Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Unbewusster Lügencheck

Selbst Schimpansen können lügen und Lügen durchschauen. Der Mensch versagt hingegen oft darin, Täuschung zu erkennen. Steht ihm sein Bewusstsein im Weg?

Von Christoph Behrens

Selten ist der Fall so klar wie bei der Nase Pinocchios. Sobald die Puppe lügt, wird ihre Nase länger - ein untrügliches, messbares Zeichen für Schwindelei. Beim Menschen ist die Sache nicht so einfach: Auch bei dieser Spezies gibt es zwar scheinbar Anzeichen, ob jemand lügt. Die Hände fangen an zu schwitzen, die Augen rollen nervös hin und her, der Schwindler fängt zu zittern an oder weicht dem Blick aus. Dennoch gehen Lügen erstaunlich oft durch.

In Experimenten gelingt es Testpersonen im Durchschnitt nur in 47 Prozent der Fälle, eine Lüge als solche zu enttarnen. Da wäre es sogar schlauer, nur eine Münze zu werfen. Forscherinnen der US-Universität Berkeley überraschen nun mit einer neuen These. Äußere Anzeichen könnten beim Versuch, Lügen bewusst aufzuspüren, sogar in die Irre führen, schreiben Leanne ten Brinke und Dana Carney im Fachblatt Psychological Science. "Beweise deuten darauf hin", schreiben die Forscherinnen, "dass Teile des menschlichen Gehirns automatisch und unbewusst Täuschung aufspüren können". Demnach würde es nur stören, wenn man vorsätzlich auf äußere Zeichen wie Unruhe achtet. Solche Stereotype könnten das Urteil vielmehr nachteilig beeinflussen. Es gebe eben kein einheitliches Lügensignal wie Pinocchios Nase. Und geschulte Lügner wissen um verräterische Mimik und Gestik, und trainieren sie sich ab.

Dass Bewusstsein nicht zur Täuschung und deren Aufdeckung nötig ist, zeigen schon Beobachtungen an Affen. Schimpansen erkennen unehrliche Artgenossen, die etwa Futter vor ihnen versteckt haben, intuitiv (und stehlen dann ihrerseits das Futter wieder). Kapuzineräffchen deuten falsche Alarmrufe, die sie von einem Leckerbissen weglocken sollen, als Lügen. Die Fähigkeit, solche Täuschungsmanöver zu durchschauen, ist evolutionär von Vorteil und daher wohl tief verankert. Mit Bewusstsein habe es nicht unbedingt zu tun, so die Wissenschaftler.

Stehlen Sie das Geld aus dem Umschlag!!!

Um ihre Hypothese zu testen, ersannen die Forscher ein Experiment. Sie versteckten 100 US-Dollar in einem Umschlag und legten diesen in einen Raum. Dann erhielten zwölf Probanden nacheinander auf einem Zettel die Anweisung, das Geld an Ort und Stelle zu lassen - oder den Umschlag einzustecken: "Stehlen Sie das Geld aus dem Umschlag!!! Seien Sie sehr leise. Verstecken Sie das Geld in Ihrer Kleidung" stand dann auf dem Zettel. Anschließend betrat der Wissenschaftler den Raum wieder und verhörte die Diebe und die Unschuldigen. In jedem Fall mussten die Probanden versuchen, ihn zu überzeugen, unschuldig zu sein (sonst durften sie das Geld nicht behalten). Sechs logen also, sechs sagten die Wahrheit.

Von diesen Verhören fertigten die Forscherinnen Videos an und zeigten sie 72 anderen Probanden - diese mussten dann entscheiden, ob die Person schwindelte oder ehrlich war. Bei der Zuordnung versagten die Zuschauer durchwegs - weniger als jedes zweites Mal vermochten sie, Dieb und Unschuldigen auseinanderzuhalten.

Um das unterbewusste Urteil zu messen, ließen sich die Forscher einen Trick einfallen: In einem sogenannten "impliziten Assoziationstest" mussten die Zuschauer auf einem Bildschirm in schneller Zeit Fotos und Namen der Diebe oder Unschuldigen mit Worten wie "ehrlich", "verschlagen", "ungültig", "wahr" verbinden. Mit Lügnern assoziierten die Zuschauer spontan eher negative Begriffe - daraus schließen die Forscher, dass der unbewusste Mechanismus weit besser funktioniert als der bewusste. "Das deutet darauf hin, dass ein automatischer und unbewusster Vorgang im Gehirn aktiviert wird, sobald man Lügner betrachtet", schreiben die Forscher.

Unbekannte Prozesse im Gehirn

Nur wie läuft dieser Mechanismus im Gehirn ab, und woran orientiert er sich? Obwohl Lügendetektoren bei Ermittlungen in einigen Ländern schon zum Einsatz kommen, wissen Wissenschaftler erstaunlich wenig über die Grundlagen der Lüge. Klar scheint bislang nur, dass drei Bereiche im Gehirn aktiv werden, die für das Erkennen von Gefahren, Einfühlungsvermögen gegenüber anderen Menschen und allgemeinen Ungereimtheiten zuständig sind.

Um die genauen Prozesse des Lügens im Gehirn zu klären, sind daher noch viele derartige Experimente nötig. Auch die Universität Chicago beschäftigt sich aktuell mit dem Schwindeln. Für eine Studie bitten die Psychologen nun um Mithilfe: Unter diesem Link (öffnet im selben Fenster) finden sich Videos von Personen, die entweder lügen oder die Wahrheit sagen (auf Englisch). Indem Sie eine Wahl treffen, helfen Sie mit, dem Mechanismus von Lug und Trug wissenschaftlich auf die Spur zu kommen.

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