Unter englischsprachigen Katholiken verbreitete sich vor neun Jahren eine gewisse Erregung. Damals, genauer gesagt am 27. November 2011, beschloss die katholische Kirche in Rom, dass alle Diözesen weltweit künftig die gleiche Bibelübersetzung verwenden sollten. Ziel dieses kirchlichen Verwaltungsakts war es, die etwa eine Milliarde Christen weltweit stärker zu einen. Dort, wo Gläubige Englisch sprachen, erfüllte sich dieser Plan zunächst nicht. Eine Folge der Bibelstandardisierung bestand darin, dass in der heiligen Messe Formulierungen minimal verändert wurden. Sprach der Priester "Der Herr sei mit euch", so hatten Kirchgänger bisher stets mit den Worten "And also with you" (Und auch mit dir) geantwortet. Die neue Regelung sah nun vor, dass der Priester ein "And with your spirit" (Und mit deinem Geiste) als Antwort zu hören bekam. Für Außenstehende klingt das wie ein unwichtiges Detail, aber für viele gläubige Katholiken in englischsprachigen Ländern glich dies einem Affront. Die Empörung war groß.
Gruppenrituale stehen für die Werte einer Gemeinschaft
Psychologen um Daniel Stein von der University of California in Berkeley beginnen ihre gerade auf einem Preprintserver publizierte Studie zur Empörung über minimal veränderte Rituale mit dieser Geschichte aus dem Jahr 2011. In der Eingangsepisode steckt schon ziemlich viel drin, was die Wissenschaftler anschließend in mehreren Experimenten mit vielen Hundert Teilnehmern empirisch unterfüttert haben. So absurd die Erregung über minimal veränderte Details an einem Ritual wirkt, so sehr geraten Menschen in Wallung, wenn es Rituale trifft, die für sie selbst wichtig sind. Mit Empörung reagieren vor allem jene, die besonders fest glauben oder für die die Mitgliedschaft in einer entsprechenden Gruppe besonders wichtig ist.
"Es besteht die Möglichkeit", schreiben die Psychologen in der Studie, die im Journal of Personality and Social Psychology erscheinen soll, "dass dies auch der Grund dafür ist, dass Rituale oft über sehr lange Zeit unverändert bleiben". Änderungen an gruppenspezifischen Ritualen würden von den Anhängern als "moralische Verwerflichkeit" betrachtet und mit entsprechendem Zorn quittiert. "Gruppenrituale repräsentieren die Werte eine Gemeinschaft", schreiben die Psychologen. Sich ihnen zu unterwerfen, sie nach außen hin zu zeigen, betone die Bedeutung, die ein Mitglied dieser Gruppe beimesse.
Die Festigkeit des Glaubens geht mit der Heftigkeit der Empörung einher
Die Psychologen untersuchten für die Studie Rituale in verschiedenen Kontexten. Es ging um Aufnahmeprüfungen zu Studentenverbindungen, um Feiertage in den USA oder um jüdische sowie muslimische Zeremonien bei der Genitalbeschneidung von Jungen. Stets zeigten sich entsprechende Hinweise, dass die Festigkeit eines Glaubens sowie der Grad der Ritualisierung mit der Heftigkeit der Empörung über eine mögliche Änderung an den Zeremonien einhergeht. So erregten sich Befragte heftig über die Möglichkeit, dass der Ablauf von Festivitäten an Weihnachten, Neujahr oder Thanksgiving geändert werden könnte. Modifikationen am Ablauf des Mutter- oder Vatertages ließen die Teilnehmer der Studie hingegen eher kalt.
Auch im Vergleich jüdischer und muslimischer Beschneidungsrituale stießen die Forscher auf einen ähnlichen Zusammenhang. Der Ablauf entsprechender Zeremonien sei im Judentum im Vergleich genauer reglementiert beziehungsweise ritualisiert als unter Muslimen. Entsprechend heftiger fiel die Ablehnung unter jüdischen Probanden an, wenn sie (hypothetische) Änderungen daran bewerten sollten. Der Grund für mögliche Änderungen spielte dabei keine wesentliche Rolle: Selbst wenn Probanden diese als grundsätzlich sinnvoll bewerteten, lehnten sie eine Änderung dennoch ab.