Psychologie:Mitgefühl gilt Frauen zuerst

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Im Fußball gibt es für rabiate Zweikämpfe schon einmal Beifall für „gesunde Härte“ – hier bei einem Spiel zwischen Hannover 96 und dem TSV 1860 München. (Foto: Peter Steffen)

Wenn Männer Schmerz oder Leid erfahren, lässt das die Leute eher kalt. Woran das liegen könnte.

Von Sebastian Herrmann

Den Schmerz zu teilen, reduziert angeblich seine Intensität. Ob das Leid wirklich halbiert wird, wenn jemand Anteil nimmt, sei dahingestellt. Worum es hier stattdessen gehen soll: Um seinen Schmerz zu teilen, braucht es jemanden, der diesen Schmerz ernst nimmt, ihn als Problem akzeptiert und Mitgefühl anbietet. Und hier haben es Männer offenbar deutlich schwerer als Frauen.

Gerade haben die Psychologinnen Maja Graso von der Universität Groningen und Tania Reynolds von der University of New Mexico für einen Beitrag im Fachjournal Biology Letters die Forschungsliteratur dazu ausgewertet. „Der Schluss lautet, dass Frauen im Vergleich zu Männern den Vorteil genießen, dass ihr Leiden mehr Mitgefühl in anderen auslöst“, schreiben die Wissenschaftlerinnen. Müssten Frauen etwas erleiden oder erdulden, werde dies als schwerwiegender und weniger akzeptabel bewertet, als wenn Männern das Gleiche widerfahre, so Graso und Reynolds.

Die Psychologinnen betonen in ihrer Publikation, dass sowohl Frauen als auch Männer in verschiedenen Bereichen des Lebens jeweils Vor- und Nachteile zu ertragen hätten. „Wir argumentieren nicht, dass Frauen oder Männer mehr leiden müssen als die jeweils anderen“, schreiben die Psychologinnen. Dies sei nicht Gegenstand ihrer Publikation. Vielmehr gehe es darum, Evidenz zusammenzutragen und damit zu einem faireren Diskurs über den Zusammenhang von Geschlecht und Benachteiligung beizutragen, so Graso und Reynolds. Schließlich habe jeder Mitgefühl verdient, der Schmerz erleiden muss, so die Psychologinnen – egal, ob Frau oder Mann.

Die Studienlage weist darauf hin, dass Männer mit weniger Anteilnahme zu rechnen haben. Dabei haben sich die Forscherinnen vor allem auf experimentelle Studien fokussiert. So zeigten diese, dass Frauen mehr Mitleid erhielten, wenn sie Schmerz erfahren. Andere Publikationen legen nahe, dass Kränkungen von Frauen als deutlich schwerwiegender bewertet würden. Eine andere Arbeit legt nahe, dass ansonsten segensreiche Medikamente weniger akzeptabel erscheinen, wenn sie Nebenwirkungen haben, die Frauen stärker betreffen als Männer. Im umgekehrten Fall – Männer erleiden mehr Nebenwirkungen – beeinträchtigt dies die Bewertung der Arznei hingegen kaum.

Frauen genießen aus gutem Grund besonderen Schutz

Die Psychologinnen tragen weitere Befunde aus der Forschung zusammen, die alle in dieselbe Richtung deuten: Männern werden vor Gericht bei gleicher Ausgangslage eher verurteilt und schwerer bestraft als weibliche Angeklagte. Geht es darum, einen Menschen zu opfern, um viele andere zu retten, fällt die Wahl ebenfalls eher auf einen Mann, der im Namen einer höheren Sache verzichtbar ist. Sind Frauen in einem von Männern dominierten Feld unterrepräsentiert, so Graso und Reynolds, gelte dies als Beleg für Diskriminierung. Fehlen hingegen Männer in einem weiblich geprägten Umfeld, interessiere das niemanden – oder die Schuld werde bei den Männern verortet.

Vor allem diskutieren die Psychologinnen in ihrem Beitrag in Biology Letters die Frage, warum es diese Unterschiede gibt. Zum einen argumentieren sie evolutionär: Gemeinschaften könnten seit jeher Frauen in besonderem Maße vor Gefahren und Schmerz geschützt haben, da diese für den Nachwuchs wesentlich wichtiger seien als Männer. Dazu nutzen die Forscherinnen den wenig romantischen Begriff des Reproduktionswerts: 20 Frauen und nur vier Männer könnten in der gleichen Zeit viel mehr Kinder zeugen und zur Welt bringen, als wenn das Geschlechterverhältnis umgekehrt wäre – so das Argument. Zudem seien Frauen durch Schwangerschaft, Stillzeit und darüber hinaus besonders verletzlich. Gemeinschaften, die Frauen unter besonderen Schutz stellten, hätten daher einen evolutionären Vorteil gehabt – was sich in der Gegenwart in einer unterschiedlichen Sensibilität für das Leiden von Männern und Frauen widerspiegele, so die Psychologinnen.

Ein weiterer Grund könnte darin liegen, dass Männer mehr physische Gewalt ausüben und aufgrund ihrer relativ größeren Stärke auch eine größere Gefahr darstellen, so Graso und Reynolds. Frauen würden hingegen aus den genannten Gründen als verletzlicher wahrgenommen und ihr Schmerz entsprechend stärker beachtet.

Daran schließt sich das Argument an, dass Männer laut Stereotyp eher Täter und Frauen eher Opfer seien. Beides seien Exklusivrollen, schreiben die Psychologinnen: Ein Täter bleibe ein Täter, selbst wenn auch er Leid erfährt. Dazu komme, dass in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten durch den Erfolg des Feminismus die Sensibilität für weiblichen Schmerz zugenommen und die Definition dessen verbreitert habe, was als Leid oder Schaden gilt. Am Ende gehe es darum, schreiben Graso und Reynolds, die zunehmend eskalierenden Konflikte zwischen den Geschlechtern zu entschärfen und effektive Gegenmaßnahmen zu identifizieren – damit alle weniger Schmerz erfahren, Frauen wie Männer.

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