Süddeutsche Zeitung

Verhaltensbiologie:Das bin ich!

Putzerfische erkennen auf Fotos ihr eigenes Gesicht. Was wissen die wenige Zentimeter kleinen Tiere sonst noch über sich selbst?

Von Tina Baier

Putzerfische sind so etwas wie die Friseure der Meere. In ihre Unterwasser-Salons kommen andere Fische als Kunden, um sich Parasiten vom Körper und aus dem Maul fressen zu lassen. Als Lohn für diesen Service beißt der Putzer ab und zu ein Stück von seinen Kunden ab.

Damit die Kunden trotz der schmerzhaften Bisse immer wieder kommen, gehen Putzerfische taktisch klug vor. Klienten, die sie besonders malträtiert haben, verwöhnen sie beim nächsten Termin mit einer kleinen Massage, bei der sie auf dem Rücken der Kunden reiten. Raubfische werden grundsätzlich nicht gebissen, denn wenn die einmal zurückbeißen sollten, dann war es das mit dem Friseur. Das scheinen Putzerfische zu wissen. Auch wenn andere Fische bei der Arbeit zuschauen, halten sich Putzer zurück und beißen seltener oder gar nicht zu. Es ist, als wollten sie ihren guten Ruf nicht schädigen.

Die nur etwa zehn Zentimeter großen Fische können ihre Kunden also unterscheiden und scheinen sogar zu verstehen, in welcher Situation sich diese befinden und in welcher Beziehung sie selbst zu ihnen stehen. Da wundert es kaum noch, dass sich Putzerfische auch im Spiegel erkennen können - und sogar auf Fotos, wie ein Team um Masanori Kohda von der Osaka Metropolitan University in der Fachzeitschrift PNAS beschreibt.

Nach einem Blick in den Spiegel versuchten die Fische sich einen Parasiten abzukratzen

In einem ersten Experiment brachten die Biologen um Kohda am Hals von Putzerfischen im Labor eine braune Beule aus Kunststoff an, die einem Parasiten ähnelte. Dann beobachteten sie das Verhalten der Tiere in einem Aquarium, an dessen einer Wand sich ein großer Spiegel befand. Nachdem sie sich mit der Beule im Spiegel gesehen hatten, begannen alle Tiere, ihren Hals irgendwo zu reiben, um den vermeintlichen Parasiten wieder loszuwerden. "Unsere Ergebnisse zeigen eindeutig, dass sich Putzerfische selbst im Spiegel erkennen", schreiben die Autoren der Studie.

Was bedeutet das? Manche Verhaltensforscher sind überzeugt davon, dass sich Tiere, die sich selbst im Spiegel erkennen, genau wie Menschen als Individuen wahrnehmen und ein Bewusstsein davon haben, wer sie sind. Außer Putzerfischen haben auch Menschenaffen, Elefanten, Delfine, Pferde und Elstern den Spiegeltest bereits bestanden.

Doch beweist das wirklich, das all diese Tiere ein "Selbst-Bewusstsein" wie Menschen haben? Menschen erkennen sich im Spiegel, weil sie eine Vorstellung davon haben, wie sie aussehen, und dieses mentale Bild mit dem Bild vergleichen, das sie im Spiegel sehen. Ist das bei Putzerfischen ähnlich? Oder steckt ein anderer Mechanismus dahinter, für den ein Bewusstsein seiner selbst gar nicht notwendig ist? Zum Beispiel wäre es möglich, dass die Fische ihre Bewegungen mit denen des Spiegelbilds abgleichen.

Um das herauszufinden, zeigten die Wissenschaftler ihren Versuchstieren anstelle eines Spiegels statische Fotos. Anders als in einem Spiegelbild ist ein Abgleich der Bewegungen in diesem Fall naturgemäß nicht möglich. Jeder Putzerfisch wurde mit vier verschiedenen Fotos konfrontiert, die die Forscher von außen an eine Seite des Aquarium hielten: mit einem Foto von sich selbst, mit einem von einem anderen Putzerfisch, mit einem bearbeiteten Bild von einem fremden Putzerfisch mit dem eigenen Gesicht sowie mit einem bearbeiteten Bild mit dem Gesicht eines fremden Putzerfischs auf dem eigenen Körper.

Das Ergebnis war eindeutig: Die Fische attackierten alle Fotos, auf denen ein fremdes Fischgesicht zu sehen war, egal ob es auf dem eigenen Körper saß oder auf einem fremden. Sie sahen darin offenbar Artgenossen, die in ihr Territorium eindringen und ihnen die Kundschaft streitig machen wollten. Fotos mit dem eigenen Gesicht ließen sie dagegen in Ruhe.

Nach Ansicht der Forscher bedeutet das, dass Putzerfische sich auf diesen Fotos selbst erkennen - und zwar anhand ihres Gesichts. Das ist ein Unterschied zu Menschen, die auch ihren Körper auf Bildern und im Spiegel erkennen. Um zu dem Schluss zu kommen, dass das Foto sie selbst zeigt, müssen die Tiere aber wie Menschen eine Art inneres Bild davon haben, wie ihr Gesicht aussieht, das sie dann mit der Abbildung vergleichen. Eine andere Möglichkeit, sich auf einem Foto zu identifizieren, gibt es nach Ansicht der Forscher nicht.

Welche ungeahnten Fähigkeiten haben diese kleinen Fische noch? Ein mentales Bild von sich selbst zu haben, ist ein gigantischer Entwicklungsschritt. Unter anderem gilt es als Voraussetzung für Emotionen, Wünsche und Intentionen und als Zeichen dafür, dass sich der kleine Fisch - ähnlich wie ein Mensch - wahrscheinlich bewusst darüber ist, wer es selbst ist.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5753672
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/wet
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.