Publikationen:Offen, aber mangelhaft

Tierversuche

Lügt die Labormaus? Aussagekräftige Studienergebnisse lassen sich im Tierversuch nur erzielen, wenn eine ausreichend große Zahl von Tieren eingesetzt wird. Auch sollte die Dosierung von Wirkstoffen realistischen Bedinungen entsprechen.

(Foto: dpa)

Open Access gilt als das System der Hoffnung für die Veröffentlichung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Schon jetzt zeigt sich, dass der Weg zum freien Wissen ein steiniger sein wird. Denn das Konzept entblößt seine ersten Schwächen.

Von Kathrin Zinkant

Mice tell lies, Mäuse lügen. So heißt es in der Forschung oft. Und damit die Labortiere erst recht falsche oder verzerrte Daten liefern, helfen Forscher manchmal nach. Das kann ein Cocktail aus Gift sein mit der tausendfachen Dosis Impfstoff, die Mäuse im Test fast sicher schädigt. So war es in einer Studie geschehen, die im vergangenen November im Wissenschaftsjournal Scientific Reports erschien. Japanische Wissenschaftler hatten eine kleine Gruppe Mäuse mit dem in allen realistischen Tests harmlosen Impfstoff gegen das Gebärmuttelhalskrebs-Virus HPV behandelt, um angebliche schwere Nebenwirkungen zu belegen. Anerkannte Kollegen fordern seither vergeblich die Zurücknahme der Studie. Dabei ist das Papier ist nicht bloß ein gutes Beispiel für reichlich schlechte Wissenschaft. Es ist zu allem Überfluss im Internet frei zugänglich. Auch für Impfgegner, denen jedes Argument gegen die lebensrettende HPV-Immunisierung recht ist. Scientific Reports ist ein sogenanntes "Open Access" Journal. Nicht die Leser (oder Bibliotheken) bezahlen für die veröffentlichten Publikationen, sondern die veröffentlichenden Forscher. Es ist ein zunächst merkwürdig anmutendes Prinzip, in das die Forschung allerdings große Hoffnungen setzt. Frei, gerecht und brüderlich soll diese zunehmend beliebte Form des Publizierens sein, mit umfassendem und kostenfreiem Zugang zu all dem Wissen, das in Labors und Denkstuben dieser Welt zusammengetragen und nach guter wissenschaftlicher Praxis veröffentlicht wird.

Zweifelhafte Studien lassen ahnen, dass im neuen Publikationswesen weniger streng begutachtet wird

Forschungsinstitutionen wie die deutsche Max-Planck-Gesellschaft setzen sich vehement für Open Access ein. Und die Politik macht mit: Brüssel hat sich bereits auf einen Zeitpunkt festgelegt, von dem an sämtliche wissenschaftliche Publikationen aus öffentlich finanzierter Forschung in der EU für jedermann kostenfrei erhältlich sein werden. 2020 soll es soweit sein - nach derzeitigem Stand.

Doch abgesehen vom Widerstand der etablierten Fachverlage, die, so wie der Großverleger Elsevier, Umsatzrenditen von bis zu 40 Prozent aus dem Geschäft mit wissenschaftlichen Veröffentlichungen einstreichen und nur widerwillig Open-Access-Varianten in ihr Portfolio übernehmen: Das offene Konzept krankt mittlerweile an einer Reihe von hässlichen Nebeneffekten, mit denen wohl keiner gerechnet hatte. Dazu gehören Qualitätseinbußen. Auffallend häufig finden sich in Open-Access-Publikationen Studien, die mit einfachen Experimenten an wenigen Versuchstieren steile Thesen zu belegen versuchen. Das passiert sogar in Scientific Reports, das von der angesehenen Nature Publishing Group herausgegeben wird. Das Hauptmagazin der Gruppe, Nature, ist eines der beiden wichtigsten wissenschaftlichen Journale der Welt. Auch Ableger wie Nature Medicine sind unter Fachleuten hoch angesehen, zumal die Begutachtung der eingereichten Studien durch Kollegen, das sogenannte "peer review", als besonders streng und penibel gilt. Nur wenige Forscher haben es bisher geschafft, dieses System mit gefälschten Arbeiten zu überlisten. Gleiches gilt für wissenschaftliche Magazinmarken wie Science oder Cell, die ihrerseits eine stattliche Reihe von Journalen veröffentlichen.

Wie aber ist das mit den relativ jungen Open-Access-Journalen, die mal mehr, mal weniger offenkundig mit den großen Mutterblättern verknüpft sind? Auch Nature Communications, Science Advances oder eben Scientific Reports werben damit, dass die eingereichten Arbeiten einem strengen Gutachterverfahren unterzogen werden. Die veröffentlichten Arbeiten sprechen indes zumindest im Fall von Scientific Reports nicht immer dafür. So veröffentlichte das Journal im Dezember und Januar zwei zweifelhafte Studien des umstrittenen Gentechnik-Aktivisten Gilles-Eric Séralini. Eine weitere Studie aus dem Journal sollte den Effekt einer Agrarchemikalie auf die Überlebensfähigkeit von Bienen belegen. Erst in den Details des Papiers offenbarten sich erhebliche methodische Mängel, die das Fazit nicht rechtfertigten. Trotzdem gab die Universität, an der die Studie stattgefunden hatte, vorab eine Pressemitteilung über das zentrale Informationsnetzwerk Eurekalert heraus.

Open Access, so viel wird an diesen Beispielen deutlich, hat ein Qualitätsproblem, das dringend behoben werden muss, bevor diese Publikationsweise zum Standard wird. Zumal Qualität ja beileibe nicht die einzige Sorge ist, mit denen die Verfechter der offenen Publikation zu kämpfen haben. Schamloser Betrug ist ein weiteres, und zwar schon seit Jahren. Im Englischen ist es unter dem Namen "Predatory Open Access Journals" bekannt. Da Wissenschaftler für die Publikation im Open Access zahlen müssen, und zugleich dringend darauf angewiesen sind, möglichst viele ihrer Arbeiten zu veröffentlichen, locken im Internet zahlreiche Open-Access-Journale, die ähnliche Namen tragen wie die seriösen Magazine. Allerdings findet dort weder eine Begutachtung der eingereichten Arbeiten statt, noch gibt es irgendeine Form von Redaktion. Die Pseudo-Verleger streichen lediglich das Geld ein und stellen die Beiträge unbesehen ins Netz.

Wie einfach das funktioniert, haben vor gut zwei Jahren zwei Informatiker demonstriert. Sie reichten eine Arbeit beim Open Access Magazin International Journal of Avanced Computer Technology ein. Allerdings bestand das Papier ausschließlich aus Wiederholungen des Satzes "Get me off your fucking mailing list", nehmen sie mich von der verfluchten Mailingliste herunter. Die Arbeit wurde problemlos akzeptiert. Eine andere Untersuchung zeigte, dass mitunter auch die Namen der Wissenschaftler auf den Webseiten solcher Journale frei erfunden sind. So bewarben sich Forscher mit einem getürkten Profil als Redakteure bei verschiedenen Journalen. Wie die New York Times berichtete, wurde die Bewerberin 48 Mal angenommen und in einem Fall sogar zur Chefredakteurin ernannt. Ihre Name: Anna O.Szust. Auf polnisch heißt das "Betrügerin".

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