Psychologie:Zahlen fürs Prahlen

Hong Kong Skyline As Hong KongÕs Economic Hit Spurs Opposition To Protest Actions

Ohne Selfie war man nicht dabei: Touristen fotografieren sich vor der Skyline von Hongkong.

(Foto: Tomohiro Ohsumi/Bloomberg)

Ein Selfie vor toller Kulisse? Aber ja doch, die Likes auf Facebook scheinen sicher. Dass der Aufbau sozialer Anerkennung etwas komplexer ist, haben Harvard-Psychologen in einer neuen Studie nachgewiesen. Sie zeigt: Selbstdarstellung kann schnell nach hinten losgehen.

Kim Björn Becker

Den Wettkampf um das beste und glücklichste Leben bestreiten viele Menschen heute virtuell, bevorzugt auf Facebook, und ihn gewinnt für gewöhnlich, wer die meisten "Gefällt mir"-Angaben auf sich vereinigen kann. Herausragende Erlebnisse firmieren dabei als Treibstoff, mit dem sogenannte "Likes" generiert werden können: Das Video vom Himalaja, ein Foto aus dem Stadion während des WM-Finales, ein Selfie mit der Kanzlerin.

Forscher von der amerikanischen Harvard-Universität haben nun etwas herausgefunden, das für Menschen mit einem eher durchschnittlichen (Facebook-)Leben wohl recht tröstlich sein dürfte: Die meisten Versuche, ein spektakuläres Erlebnis zur Maximierung von gesellschaftlicher Anerkennung zu instrumentalisieren, schlagen fehl - zumindest im Labor. "Außergewöhnliche Erfahrungen sind nur im jeweiligen Moment ein Vergnügen, langfristig können sie uns sozial ärmer dastehen lassen", sagt Gus Cooney, Psychologe und einer der Autoren der Studie.

Um den sozialen Effekt besonderer Erfahrungen zu messen, spielten die Forscher den Probanden Kurzfilmen vor. Dabei wurden je vier Teilnehmer einer Gruppe zugeordnet. Drei von ihnen wurde ein langweiliges Video gezeigt: eine eher schlecht gemachte Animation, die in einer unabhängigen Bewertung nur zwei von fünf Sternen erhielt.

Das vierte Gruppenmitglied hingegen bekam einen Film von einem Zauberer vorgeführt, der in der Fußgängerzone Tricks aufführt. Das Video erhielt vier von fünf Sternen und taugt damit potentiell als wertvoller Inhalt in sozialen Netzwerken. Anschließend sollten die Probanden in ihrer Vierer-Gruppe über ihre Erlebnisse sprechen. Danach wurden sie - wie auch schon vor der Filmvorführung - zu ihrem Befinden befragt.

Das Ergebnis: Vor der Filmvorführung waren Alle in ähnlicher Laune, auf einer Skala von 0 bis 100 lag der Mittelwert zwischen 68 und 69 Punkten. Nach der Unterhaltung hingegen zeigte sich ein völlig anderes Bild: Jene, die etwas Außergewöhnliches erlebt (also den Film mit dem Zauberer gesehen) hatten, fühlten sich schlechter - im Mittel machten sie bei 53 Punkten ihr Kreuz. Die Gruppe der "Gewöhnlichen" kommt im Schnitt auf 64 Zähler.

Der Grund dafür ist eindeutig: Jene, die innerhalb der Gruppe als einzige das Zauberer-Video gesehen hatten, fühlten sich durch ihr besonderes Erlebnis aus der Unterhaltung ausgeschlossen. Auf einer Skala von 0 bis 100 kreuzten sie als Wert für ihr Gefühl der Ausgrenzung im Schnitt die 80 an. Bei den übrigen Teilnehmern lag der Wert der Ausgrenzung lediglich bei 51 Punkten. "Wenn ein Erlebnis Dich zu jemandem macht, der nichts mit den anderen gemein hat, dann wird es Dich auf Dauer nicht glücklich machen, egal wie gut es war", sagt Gus Cooney.

Die Ergebnisse widersprachen allen Erwartungen

Bemerkenswert ist auch: Die meisten Menschen haben überhaupt kein Gespür dafür, dass ein solches Erlebnis sie überhaupt zu Außenseitern machen könnte. In einer Kontrolluntersuchung, die auf demselben Schema aufbaute, äußerten die Probanden die Erwartung, dass die Zuschauer des Magier-Videos einen positiven sozialen Effekt aus dem exklusiven Erlebnis ziehen würden. Dass sie in der darauffolgenden Unterhaltung ausgegrenzt werden würden, hielt niemand für denkbar.

"Die Teilnehmer an unserer Studie dachten fälschlicherweise, dass ein solches Erlebnis sie zum Star der Unterhaltung machen würde. Doch sie irrten sich", sagt Cooney. "Außergewöhnlich zu sein bedeutet, anders zu sein als andere. Und soziale Interaktion basiert immer auf Gemeinsamkeiten."

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