Psychosomatik:Balsam für die Neuronen

Lesezeit: 3 min

Gefühle spiegeln sich in Kopf und Körper wider: Genetiker und Neurobiologen erkennen zunehmend, wie negative Emotionen krank machen - und Glück gesund erhält.

Werner Bartens

Für James Watson ist der Mensch recht einfach gebaut. "We are nothing but a pack of neurons", sagt der 81-jährige Nobelpreisträger, der vor mehr als einem halben Jahrhundert gemeinsam mit Francis Crick die Molekülstruktur der DNS entschlüsselt hat. Dass "wir nur ein Haufen Neuronen sind", würden aber sogar hartnäckige Laborforscher vermutlich als Simplifizierung empfinden. Andererseits finden Wissenschaftler derzeit immer mehr Beweise dafür, wie sich Gefühle und Erfahrungen im Körper niederschlagen und beispielsweise Hormonspiegel verändern, Nerven aktivieren oder die Erregungsleitung des Herzens beeinflussen.

Für die "Psycho-Fächer" bedeutet die Vielzahl der neuen experimentellen Befunde eine Umorientierung - womöglich liegt ihr Arbeitsschwerpunkt künftig eher im Labor als beim Patienten. Der Kongress für Psychosomatik und Psychotherapie vergangene Woche in Berlin hatte konsequenterweise den Titel "Chronische Krankheiten im Spannungsfeld zwischen molekularer Medizin und personaler Heilkunde".

Die anregendsten Erkenntnisse ließen sich zweifellos aus neueren experimentellen Befunden ableiten. Christine Heim von der Emory Universität in Atlanta zeigte, wie sich frühe Stresserfahrungen auf das Gehirn auswirken und die Neigung zur Depression verstärken können. Aus epidemiologischen Untersuchungen ist bekannt, dass Menschen, die in ihrer Kindheit und Jugend traumatisiert worden sind, später viermal häufiger an einer Depression erkranken. Mittlerweile erkennen Forscher, was dabei im Gehirn vor sich geht, sodass es zeitlebens verletzlicher ist und stärker auf Belastungen reagiert. "Körperliche Misshandlungen wie auch emotionale Vernachlässigung sind negative soziale Lernerfahrungen", sagt Heim. "Leider prägt sich das dauerhaft ein."

Besonders gesundheitsschädlich ist eine permanent hochregulierte Stressreaktion des Körpers. Stimuliert vom Hypothalamus schüttet die Hirnanhangdrüse das Hormon ACTH aus, was wiederum die Cortisolfreisetzung in der Nebennierenrinde anfeuert. Herzrasen, Anspannung, beschleunigte Atmung und ein Stoffwechsel auf Hochtouren sind die Folge. Diese Alarmreaktion ist bei kurzfristiger Belastung sinnvoll - auf Dauer macht sie krank. Heims Team konnte zeigen, dass unter Stress der Pegel des C-reaktiven Proteins im Nervenwasser erhöht ist; der Eiweißstoff zeigt diverse entzündliche Prozesse im Körper an.

In Tierversuchen hatte sich ergeben, dass bei Ratten unter chronischem Stress sogar jene Zentren im Gehirn kleiner bleiben und gehemmt werden, die das Gefühlserleben modulieren. In jüngster Zeit wurde eine Verkleinerung des Hippocampus und eine gestörte Neubildung der dortigen Nervenbahnen auch bei Frauen beobachtet, die ein frühkindliches Trauma erlitten hatten und später an einer Depression erkrankt waren. Der Hippocampus ist für die Verarbeitung von Gedächtnis- wie Gefühlsinhalten von zentraler Bedeutung.

Wie können Männer ihre gestressten Frauen am schnellsten beruhigen? Eine simple Methode hilft. Mehr dazu auf der kommenden Seite.

Der kanadische Neurobiologe Michael Meaney hat kürzlich gezeigt, dass Menschen nach Missbrauch weniger Glucokortikoid-Rezeptoren ausbilden. Sind nur wenige dieser Andockstellen für Kortison und Co. vorhanden, zirkulieren die Stresshormone länger im Körper und die Alarmreaktion klingt nicht so schnell ab.

Psychosomatiker und Therapeuten erforschen aber nicht nur die Folgen negativer Erfahrungen auf Geist und Körper, auch wenn sie in der Behandlung hauptsächlich damit zu tun haben. Andrew Steptoe von der Universität London zeigte, wie positive Affekte die Gesundheit verbessern können. Durch gute Gefühle sinken nicht nur Blutdruck, Herzfrequenz und Stresshormone ab - auch Entzündungswerte und Faktoren der Blutgerinnung werden von angenehmen Emotionen gedämpft. Zwar wird das Blut im Streit und unter Stress auch bei zufriedenen Menschen zähflüssiger, doch die Werte normalisieren sich schneller wieder. So ist das geringere Risiko für Infarkte Thrombosen und Schlaganfälle bei glücklichen Zeitgenossen zu erklären. Auch unter Husten, Schnupfen und Heiserkeit leiden sie seltener.

Erstaunlich ist, wie unterschiedlich Männer und Frauen Stress erleben. Werktage empfinden Männer wie Frauen ähnlich belastend. Am Wochenende sind Frauen jedoch weniger glücklich als Männer. Womöglich liegt das daran, dass sie ihren Partner dann länger zu ertragen haben - und er nicht weiß, was ihr gut tut. Dafür sprechen auch die Befunde von Markus Heinrichs von der Universität Freiburg. Er konnte zeigen, dass Männer ihren Frauen in belastenden Situationen dann am besten helfen, wenn sie ihnen den Nacken massieren und ansonsten schweigen. Versuchten Männer die Frauen verbal zu beruhigen, während sie unter Stress standen, hatte dies hingegen kaum positive Auswirkungen auf die körperliche Alarmreaktion.

Die meisten Forscher waren sich in Berlin zwar einig, dass es faszinierende neue Erkenntnisse über die Nerven und Moleküle der Gefühle gibt. "Wir stehen aber ganz am Anfang", sagt Burghard Klapp, Leiter der Psychosomatik an der Charité. "Noch haben wir beispielsweise keine klaren Beweise, dass durch Psychotherapie die hormonellen und neurologischen Veränderungen im Körper auch wieder rückgängig gemacht werden."

"Psychotherapie ist mehr als Krankengymnastik für Neuronen", sagt Peter Henningsen, Chef der Psychosomatik an der TU München. Das Labor und ein paar Blutwerte könnten nicht die Beschäftigung mit den Patienten ersetzen. "Bei aller Begeisterung über neue Forschung ist es wichtig, nicht die Ebene des subjektiven Erlebens und der Arzt-Patienten-Beziehung zu vernachlässigen." Mit dem objektivierenden Blick der Laborforscher, die Patienten in der Dritten Person beschreiben und verallgemeinern, gerate das Verhältnis zwischen Medizinern und Kranken schnell in den Hintergrund. Für die Gesundung sei die Beziehung aber unabdingbar. "Allen Ärzten sollte klar sein, dass bei körperlichen Beschwerden das Erleben und Verhalten der Patienten darüber mitbestimmt, wie die Krankheit verläuft", sagt Henningsen.

© SZ vom 24.03.2010/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: