Psychologie:Sieger im "Marshmallow-Test"

Psychologie: Puff-Puff heißen die Teigbällchen, die bei den Nso in Kamerun als Süßspeise geschätzt werden. Zehn Minuten muss dieses Mädchen aushalten, ohne die Süßigkeit anzutasten - dann bekommt sie zwei statt nur eines Puff-Puff.

Puff-Puff heißen die Teigbällchen, die bei den Nso in Kamerun als Süßspeise geschätzt werden. Zehn Minuten muss dieses Mädchen aushalten, ohne die Süßigkeit anzutasten - dann bekommt sie zwei statt nur eines Puff-Puff.

(Foto: Uni Osnabrück/oh)

Kameruner Kinder zeigen mehr Beherrschung wenn es um eine versprochene Belohnung geht als Gleichaltrige aus Deutschland. Wie ist das zu interpretieren?

Von Sebastian Herrmann

Wie gemein. Da liegt die Versuchung, direkt vor der Nase, auf einem Teller. Genau dort sollen die Schokolade oder der Kuchen auch liegen bleiben - bis der Erwachsene zurückkommt, der eben den Raum verlassen hat. Wenn die Süßigkeit dann nämlich noch unberührt auf dem Teller liegt, so hat es der Erwachsene versprochen, dann verdoppelt er die Portion. Aber wann kommt er endlich? Alleine im Zimmer, ließe sich doch unbeobachtet das bereits Vorhandene naschen. Merkt ja niemand, oder?

Innere Monologe wie dieser schwirren wohl durch den Kopf von Kindern, die den sogenannten Marshmallow-Test durchstehen. Damit untersuchen Psychologen deren Fähigkeit zur Selbstkontrolle. Forscher um Bettina Lamm von der Universität Osnabrück berichten nun im Fachjournal Child Development, dass Vierjährige aus einer ländlichen Region in Kamerun wesentlich besser dazu in der Lage sind, einer unmittelbaren Versuchung zu widerstehen als gleichaltrige Kinder aus Deutschland. Mehr als zwei Drittel der afrikanischen Kinder schafften es, zehn Minuten in Angesicht einer Süßigkeit auszuharren. Sie bekamen zur Belohnung die doppelte Portion. Von den deutschen Kindern gelang dies hingegen nur 28 Prozent.

Die deutschen Kinder zappelten und brabbelten, die aus Afrika blieben still oder schliefen gar ein

Puff-Puff heißen die in Fett ausgebackenen Teilchen, die eine höchst begehrte Süßigkeit unter den Kindern der Nso sind, die im Nordwesten Kameruns leben. Dort baten die Psychologen um Lamm 76 Kinder, sich dem Marshmallow-Test zu unterziehen. Die kleinen Probanden saßen in einem nüchtern gehaltenen Zimmer, auf dem Tisch vor ihnen lag das begehrte Puff-Puff. Die Anzeichen der inneren Kämpfe der Kinder während der einsamen zehn Minuten im Angesicht der Versuchung beobachteten die Forscher per Kamera. Die afrikanischen Kinder offenbarten eine erstaunliche Fähigkeit sich zusammenzureißen - und sie blieben dabei auch ruhig. Die meisten saßen stumm auf dem Stuhl und rührten sich kaum. "Ein paar sind sogar eingeschlafen", sagt Bettina Lamm.

Es war ein enormer Kontrast zu dem Verhalten, das deutsche Kindergartenkinder zeigten. Zum einen fiel es ihnen viel schwerer, die Finger von der Schokolade oder dem Lolli zu lassen, die ihnen als Versuchung vorgesetzt wurden. Zudem konnten sie dabei auch nicht stillhalten, sie kippelten mit dem Stuhl hin und her, redeten mit sich, summten, sangen, liefen herum oder verließen den Raum.

Ein enormer Unterschied, doch wie ist er zu interpretieren? Den Marshmallow-Test ersann der österreichisch-amerikanische Persönlichkeitspsychologe Walter Mischel, der damit in den späten 1960er-Jahren erstmals die Fähigkeit von Kindern zum Belohnungsaufschub testete. Der Forscher begleitete die Entwicklung vieler seiner jungen Probanden über Jahrzehnte und stellte fest: Wer sich als Kind beherrschen konnte, erzielte als Erwachsener höhere Bildungsabschlüsse, war eher stressresistent, beruflich erfolgreicher und verfügte über ein besseres Selbstbewusstsein. Werden die High-Performer der Zukunft also aus Nordwestkamerun kommen und die Loser aus Deutschland belächeln, die sich nicht im Griff haben? Das lässt sich aus den Ergebnissen der aktuellen Studie nicht ableiten, sie zeigt vielmehr den Einfluss unterschiedlicher Erziehungsstile und Gesellschaftsnormen.

"Die Kinder der Nso lernen, sich in die Gruppe einzuordnen", sagt Lamm. Ihre Gesellschaft ist streng hierarchisch organisiert, Gehorsam und Respekt vor höhergestellten Mitgliedern sind wichtige Tugenden. Die Mütter leiten ihre Kinder mit Strenge an. Ziel ist, dass ein jeder seinen Platz in der Gemeinschaft einnimmt. In Deutschland und anderen westlichen Ländern streben Eltern danach, Kinder zu Individuen zu erziehen, ermutigen sie, Emotionen zu äußern und hoffen darauf, dass aus den Töchtern und Söhnen selbstbestimmte Persönlichkeiten werden.

Die einen fügen sich der Situation, die anderen müssen sich selbst davon ablenken

Aus diesen Erziehungsstilen und Gesellschaftsmodellen ergäben sich verschiedene Strategien, der Versuchung im Marshmallow-Test zu widerstehen, so die Psychologen. Die afrikanischen Kinder unterwerfen sich quasi der Situation, sie fügen sich ihr in Stille und üben Gehorsam durch Selbstkontrolle. Die deutschen Kinder zwingt die Versuchung dazu, sich auf ihr Ich zu fokussieren und dieses vom Objekt der Begierde abzulenken. Das machen sie, indem sie zappeln, summen oder singen, um ihren Fokus von der Schokolade zu verschieben. Dass der jeweilige Erziehungsstil wohl einen Einfluss auf die Kinder ausübt, überprüften die Forscher: Sie begleiteten die Kinder von einem Alter von neun Monaten an - bis die Kleinen dann mit vier Jahren den Test machten.

So demonstriert die Studie vor allem, wie sich kulturelle Unterschiede auswirken - was in der Psychologie noch zu wenig berücksichtigt wird. Die meisten Studien werden heute mit Studenten westlicher Universitäten als Probanden durchgeführt. Dass deren Ergebnisse nicht auf Menschen anderer Kulturkreise anzuwenden sind, zeigt die aktuelle Arbeit. Das gilt wohl auch für den Zusammenhang zwischen Beherrschung und Erfolg im Erwachsenenalter: Was Erfolg in Kamerun oder in Deutschland begünstigt und wie dieser definiert wird, unterscheidet sich sicherlich stark. Und ob der Marshmallow-Test auch für Kinder der Nso Prognosekraft hat, muss erst untersucht werden.

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