Computer:Warum Physiker Angst vor dem Quantenwinter haben

Chip eines Quantencomputers

Ein Quantencomputer von Google, genannt "Sycamore", hängt bei einem speziellen Algorithmus selbst die schnellsten Supercomputer ab

(Foto: AFP)
  • Die Bundesregierung will in der laufenden Legislaturperiode 650 Millionen Euro in Quantentechnologien investieren.
  • Doch deutsche Forscher kritisieren das Programm: Ausschreibungen lassen auf sich warten, für die Entwicklung von Hardware für Quantencomputer ist nur ein geringer Betrag vorgesehen.
  • Noch sind nützliche Anwendungen für Quantencomputer in weiter Ferne. Zuerst müssen Entwickler die Fehlerkorrektur der Maschinen in den Griff bekommen.

Von Christian J. Meier

Im Keller von Gebäude 04.8 des Forschungszentrums Jülich umfasst Markus Jerger eine weiße Schale mit beiden Armen und zieht sie vorsichtig an einem mannshohen Zylinder herunter. Darunter erscheint wie bei einer russischen Matrjoschka-Puppe eine weitere Schale und noch eine, bis goldglänzende Stangen, Röhren und Drähte freiliegen. Jerger deutet auf den Kühlapparat. "Da werden wenige Tausendstel Grad über dem absoluten Temperaturnullpunkt herrschen", sagt der Physiker. Die Apparatur wartet auf einen Prozessor, der in wenigen Jahren schneller rechnen soll als die derzeit leistungsstärksten Superrechner.

Mit dem Jülicher Quantencomputer erscheint Deutschland auf der Weltkarte des Quantencomputings, auf der bislang vor allem die USA und China sichtbar sind. Die Bundesrepublik bekommt sogar noch einen zweiten: Die US-Firma IBM will ihren kommerziellen Quantenrechner "Q System One" in einem deutschen Rechenzentrum aufstellen und zusammen mit der Fraunhofer-Gesellschaft betreiben. Dazu will die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode 650 Millionen Euro für Quantentechnologien ausgeben.

Doch Freude will bei deutschen Experten nicht aufkommen. Um das zu verstehen, muss man ein wenig ausholen. In der Theorie sind Quantencomputer wahre Wundermaschinen. Die Rechner nutzen Gesetze der Quantenphysik, die für Atome, Elektronen oder andere kleinste Teilchen gelten. Eines davon nennt sich "Überlagerung". Demnach kann ein einzelnes Teilchen mehrere Zustände simultan einnehmen, ein Atom zum Beispiel an zwei Orten gleichzeitig sein.

Die Überlagerung lässt sich für sogenannte Qubits nutzen. Während die kleinste Einheit eines klassischen Computers, das Bit, jeweils nur 0 oder 1 annehmen kann, speichert das Qubit beide simultan. Jedes zusätzliche Qubit verdoppelt die Anzahl der speicherbaren Werte. Mit rund 300 Qubits lassen sich schon mehr Zahlen aufnehmen, als das Universum Teilchen besitzt.

Ein Algorithmus, der Qubits verknüpft, kann die Werte simultan verarbeiten, viele Rechenwege parallel gehen. Besonders glänzen soll der Wunderrechner bei Aufgaben mit vielen Lösungsmöglichkeiten. Er könnte in der Theorie Warenströme oder Finanzportfolios optimieren oder Moleküle simulieren, um die Entwicklung von Medikamenten zu beschleunigen.

Kleinste Störungen bringen die Wunderrechner durcheinander, Anwendungen sind noch fern

In der Praxis erweist sich der Bau eines Quantenrechners jedoch als schwierig. Seit mehr als 20 Jahren arbeiten Forscher weltweit daran. Zwar hat ein Quantenprozessor mit 53 Qubits von Google vor Kurzem erstmals einen speziellen Algorithmus binnen Minuten ausgeführt, für den selbst der schnellste Supercomputer der Welt Jahrtausende benötigt hätte. Der Algorithmus hat jedoch noch keinen konkreten Nutzen. Die Crux bei der Entwicklung: Die kleinste Störung von außen zerstört die Überlagerung. Dafür reicht schon der Stoß mit einem Luftmolekül oder etwas zu viel Wärme. Vakuum und tiefe Temperaturen sollen die Qubits daher schützen.

"Die Hüllen schirmen auch elektromagnetische Felder ab", erklärt Jerger, während er diese von dem Kühlapparat abmontiert. Trotzdem lassen sich Qubits nur Sekundenbruchteile in der Überlagerung halten. Zu kurz für komplexe Algorithmen. Forscher wollen deshalb Korrektur-Qubits einbauen, die Fehler rückgängig machen. Das schafft aber einen Wasserkopf. Ein breit einsetzbarer Quantencomputer wird daher mehrere Tausend, wenn nicht hunderttausend Qubits benötigen, schätzen Experten.

"Die Entwicklung dieser Fehlerkorrektur wird noch lange dauern", sagt Frank Wilhelm-Mauch von der Universität des Saarlandes, der das Projekt Open Super Q leitet, das die EU mit rund zehn Millionen Euro fördert. Der Physiker baut derzeit den Quantenrechner in Jülich auf, der 50 bis 100 Qubits erhalten soll.

Anwendungen schreiben oder Grundlagen verstehen?

Firmen wie Google oder IBM wollen indessen nicht Jahrzehnte warten, bis eine Maschine mit perfekter Fehlerkorrektur zur Verfügung steht. Sie probieren, was mit der heutigen Hardware schon geht. Der jüngste Erfolg befeuert die Hoffnung, bald eine praxisrelevante Anwendung zu finden, etwa beim Simulieren von Molekülen. Dazu soll auch der Quantenrechner von IBM beitragen, der 20 Qubits besitzt. Die Firma bietet zudem Cloud-Zugang zu weiteren Quantenprozessoren. Diese werden laut Unternehmensangaben von mehr als 100 000 Forschern weltweit genutzt.

Warum es in Europa nichts Vergleichbares gibt, erklärt Wilhelm-Mauch so: "In den USA hat man schon vor Jahren auf anwendungsorientierte Forschung umgeschaltet. Da hinken wir weit hinterher." Das will das 650-Millionen-Euro-Programm der Bundesregierung ändern. Es soll die Forschung "stärker auf Anwendung" ausrichten, heißt es in der Beschreibung. Im Bundesforschungsministerium (BMBF) sieht man die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren Industriekontakten als den natürlichen Partner dafür. "Wir wollen erstmals einen Quantencomputer als offene Plattform in Deutschland etablieren", sagt Torsten Siebert, Leiter des Quantentechnologieprogramms bei Fraunhofer. "Der Rechner kann Unternehmen helfen, die Potenziale der Technik richtig einzuschätzen und langfristig als Wettbewerbsvorteil zu nutzen." Vor allem die Finanzbranche zeige Interesse, sagt Siebert.

"So wird es uns nicht gelingen, Hardware auf Augenhöhe zu entwickeln"

In der Forschergemeinde hingegen regt sich Ärger über die Einbindung der Fraunhofer-Gesellschaft. So beklagen mehrere Forscher von deutschen Universitäten übereinstimmend, Fraunhofer habe bislang keine Rolle beim Bau eines Quantencomputers gespielt. Zudem werde die Expertise im eigenen Land zu wenig berücksichtigt. Ein Beispiel: Q System One von IBM nutzt supraleitende Chips für Qubits. "Dafür gibt es Experten in Deutschland", sagt Wilhelm-Mauch. Sie könnten auch Hardware für den Jülicher Rechner Open Super Q entwickeln, der ebenfalls supraleitende Qubits nutzt. Markus Jerger zeigt einen münzgroßen Zylinder, einen Chip mit vorläufig zwei Qubits. Der Chip kommt von einer schwedischen Universität.

Deutsche Hardwareentwickler sitzen indessen auf dem Trockenen. Aus dem BMBF sei seit der Ankündigung des 650-Millionen-Euro-Programms im September 2018 noch keine Ausschreibung zu Quantencomputern gekommen, beklagen Forscher. Sie konnten also zuletzt kaum Geld für Projekte einwerben.

Das Förderprogramm wirkt zudem üppiger, als es ist: In den vier Jahren wären ohnehin rund 400 Millionen Euro in die Quantentechnologie geflossen, etwa über die Grundausstattung für die Institute. Diese Summen sind in den 650 Millionen Euro bereits enthalten. Lediglich mit 1,8 Millionen Euro fördert das BMBF laut Förderkatalog Projekte im Bereich Quantencomputing, also die Entwicklung von Hardware. "So wird es uns nicht gelingen, Hardware auf Augenhöhe zu entwickeln", sagt Wilhelm-Mauch.

Ohne diese könnte es auch schwierig werden, Anwendungen zu schreiben. Denn dass Algorithmen ohne viele Qubits und Fehlerkorrektur auskommen, ist nicht gesichert. So präsentierte ein für Google arbeitender Physiker einen Algorithmus, der auf bald verfügbarer Hardware laufen soll. Ein Forscher von Intel jedoch berechnete, dass es mehrere Hundert Qubits bräuchte, um damit einen herkömmlichen Rechner zu übertrumpfen. Eine solche Maschine sehen Experten in weiter Ferne. Der Drang zu Anwendungen könnte sogar in der Sackgasse enden. Die Befürchtung einiger Experten: Uneingelöste Versprechen könnten zu einer Art "Quantenwinter" mit gekürzten Mitteln führen.

Auch die Festlegung auf einzelne Techniken wie supraleitende Qubits könnte verfrüht sein; schließlich werden auch Qubits aus Atomen, Lichtteilchen oder Elektronen erforscht. "Es ist noch unklar, welche Art von Qubits das Rennen machen wird", sagt Wilhelm-Mauch. Plausibel sei ein hybrides System, in dem etwa Ionen-Qubits rechnen und Qubits aus Lichtteilchen Informationen übertragen. Einzelne Institute könnten die Integration dieser Techniken aber nicht leisten. Der Physiker regt eine europäische Allianz nach dem Vorbild von Airbus an, um gegen die Amerikaner konkurrieren zu können.

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