Pubertät bei Tieren:Chaos im Affenhirn

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Die Affen rasen durch den Wald? Während der Adoleszenz wohl noch häufiger als sonst. (Foto: F1online)
  • Auch bei vielen Tieren ist die Pubertät eine anstrengende, aufregende und gefährliche Lebensphase.
  • Bei heranwachsenden Gazellen, Mäusen und Makaken beobachten Forscher etwa verstärkt Impulsivität und Risikofreude.
  • Affen, Elefanten und Delfine grenzen sich während der Adoleszenz zunehmend von ihren Eltern ab und schließen sich zu Gangs mit Gleichaltrigen zusammen.

Von Katrin Blawat

Lieber vorsichtig sein statt in die Vollen zu gehen, besser einmal den Rückzug antreten als die Gefahr zu suchen? Ach was. Zurückhaltung ist etwas für Feiglinge, für die ganz Jungen oder die behäbigen Alten - aber doch nichts für Teenager. Wo sie sich beweisen können, wo der Nervenkitzel verheißungsvoller erscheint als alle Warnsignale abschrecken, dort zieht es Halbwüchsige hin. Was Erwachsenen als großer Mist erscheint, halten Teenager oft für eine blendende Idee.

Im Falle von halbwüchsigen Thomson-Gazellen bedeutet das, nicht zu flüchten, wenn ein hungriger Gepard oder Löwe auftaucht. Stattdessen zeigen viele der pubertierenden Paarhufer ein geradezu wahnwitziges Verhalten: Sie laufen auf die Raubtiere zu. Somit enden die Begegnungen zwischen Geparden und den jugendlichen Gazellen in einem von 419 Fällen tödlich. Treffen die Raubkatzen dagegen auf erwachsene Beutetiere, sind sie nur in einem von 5000 Fällen erfolgreich. Das berichtete die Wildtierökologin Clare Fitzgibbon von der University of Cambridge bereits 1994 im Fachblatt Behavioral Ecology and Sociobiology.

Das Gehirn pubertierender Makaken ähnelt dem von heranwachsenden Menschen

Doch was soll man zu den unvernünftigen, abenteuerlustigen Gazellenkindern sagen? Es sind halt Teenager, und die machen eine besondere Zeit durch. Auch für Tiere ist der Übergang von der Kindheit ins Erwachsenenstadium anstrengend, aufregend, verunsichernd und gefährlich. Die Veränderungen, die halbwüchsige Affen, Elefanten, Gazellen, Ratten, Goldhamster oder Meerschweinchen erfahren, lassen sich in mancher Hinsicht tatsächlich mit denen menschlicher Pubertierender vergleichen.

So bestätigten kürzlich Wissenschaftler am Beispiel von Makaken, dass sich die Vorgänge im Gehirn heranwachsender Affen und Menschen ähneln. In beiden Fällen handeln die Halbstarken besonders häufig impulsiv. Das könnte daran liegen, dass sich in der Teenagerzeit die neuronalen Verbindungen im Gehirn so verändern, dass die Individuen später planvoll vorgehen können, wie Christos Constantinidis von der Wake Forest School of Medicine und Beatriz Luna von University of Pittsburgh im Fachjournal Trends in Neuroscience schreiben.

Und während dieser Umbauten herrscht eben Chaos im Kopf. In welchem Alter ein Tier zum Teenager wird, hängt unter anderem von der Lebenserwartung und dem Geschlecht ab. Dabei sprechen Biologen genau genommen von Adoleszenz, wenn sie das allmähliche Herausreifen aus der Kindheit mitsamt seinen Verhaltensänderungen meinen. Demgegenüber bezeichnet Pubertät das Erlangen der Geschlechtsreife und stellt einen Teil der Adoleszenz dar. Elefanten zum Beispiel können um die 65 Jahre alt und theoretisch bereits mit acht Jahren trächtig werden. "Meist bekommen sie ihr erstes Kalb jedoch mit etwa 14 Jahren", sagt die Biologin Phyllis Lee von der schottischen University of Stirling, die sich seit Langem mit Elefanten und ihrer Entwicklung beschäftigt. Elefantenbullen beginnen im Alter von zehn Jahren mit der Produktion von Spermien, doch erst mit etwa 25 Jahren fangen sie an, mit anderen Bullen um fruchtbare Kühe zu konkurrieren.

Die meisten anderen Tiere sind weniger langlebig und erreichen die Adoleszenz deutlich früher. Bei Thomson-Gazellen setzt sie mit neun Monaten ein, bei Löwen, Tüpfelhyänen und Hunden mit anderthalb Jahren und bei Makaken mit etwa dreieinhalb Jahren. In dieser Zeit zeichnen sich die Tiere nicht nur durch Impulsivität und Risikofreude aus. Auffällig ist auch ihr Drang, Neues zu erkunden. Nie ist die Lust, aus dem vertrauten Umfeld in eine unbekannte Welt aufzubrechen, stärker ausgeprägt als in diesem Entwicklungsstadium. Setzt man etwa halbwüchsige Mäuse oder Ratten in eine fremde Umgebung, wirkten sie geradezu hyperaktiv, schreibt die Psychologin Linda Spear von der New Yorker Binghamton University in Neuroscience and Biobehavioral Reviews. Artgenossen anderer Altersstufen reagieren in der gleichen Situation eher schreckhaft, bei ihnen dominiert die Furcht über die Neugier. Heranwachsende jedoch sind motiviert und mutig genug, die Welt außerhalb ihrer Kinderstube kennenzulernen. So erfüllen Impulsivität und die Lust auf Neues während der Adoleszenz bei Tier und Mensch eine wichtige Funktion, sagt Beatriz Luna.

Wie in Bezug auf ihre Umgebung tauschen Tiere an der Schwelle zum Erwachsenenalter oft auch in ihren sozialen Beziehungen Bewährtes gegen Unbekanntes. In der Adoleszenz lösen sich etwa Affen, Elefanten und Delfine zunehmend von ihren Müttern und schließen sich zu Gangs mit Gleichaltrigen zusammen. Einer verbreiteten Theorie zufolge dient diese Abnabelung dazu, Inzucht zu vermeiden. Im Unterschied zum Menschen brechen jedoch die Teenager vieler Tierarten den Kontakt zu ihren Eltern von diesem Zeitpunkt an vollständig ab.

Ohne Kratzer und Schrammen verläuft diese Abnabelung selten, Rüpeleien gehören während der Adoleszenz zur Tagesordnung. Vor allem aber bieten die Bachelor-Gruppen - sie bestehen meist aus jungen Männchen - Schutz. "Die Ursprungsgruppe zu verlassen ist immer riskant", sagt Elefanten-Expertin Lee. "Bachelor-Gruppen reduzieren die Gefahr, die von Raubtieren und Wettkämpfen mit anderen, älteren Männchen ausgeht." Vermutlich fördere die Selektion daher bei vielen Arten die Geselligkeit während der Adoleszenz.

Junge Elefantenkühe machen wenig Quatsch, sie kümmern sich lieber um fremden Nachwuchs

Sich in dieser Phase angemessen sowohl gegenüber Gleichaltrigen als auch erfahrenen Artgenossen zu verhalten, gleicht für männliche Teenager auch im Tierreich einem Tanz auf einem schmalen Grat. Anderen Jünglingen gegenüber gilt es, sich zu behaupten, fruchtbare Weibchen wollen bezirzt und deren bisherige Partner gleichermaßen beeindruckt wie beschwichtigt werden. Diesen Spagat meistern etwa männliche Ratten und Delfine, indem sie während der Adoleszenz besonders viel spielen - vermutlich, um sich in geschmeidigem Sozialverhalten zu üben und zugleich gute Stimmung zu machen. Junge Primatenmännchen verlegen sich dagegen vor allem auf wohlwollende Gesten wie gegenseitiges Fellkraulen.

Und was ist mit halbwüchsigen Weibchen? Bei vielen Arten interessieren sie sich statt für Gleichaltrigen-Gangs nun stark für fremden Nachwuchs. Heranwachsende Elefantenkühe zwischen sieben und 14 Jahren beispielsweise kümmern sich regelmäßig um ganz junge Kälber, spielen mit ihnen, passen auf sie auf und eilen herbei, wenn ein Kleines um Hilfe ruft.

Es liegt nahe, darin eine Vorbereitung auf die eigene spätere Rolle als Mutter zu erkennen. Zusätzlich zu diesem Durchspielen künftiger Ereignisse findet in der Adoleszenz aber auch - so lautet zumindest eine Theorie - ein Realitätscheck der bisherigen Erfahrungen statt. Wie der Verhaltensbiologe Norbert Sachser von der Uni Münster in seinem Buch "Der Mensch im Tier" schreibt, verlaufe dieses Nachjustieren sinngemäß unter den Gesichtspunkten: "Hat mir meine Mutter das richtige Temperament mit auf den Weg gegeben? Bin ich tatsächlich gut an meine Umgebung angepasst?" Demnach wäre die Adoleszenz eine Zeit, in der sich entscheidende persönliche Weichenstellungen aus der Kindheit noch einmal umkehren ließen. Schließlich könnte sich eine Anpassung, die in der Kindheit noch sinnvoll war, nachteilig auswirken, wenn sich die Umwelt geändert hat.

Wird ein Meerschweinchen als Einzelkind groß, will es seine Partnerin später für sich allein

Belege dafür, wie ausschlaggebend die Adoleszenz den Charakter prägen kann, hat Sachser bei Meerschweinchen gefunden. Bei diesen Nagern entscheidet die Gruppengröße während der Teenagerzeit darüber, ob sich ein Männchen später problemlos in eine größere Kolonie mit älteren Geschlechtsgenossen einfügen kann, oder ob es sich nur in einer exklusiven Zweierbeziehung wohlfühlen wird. Letzteres tritt ein, wenn ein adoleszentes Männchen keine andere Gesellschaft als ein einzelnes Weibchen hatte. Ähnlich verhält es sich bei Zebrafinken, und auch bei Mäusen und Goldhamstern haben Forscher Hinweise darauf gefunden, dass ihre sozialen Erfahrungen als Teenager maßgeblich mit darüber bestimmen, ob sie sich zu ängstlichen oder ausgeglichenen Erwachsenen entwickeln. Die Adoleszenz ist eben nicht nur eine schwierige, sondern auch eine lernintensive Phase. Nicht nur beim Menschen.

© SZ vom 05.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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