Psychologie:Warum wir politischen Gegnern nichts zutrauen

Vor den Kongresswahlen in den USA

Anhängerin von Donald Trump vor den Kongresswahlen in den USA

(Foto: dpa)
  • Politischen Gegnern traut man grundsätzlich kaum etwas zu, auch jenseits des Politischen.
  • Das zeigt eine Studie im Fachjournal Cognition. In einem Experiment hielten Probanden diejenigen Teilnehmer am kompetentesten, mit denen sie politische Überzeugungen teilten.
  • Psychologen vermuten, dass durch solche Effekte das Lagerdenken verstärkt wird.

Von Sebastian Herrmann

Es ist immer wieder eine niederschmetternde Überraschung, wenn jemand eine grundsätzlich andere Meinung hegt. Die meisten Menschen gehen schließlich mit der impliziten Ansicht durch ihr Leben, dass wenigstens ihr Umfeld die Dinge mehr oder weniger genauso wahrnimmt und bewertet wie sie selbst. Doch dann enttarnt sich jemand und äußert eine Ansicht, die einem gründlich gegen den Strich geht. Und statt wenigstens halbwegs kühl über die eben vorgebrachten Gegenargumenten nachzudenken, fällt die Reaktion meistens ziemlich menschlich aus: "So ein Trottel", denkt man sich und fragt sich, warum der andere so verblendet ist.

Wie umfassend der psychische Abwehrreflex gegen politisch Andersdenkende ausfallen kann, demonstrieren nun Psychologen um Joseph Marks und Tali Sharot vom University College London im Fachjournal Cognition. Politischen Gegnern trauen wir demnach grundsätzlich gar nichts zu, auch jenseits des Politischen. Anders gesagt: Wer etwa in der Migrationspolitik andere Ansichten vertritt, gilt einem auch in seiner Eigenschaft als Handwerker, Ärztin, Anwältin oder Finanzplaner als inkompetent.

Wer tickt wie man selbst, bekommt einen Heiligenschein

Die Ergebnisse der Psychologen lassen sich auch genau anders herum ausdrücken: Menschen neigen dazu, Gleichgesinnte in übertrieben positivem Licht zu betrachten. Das gilt in Zeiten wachsender politischer Polarisierung besonders, da das grassierende Lagerdenken auch das allzu menschliche Wir-gegen-Sie-Denken und die damit verknüpfte Dämonisierung der Gegenseite verstärkt. Gegenwärtig klingt in vielen Debatten oft durch, dass man eine Seite wählen müsse und alleine schon durch Schweigen dem Bösen Vorschub leiste. Ganz anders werden hingegen die Mitglieder des eigenen politischen Teams betrachtet: Wer tickt wie ich, der bekommt einen Heiligenschein. "Wenn wir etwa auf Social-Media-Kanälen mitbekommen, dass jemand dem gleichen politischen Lager angehört, akzeptieren wir auch dessen Meinung zu unzähligen anderen Themen mit höherer Wahrscheinlichkeit", sagt Sharot.

Grundsätzlich halten Menschen Informationen eher für korrekt, wenn sie zu ihren Ansichten passen und diese bestätigen. Deswegen konsumieren die meisten auch Nachrichtenangebote, die ihre politischen Einstellungen unterfüttern und schmähen andere Angebote als Fake-News-Fabriken. Genauso fühlen sich Aussagen aus dem Munde eines Verbündeten besonders richtig an. Das Team um Marks und Sharot zeigt nun jedoch, dass diese Illusion sogar dann wirkt, wenn die Beteiligten zuvor explizite Informationen über die Expertise eines anderen erhalten haben. Statt diese kühl zu berücksichtigen, vernebelt auch unter diesen Umständen Politik die Einschätzung.

Die Wissenschaftler ließen Probanden geometrische Figuren kategorisieren, sie sollten einigermaßen komplexe Formen korrekt benennen. Jeder Teilnehmer hatte vier Co-Spieler über einen Rechner zur Seite, hinter denen jedoch Algorithmen steckten. Zusätzlich wurden während des Prozederes Fragen zu politischen Themen gestellt, zum Beispiel zu Flüchtlingen. Schließlich, ja, das ist einigermaßen kompliziert, durften die Teilnehmer sich Hilfe für die Geometrie-Aufgaben holen und die Antwort eines der Co-Spieler sehen, bevor sie sich selbst festlegen mussten. Die rationale Strategie wäre dabei gewesen, sich auf die Expertise jener Mitstreiter zu verlassen, die in den Runden zuvor mit guten Ergebnisse aufgefallen waren. Die Forscher hatten dafür gesorgt, dass einige der vermeintlichen Co-Spieler besonders gut oder besonders schlecht darin waren, geometrische Formen zu benennen.

Ob der andere sich auskennt? Egal, Hauptsache er vertritt die gleichen Ansichten wie man selbst

Doch die meisten Probanden entschieden sich dafür, auf die Expertise Gleichgesinnter zu setzen. Sie vertrauten stärker auf die Hilfe durch einen Co-Spieler, der die gleichen politischen Ansichten hegte. Dahinter, das muss betont werden, verbarg sich keine reine Bockigkeit: "Die Teilnehmer überschätzten die Expertise ihrer gleichgesinnten Mitspieler tatsächlich", sagt Sharot. Sie waren sich ihrer irrationalen Entscheidung nicht bewusst.

"Dahinter steckt eine Form des Halo-Effektes", sagt Marks. Darunter verstehen Psychologen den Umstand, dass eine positive Eigenschaft auf weitere abstrahlt: So werden schönen Menschen automatisch weitere positive Attribute zugeschrieben oder etwa fair gehandelte Lebensmittel - auch das haben Studien gezeigt - zugleich als gesund wahrgenommen. In beiden Fällen handelt es sich jedoch nur um ein Gefühl und nichts anderes. Doch dieses wirkt so mächtig, dass es die Urteilskraft beeinträchtigt. So trauen wir also Gleichgesinnten so gut wie alles und Kontrahenten gar nichts mehr zu.

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