Heute steht Einparken auf dem Stundenplan der orbitalen Fahrschule. Genauer gesagt: ausparken, einmal um den Block fliegen und andernorts wieder einparken. Nichts Spektakuläres. Nichts, womit man zum Helden werden könnte. Doch wer Verantwortung übernehmen möchte, muss auch so etwas im Schlaf beherrschen.
Alexander Gerst will Verantwortung übernehmen. Der deutsche Astronaut in Diensten der Europäischen Raumfahrtagentur Esa bereitet sich derzeit auf seinen zweiten Flug ins All vor. Klappt alles wie geplant, dann startet Gerst am 6. Juni gemeinsam mit dem Russen Sergej Prokopjew und der Amerikanerin Serena Auñón-Chancellor in einer engen Sojus-Kapsel zur Internationalen Raumstation ISS - einem orbitalen Außenposten, der in knapp 400 Kilometern Höhe seine Runden dreht.
Bereits vor vier Jahren hat Gerst dort sechs Monate verbracht. Bereits damals musste er sich durchs harte Training in Moskau, in Köln, im texanischen Houston quälen. Und doch ist dieses Mal vieles anders. Denn der 41-Jährige wird erstmals als Kopilot zur Raumstation düsen, vor allem aber wird er dort drei Monate lang das Kommando übernehmen. Für Gerst eine, wie er sagt, große Ehre - und viel Arbeit.
Hochkonzentriert, mit beiden Händen am Steuer, liegt der gelernte Geophysiker in einem der vielen Sojus-Simulatoren, den die Russen im Juri-Gagarin-Trainingszentrum vor den Toren Moskaus aufgebaut haben. Wobei "Steuer" nicht ganz korrekt ist: Gersts linke Hand ruht auf einem blauen Joystick, mit dem er das Raumschiff vor und zurück, hoch und runter, nach rechts und nach links steuern kann.
Die rechte Hand hat derweil einen schwarzen Joystick im Griff, mit dem sich die Orientierung der Kapsel um alle drei Raumachsen verändern lässt. Gersts Steuerkommandos sind feinfühlig, kaum zu erkennen. Sein Blick wandert vom Kontrollmonitor zum Bordcomputer und weiter zu einer Checkliste, die mit Klettverschlüssen auf dem Oberschenkel befestigt ist. Langsam wird die Station, deren Bild der Simulator auf einen runden Monitor inmitten des Armaturenbretts zaubert, kleiner und kleiner.
Andocken an die Raumstation ist eine der schwierigsten Übungen, die es überhaupt gibt
"Andocken an die Raumstation ist eines der schwierigsten Trainings, die es überhaupt gibt", sagt Gerst hinterher. Ein ganzes Jahr lang musste er Theorie büffeln, bevor ihn die Russen endlich ans Steuer der simulierten Sojus gelassen haben. Nicht einmal vor dem Maschinenraum machten die Lehrstunden halt. "Ich musste wirklich die Schaltpläne aller Systeme studieren", erzählt Gerst. Nicht, um die Sojus nachzubauen. Nicht, um die Pläne auswendig zu lernen. Vielmehr, um Verständnis für die russische Technologie zu entwickeln.
lang ist die Sojus-Kapsel bereits im Einsatz. Die Reihe der russische Raumschiffe wurde in den 1960er Jahren entwickelt. In ihnen haben ein bis drei Menschen Platz. Auch der deutsche Astronaut Alexander Gerst wird mit Hilfe der Sojus-Kapsel am 6. Juni 2018 zur Internationalen Raumstation ISS fliegen. Das Raumschiff besteht aus dem Servicemodul, dem Landemodul und dem Orbitalmodul. Auf dem Rückflug zur Erde wird nur das Landemodul erhalten bleiben, die beiden anderen werden bei Eintritt in die Erdatmosphäre verglühen.
Für Gerst ist das neu. Bei seinem ersten Flug saß er rechts in der dreisitzigen Sojus. Auf dem Platz, der auch Weltraumtouristen zugewiesen wird. Dieses Mal sitzt - oder besser: liegt - Gerst bei Start und Landung links, auf dem Platz des Kopiloten. "Dieses Raumschiff ist so komplex, dass wir es nur zu zweit fliegen können, insbesondere, wenn etwas schiefgeht", sagt er. Im Fall der Fälle muss Gerst sogar in der Lage sein, die Sojus in Eigenregie zurück zur Erde zu bringen - von Hand, ohne Hilfe des Bordcomputers. "Es ist schon ein Riesenkompliment, dass die Russen mich ans Steuer lassen und dass ich zur Not sogar alleine fliegen darf", sagt Gerst und zeigt sein spitzbübisches Lächeln.
Wer zu Gerst in die nur 2,7 Meter große Sojus klettert, wer sich durch die Einstiegsluke zwängt und versucht, halbwegs elegant und unfallfrei in den Liegesitz zu gleiten, denkt zunächst, er habe etwas falsch gemacht. Der Kopf wird von der kurzen Sitzschale nach vorne gedrückt, die Füße finden keinen Halt, die Knie sind direkt vor dem Gesicht. Der nächste Wadenkrampf, so die beunruhigende Vorahnung, dürfte nur eine Frage der Zeit sein. Beine ausstrecken? Unmöglich.
Dabei ist die Sojus-Fahrschule vergleichsweise komfortabel: Gerst trägt im Andocksimulator den legeren Blaumann, mit dem Astronauten in Moskau meist unterwegs sind. Wenige Stunden zuvor war hingegen volle Montur angesagt: Im dicken luftdichten Raumanzug, der nur mit angeschlossener Ventilation erträglich ist, trainierte die dreiköpfige Crew den heißen Ritt von der ISS zurück zur Erde. Wie immer ging nicht alles glatt.
Die Instrukteure, die das Geschehen in einem Nebenraum vor einer Monitorbatterie verfolgen, hatten ein Dutzend Probleme eingebaut: Ein Triebwerk fiel aus. Ein Treibstofftank war undicht. Der Funk stockte. Und schließlich schlug die Kapsel auch noch Leck. Lediglich auf das geplante Feuer an Bord, das stilecht mit Rauch simuliert wird, verzichteten die Trainer. "Insofern war der heutige Tag eigentlich recht human", sagt Gerst und schmunzelt. "Aber es gibt Trainings, da sitzt man drei Stunden lang fast ohne Ventilation in der Sojus, ist kurz vorm Überhitzen und verliert zwei Liter Wasser."
Sehr anspruchsvoll sei die aktuelle Trainingsphase, sagt auch Chef-Ausbilder Wladimir Osokin. "Die Crew muss beweisen, dass sie gelernt hat, richtig zu reagieren." Tut sie das nicht, gibt es schlechte Zensuren. Notfalls müssen die Astronauten sogar nachsitzen. Die Sitten sind streng im Juri-Gagarin-Trainingszentrum. Dabei nehmen die knapp 40 Wochen, die die Astronauten hier verbringen, nur einen Teil des zweijährigen Missionstrainings ein. In Houston wird zusätzlich 30 Wochen lang geübt, in Köln weitere 15 Wochen.
Die Astronauten trainieren zwei Jahre lang, 40 Wochen davon in Russland.
Das Verfahren ist bewährt, durchgeplant und streng getaktet. Gerst hat es vor seinem ersten Flug schon mitgemacht. Und doch ist dieses Mal auch beim Basistraining etwas anders: Gerst weiß, wie er sagt, was wichtig ist und was nicht, was er später braucht und was er getrost vergessen kann - von all den Details, mit denen die Crew zugeballert wird. "Die Kunst des Astronautentrainings besteht darin, unnütze Informationen von nützlichen zu trennen und zu filtern", sagt der Geophysiker. "Dadurch habe ich Kapazitäten frei - und das ist auch ganz gut, weil ich die wirklich brauche."
Denn noch etwas ist anders: Gerst ist zwar der jüngste im Team, aber er ist auch der Erfahrenste. Während der Deutsche zum zweiten Mal zur ISS fliegt, sind seine beiden Kollegen Neulinge. Zudem wird er während der zweiten Hälfte seines sechsmonatigen Aufenthalts das Kommando auf der Station übernehmen. Beides verpflichtet, beides erzeugt Druck.