Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Weniger Stress, mehr Mitgefühl

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Kaum sinkt der Stress, zeigen Menschen deutlich mehr Empathie gegenüber anderen. Diese "Gefühls-Ansteckung" funktioniert selbst bei Mäusen. Und sie lässt sich auch künstlich herbeiführen, wie Forscher nun ermittelt haben.

Von Werner Bartens

Mitgefühl ist eine Luxus-Emotion. Zu dieser Einschätzung kann man durchaus kommen, denn Menschen wie Tiere leisten es sich nur zu ausgewählten Gelegenheiten, mitfühlend zu sein. Wie sonst ist es zu erklären, dass zur Empathie fähige Lebewesen mal einfühlsam nachspüren, wie es ihren Nächsten geht - und dann wieder dumpf und unberührt vom Schicksal anderer sind? Alles eine Frage von Konkurrenz, Stress und anderen Belastungen, behaupten Psychologen aus Kanada und den USA in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts Current Biology (online). Wenn der Stress abnimmt, ist automatisch mehr Raum für Mitgefühl - und zwar bei Menschen wie Mäusen.

Das Team um Loren Martin von der McGill University in Montreal hat in verschiedenen Konstellationen untersucht, wie Freiwillige auf Schmerzreize reagierten, die ihnen oder ihren Nachbarn zugefügt wurden. Sie waren dabei entweder allein, in Gesellschaft von Freunden oder mit Fremden zusammen. In ungewohnter Atmosphäre und von Fremden umgeben, waren die Probanden angespannt. Sie zeigten weniger Mitgefühl mit anderen, deren Hand in Eiswasser getaucht wurde. Wurden sie selbst der Pein ausgesetzt, teilten sie ihre Empfindungen weniger mit und zeigten geringere Schmerzreize an, wenn Unbekannte neben ihnen saßen.

Wird der Stress künstlich gesenkt, werden plötzlich auch Fremde umsorgt

In vertrauter Gesellschaft hingegen fühlten die Teilnehmer stärker mit anderen mit, und ihre Mimik wie Gestik signalisierte deutlicher den eigenen Schmerz, wenn sie Kälte ertragen mussten. "Der Grund dafür, dass Empathie zwischen Fremden seltener ist, heißt ganz einfach Stress", sagt Jeffrey Mogil, der Leiter der Arbeitsgruppe. "Besonders sozialer Stress durch die Nähe Fremder blockiert unsere Anteilnahme." Die "Gefühlsansteckung" funktioniert dann nicht so gut.

In weiteren Versuchen wurde das Stressniveau experimentell gesenkt: Versuchsmäuse bekamen ein Medikament, mit dem die Synthese des Stresshormons Cortisol blockiert wird. Auch menschliche Probanden nahmen das Mittel oder entspannten sich bei dem Musikvideospiel Rock Band, in dem ein Song gemeinsam nachgeahmt wird. In der Folge konnten Menschen wie Mäuse das Leid der anderen intensiver nachvollziehen, auch wenn es Fremde waren. Nach nur 15 Minuten Videospiel war der Stress genauso verflogen wie nach der Gabe des Medikaments - und die Bereitschaft zum Mitgefühl größer. Die Tiere verhielten sich umsorgend, wie sie es sonst nur tun, wenn Käfiggenossen leiden.

"Gemeinsame Erfahrungen, und seien sie auch nur kurz und oberflächlich, können aus einem Bedrohungsszenario eine Komfortzone machen", sagt Mogil. "Daraus entwickelt sich bereits erstaunlich viel Mitgefühl, und aus einem Mangel wird ein Übermaß." Fremdheitsgefühle und Anspannung im Miteinander abzubauen, sei daher das oberste Ziel. Schließlich wissen Psychologen, dass es schon reicht, für denselben Fußballclub oder die gleiche Band zu schwärmen, um Mitgefühl für andere zu empfinden.

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Quelle:
SZ vom 16.01.2015
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