitszyklus, mit Flüssen, Seen, Verdunstung und Regen. Nur dass dabei flüssige Kohlenwasserstoffe fließen statt Wasser.

Allein das wäre eine großartige Entdeckung gewesen. Aber tatsächlich wurde Titan von einem unwahrscheinlichen Objekt in den Schatten gestellt, für das sich bis dahin kaum jemand besonders interessiert hatte: der winzige Saturn-Mond Enceladus, mit gerade einmal 500 Kilometern Durchmesser nur eine lächerliche Fußnote des Saturn-Systems. Und doch ist es fast immer Enceladus, der zuerst genannt wird, wenn man Wissenschaftler nach Cassinis Erfolgen fragt. Auch Norbert Krupp sagt über den Winzling sofort: "Mit Abstand das Highlight."

Dabei hat das Instrument seines eigenen Teams die Ringe des Saturns untersucht, auch interessant. Aber ach, Enceladus, was für eine Zauberwelt. Völlig unerwartet fanden die Forscher mehr als 100 aktive Geysire auf dem kleinen Mond, die Wasser ausspucken, das - zu Eiskristallen gefroren - weit hinaus ins All geschleudert wird. So speist der Enceladus weitgehend allein einen ganzen Saturn-Ring mit Staub- und Eisteilchen.

"Titan ist auch wichtig und spannend, aber für das Gesamtsystem des Saturns spielt Enceladus eine viel wichtigere Rolle", sagt Krupp. Fast das Beste: Unter der Eiskruste von Enceladus liegt ein Ozean aus Wasser. Den hat zwar wohl auch Titan, aber das Meer von Enceladus ist in direktem Kontakt mit dem Gestein des Planeten, sodass Salze darin gelöst sind. So gute Bedingungen für die Entstehung von Leben gibt es jenseits der Erde nirgendwo sonst im Sonnensystem.

Das ist jedoch auch der Grund, warum Cassini nun so ein spektakuläres Ende nehmen muss. Im Prinzip hätte man sie auch in einer Saturn-Umlaufbahn gnädig ihrem Schicksal überlassen können - nicht, dass das für eine Sonde einen großen Unterschied machen würde, aber trotzdem. Doch dann hätte man riskiert, dass das treibstofflos trudelnde Raumschiff irgendwann mit Enceladus kollidiert wäre. Etwaige überlebende irdische Mikroben hätten auf den unberührten Saturn-Mond gelangen können, mit unabsehbaren Folgen. Also sollte Cassini unschädlich gemacht werden.

Und so wurde die Sonde am Montag ein letztes Mal am Titan vorbeigeschickt, wo sie einen letzten Schubs bekam, dann ging es unweigerlich ins Verderben. "Grand Finale" nennt die Nasa das Prozedere mit viel Pathos, und nicht ganz unbegründet: Cassini soll auch am Ende noch spektakuläre Daten sammeln. "Wir kommen jetzt in Regionen, in denen wir noch nie waren", sagt Norbert Krupp; nie zuvor ist eine Sonde dem Saturn so nah gekommen.

Es ist ein würdiges Ende für eine Mission, wie es so bald keine zweite geben wird. Nach vergleichbaren historischen Kooperationen von Nasa und Esa sieht es derzeit nicht aus. Eine große Mission zum Jupiter war geplant, aber die Nasa stieg schon vor Jahren aus. Nun wollen USA und Europa in einigen Jahren jeweils eigene Sonden zum Jupiter schicken, die sich ergänzen sollen, aber ein gemeinsamer Kraftakt, wie Cassini-Huygens es war, wird das nicht mehr. Und erst 2030 sollen erste Daten vom Jupiter eingehen.

Darum geht mehr als nur die Arbeit einer x-beliebigen Sonde zu Ende, wenn Cassini in der Nacht auf Freitag ihre Antenne ein letztes Mal zur Erde ausrichtet. Ihre Beobachtungen soll sie von da an nicht mehr speichern, sondern auf Live-Sendung schalten, damit nichts von den kostbaren Daten verloren geht. Dann tritt sie in die Atmosphäre des Saturns ein, das Aluminium schmilzt, sie zerbricht und verglüht. Um 4.55 Uhr Ortszeit erwarten die Forscher in Pasadena das letzte Signal, wer verschläft, hat Pech gehabt. Dann ist es vorbei.

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Quelle:
SZ vom 15.09.2017
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