Ein Deutscher im Weltraum:Alexander Gersts Fahrschule zum Himmel

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Der deutsche Astronaut Alexander Gerst trainiert im Juri-Gagarin-Zentrum nahe Moskau für seinen Einsatz. (Foto: dpa)

Am 6. Juni wird der deutsche Astronaut zur Internationalen Raumstation fliegen und drei Monate lang das Kommando übernehmen. Bis es soweit ist, muss er erstmal einparken lernen.

Reportage von Alexander Stirn

Heute steht Einparken auf dem Stundenplan der orbitalen Fahrschule. Genauer gesagt: ausparken, einmal um den Block fliegen und andernorts wieder einparken. Nichts Spektakuläres. Nichts, womit man zum Helden werden könnte. Doch wer Verantwortung übernehmen möchte, muss auch so etwas im Schlaf beherrschen.

Alexander Gerst will Verantwortung übernehmen. Der deutsche Astronaut in Diensten der Europäischen Raumfahrtagentur Esa bereitet sich derzeit auf seinen zweiten Flug ins All vor. Klappt alles wie geplant, dann startet Gerst am 6. Juni gemeinsam mit dem Russen Sergej Prokopjew und der Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor in einer engen Sojus-Kapsel zur Internationalen Raumstation ISS - einem orbitalen Außenposten, der in knapp 400 Kilometern Höhe seine Runden dreht.

Bereits vor vier Jahren hat Gerst dort sechs Monate verbracht. Bereits damals musste er sich durchs harte Training in Moskau, in Köln, im texanischen Houston quälen. Und doch ist dieses Mal vieles anders. Denn der 41-Jährige wird erstmals als Kopilot zur Raumstation düsen, vor allem aber wird er dort drei Monate lang das Kommando übernehmen. Für Gerst eine, wie er sagt, große Ehre - und viel Arbeit.

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Hochkonzentriert, mit beiden Händen am Steuer, liegt der gelernte Geophysiker in einem der vielen Sojus-Simulatoren, den die Russen im Juri-Gagarin-Trainingszentrum vor den Toren Moskaus aufgebaut haben. Wobei "Steuer" nicht ganz korrekt ist: Gersts linke Hand ruht auf einem blauen Joystick, mit dem er das Raumschiff vor und zurück, hoch und runter, nach rechts und nach links steuern kann.

Die rechte Hand hat derweil einen schwarzen Joystick im Griff, mit dem sich die Orientierung der Kapsel um alle drei Raumachsen verändern lässt. Gersts Steuerkommandos sind feinfühlig, kaum zu erkennen. Sein Blick wandert vom Kontrollmonitor zum Bordcomputer und weiter zu einer Checkliste, die mit Klettverschlüssen auf dem Oberschenkel befestigt ist. Langsam wird die Station, deren Bild der Simulator auf einen runden Monitor inmitten des Armaturenbretts zaubert, kleiner und kleiner.

Andocken an die Raumstation ist eine der schwierigsten Übungen, die es überhaupt gibt

"Andocken an die Raumstation ist eines der schwierigsten Trainings, die es überhaupt gibt", sagt Gerst hinterher. Ein ganzes Jahr lang musste er Theorie büffeln, bevor ihn die Russen endlich ans Steuer der simulierten Sojus gelassen haben. Nicht einmal vor dem Maschinenraum machten die Lehrstunden halt. "Ich musste wirklich die Schaltpläne aller Systeme studieren", erzählt Gerst. Nicht, um die Sojus nachzubauen. Nicht, um die Pläne auswendig zu lernen. Vielmehr, um Verständnis für die russische Technologie zu entwickeln.

Für Gerst ist das neu. Bei seinem ersten Flug saß er rechts in der dreisitzigen Sojus. Auf dem Platz, der auch Weltraumtouristen zugewiesen wird. Dieses Mal sitzt - oder besser: liegt - Gerst bei Start und Landung links, auf dem Platz des Kopiloten. "Dieses Raumschiff ist so komplex, dass wir es nur zu zweit fliegen können, insbesondere, wenn etwas schiefgeht", sagt er. Im Fall der Fälle muss Gerst sogar in der Lage sein, die Sojus in Eigenregie zurück zur Erde zu bringen - von Hand, ohne Hilfe des Bordcomputers. "Es ist schon ein Riesenkompliment, dass die Russen mich ans Steuer lassen und dass ich zur Not sogar alleine fliegen darf", sagt Gerst und zeigt sein spitzbübisches Lächeln.

Wer zu Gerst in die nur 2,7 Meter große Sojus klettert, wer sich durch die Einstiegsluke zwängt und versucht, halbwegs elegant und unfallfrei in den Liegesitz zu gleiten, denkt zunächst, er habe etwas falsch gemacht. Der Kopf wird von der kurzen Sitzschale nach vorne gedrückt, die Füße finden keinen Halt, die Knie sind direkt vor dem Gesicht. Der nächste Wadenkrampf, so die beunruhigende Vorahnung, dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Beine ausstrecken? Unmöglich.

Dabei ist die Sojus-Fahrschule vergleichsweise komfortabel: Gerst trägt im Andocksimulator den legeren Blaumann, mit dem Astronauten in Moskau meist unterwegs sind. Wenige Stunden zuvor war hingegen volle Montur angesagt: Im dicken luftdichten Raumanzug, der nur mit angeschlossener Ventilation erträglich ist, trainierte die dreiköpfige Crew den heißen Ritt von der ISS zurück zur Erde. Wie immer ging nicht alles glatt.

Die Instrukteure, die das Geschehen in einem Nebenraum vor einer Monitorbatterie verfolgen, hatten ein Dutzend Probleme eingebaut: Ein Triebwerk fiel aus. Ein Treibstofftank war undicht. Der Funk stockte. Und schließlich schlug die Kapsel auch noch Leck. Lediglich auf das geplante Feuer an Bord, das stilecht mit Rauch simuliert wird, verzichteten die Trainer. "Insofern war der heutige Tag eigentlich recht human", sagt Gerst und schmunzelt. "Aber es gibt Trainings, da sitzt man drei Stunden lang fast ohne Ventilation in der Sojus, ist kurz vorm Überhitzen und verliert zwei Liter Wasser."

Sehr anspruchsvoll sei die aktuelle Trainingsphase, sagt auch Chef-Ausbilder Wladimir Osokin. "Die Crew muss beweisen, dass sie gelernt hat, richtig zu reagieren." Tut sie das nicht, gibt es schlechte Zensuren. Notfalls müssen die Astronauten sogar nachsitzen. Die Sitten sind streng im Juri-Gagarin-Trainingszentrum. Dabei nehmen die knapp 40 Wochen, die die Astronauten hier verbringen, nur einen Teil des zweijährigen Missionstrainings ein. In Houston wird zusätzlich 30 Wochen lang geübt, in Köln weitere 15 Wochen.

Die Astronauten trainieren zwei Jahre lang, 40 Wochen davon in Russland.

Das Verfahren ist bewährt, durchgeplant und streng getaktet. Gerst hat es vor seinem ersten Flug schon mitgemacht. Und doch ist dieses Mal auch beim Basistraining etwas anders: Gerst weiß, wie er sagt, was wichtig ist und was nicht, was er später braucht und was er getrost vergessen kann - von all den Details, mit denen die Crew zugeballert wird. "Die Kunst des Astronautentrainings besteht darin, unnütze Informationen von nützlichen zu trennen und zu filtern", sagt der Geophysiker. "Dadurch habe ich Kapazitäten frei - und das ist auch ganz gut, weil ich die wirklich brauche."

Denn noch etwas ist anders: Gerst ist zwar der jüngste im Team, aber er ist auch der Erfahrenste. Während der Deutsche zum zweiten Mal zur ISS fliegt, sind seine beiden Kollegen Neulinge. Zudem wird er während der zweiten Hälfte seines sechsmonatigen Aufenthalts das Kommando auf der Station übernehmen. Beides verpflichtet, beides erzeugt Druck.

Gerst versucht dem - zumindest vermittelt er den Eindruck - mit einer Mischung aus großem Bruder und fürsorglichem Chef zu begegnen. Im Sojus-Landesimulator, in dem Russisch die Amtssprache ist, hilft er US-Kollegin Seron Auñón-Chancellor bei komplexen Problemen schon mal auf Englisch weiter - "einfach, weil ich selbst ein bisschen schneller Englisch sprechen kann als Russisch", so seine galante Erklärung.

In Houston hingegen, wo die Crew Notfallprozeduren trainiert, wo Feuer, Druckabfall und Austritt des hochgiftigen Kühlmittels Ammoniak bekämpft werden müssen, erklärt er Prokopjew das Vorgehen in Ruhe noch einmal auf Russisch. "Ich merke, dass ich mit meiner Erfahrung den Kollegen vielleicht die ein oder andere Sorge oder Angst nehmen kann", sagt Gerst.

Überhaupt, die Notfälle. Zu den wichtigsten Aufgaben eines ISS-Kommandanten gehört es, stets den Überblick zu behalten - auch wenn nachts um vier Uhr ein Alarm losgeht. "Solche Situationen sind mitunter extrem komplex", sagt Gerst. "Hat irgendein Modul zum Beispiel ein Loch, dann ist das eine Entscheidungsmatrix, die ausgebreitet mehrere Quadratmeter füllen würde."

Schließlich gleicht kein Teil der Station dem anderen. Manche Module versperren den Weg zur Rettungskapsel, andere sind eher unkritisch. Nur: Zeit, um Handbücher zu wälzen, bleibt im Notfall nicht. "Die Vorbereitung auf solche Dinge, das ist die wirkliche Arbeit", sagt Gerst. Eine Belastung? Der Sonnyboy spricht viel lieber vom "Spaß", den ihm das alles bereitet.

"Ein Raumschiff muss nicht luftschnittig sein"

Zurück in der Sojus-Fahrschule blinkt plötzlich eine Warnleuchte. Gerst greift zu einem Zeigestab mit einer Art Pistolengriff, seiner "Fernsteuerung". Hoch oben am Armaturenbrett der Kapsel drückt er damit eine Pfeiltaste. Einmal. Zweimal. Der Cursor auf dem Kontrollmonitor macht zwei Sprünge nach rechts, auf ein Feld mit kyrillischen Buchstaben. Gerst drückt auf die Enter-Taste. Weiter geht die Fahrt.

Elon Musk, Chef des privaten Raumfahrtunternehmens Space-X, will in seinen Kapseln Touchscreens für die Steuerung einbauen. Gerst, der den ruckeligen Ritt ins All schon mal mitgemacht hat, schüttelt beim Gedanken daran den Kopf. Viel zu ungenau. In der Sojus sind die entscheidenden Knöpfe sogar von Metallkäfigen umgeben, damit Finger oder Zeigestab bloß nicht abrutschen. Alles ist hier ein bisschen robuster, vielleicht auch ein bisschen altmodischer.

"Ein Raumschiff muss nicht luftschnittig sein, es muss auch keine blinkenden Lichter obendrauf haben. Es muss funktionieren", sagt Gerst. Die Sojus-Kapsel macht das seit 40 Jahren ohne Probleme. Angst, dass die Technik streiken könnte, habe er auch vor vier Jahren nicht gehabt - eher, dass sein Körper, dass sein Kopf nicht mitspielt: "Vor meinem ersten Flug habe ich mir tatsächlich gedacht: Okay, ist das nicht vielleicht eine Nummer zu krass für mich?", erzählt der 41-Jährige. "Jetzt weiß ich, und das ist wohl das Wichtigste, dass ich es kann."

Gerst absolvierte das Training bei minus 30 Grad, im Zelt und ohne Schlafsack

"Zwanzig Meter", "zehn Meter". Auf Russisch gibt Gerst den aktuellen Abstand zur simulierten ISS durch, deren Bild rasch größer wird. Die Funksprüche sind kurz, präzise. Die Steuerimpulse werden intensiver. "Rasswet" heißt der heutige Parkplatz, eine der russischen Andockstellen an der Station. Noch sieht alles gut aus.

Nicht ganz nach Plan verlief hingegen die Vorbereitung auf Gersts zweite Mission. Mitte Januar, keine fünf Monate vor dem Start, wurde ihm die Ärztin Auñón-Chancellor als neues Crewmitglied in die Kapsel gesetzt. Zuvor hatte der Deutsche eineinhalb Jahre lang mit Jeanette Epps trainiert, die die erste afroamerikanische Langzeitastronautin auf der ISS werden sollte. Gemeinsam mit Prokopjew, einem ehemaligen Kampfpiloten, absolvierten die beiden das harte Winterüberlebenstraining: Bei minus 30 Grad Celsius, im Zelt und ohne Schlafsack, sind dabei Teamgeist und Gruppendynamik mindestens so wichtig wie das reine Überleben. Trotzdem tauschte die US-Raumfahrtbehörde Nasa Epps aus. Kurzfristig, ohne Begründung.

Ein Problem? Gerst lächelt solche Fragen einfach weg. Auñón-Chancellor sei ein "absolut tolles Crewmitglied", eine "gute Freundin". Ohnehin: "Auf so etwas habe ich als Commander keinen Einfluss. Unsere Aufgabe ist es nun, das zum Laufen zu bringen." Nur nicht aus der Ruhe bringen lassen.

Zuvor war bereits der Starttermin um sechs Wochen nach hinten verschoben und die Mission somit verkürzt worden. Weniger Zeit im All bedeutet allerdings auch weniger Zeit für deutsche und europäische Experimente - zumal Gerst als Kommandant, als Koordinator und Motivator, kaum Zeit zum wissenschaftlichen Arbeiten finden wird. Ärgerlich, sagt er, aber "völlig normal in diesem Geschäft". Zwei Monate später dann die Entwarnung: Auch die Landung soll verschoben werden, auf Mitte Dezember. Somit könnte es Gerst auf 187 Tage im All bringen. 65 europäische Experimente, davon 48 aus Deutschland oder mit deutscher Beteiligung sind nun geplant.

Noch drei Meter. Im Simulator beginnt die heiße Phase. Funkstille. Das Bild der ISS füllt den Monitor längst aus. Nun gilt es, mit einem Fadenkreuz ein schwarz-weißes Ziel anzupeilen, das auf der Station prangt, direkt neben der Andockstelle. "Das ist schwer gerade", murmelt Gerst auf Deutsch. "Das ist etwas, das man schon üben muss." Zehn Sekunden später streckt er beide Daumen nach oben.

Eingeparkt, unfallfrei.

Keine Fanfare, kein "Game Over", kein "Wollen Sie noch einmal spielen?". Nicht einmal ein leises Pling. Nur ein letzter Funkspruch. Das Ganze, daran lassen die russischen Fahrlehrer wenig Zweifel, ist kein Spiel. Es ist hartes Training. Und es ist noch lange nicht vorbei. Drei weitere Einparkversuche stehen an diesem Nachmittag noch auf dem Stundenplan der orbitalen Fahrschule.

© SZ vom 14.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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