Psychologie:Lizenz zur Untat

Wer meint, etwas Gutes getan zu haben, fühlt sich eher zu Fehltritten berechtigt und ist weniger hilfsbereit. Das zeigen Studien aus Nordamerika.

Sebastian Herrmann

Tue Gutes und werde ein Schuft. So scheint der Mensch zu ticken: In einem Moment handelt er zum Wohl anderer oder eines größeren Ganzen und leitet dann im nächsten Moment daraus die Rechtfertigung ab, sich selbstsüchtig und wenig hilfsbereit zu zeigen.

Ein neues Beispiel für diese Art des moralischen Ablasshandels liefert Kendall Eskine von der Loyola University in New Orleans. Der Psychologe untersuchte, ob Bio-Lebensmittel das moralische Koordinatensystem seiner Probanden verschieben. Tatsächlich zeigte sich, dass die Testteilnehmer verschiedene Verfehlungen anderer besonders harsch verurteilten und sich weniger hilfsbereit zeigten, als sie um Unterstützung gebeten wurden, wenn sie zuvor Öko-Ware begutachtet hatten (Social Psychological and Personality Science, online).

Bedeutet das nun, dass Bio-Lebensmittel schlechter sind als konventionell erzeugte Nahrung? Im Gegenteil, es bedeutet, dass sie Kunden ein gutes Gefühl geben, weil sie mit ihrem Kauf die Welt ein kleines, kleines bisschen zum Guten verändert haben. Und das reicht als Rechtfertigung, um sich hier und da ein kleines, kleines bisschen danebenzubenehmen.

Eskine verteilte seine 62 Probanden auf drei Gruppen und ließ diese unter einem Vorwand Bilder verschiedener Lebensmittel begutachten. Einem Teil der Testpersonen legte er Fotos von Bio-Lebensmitteln vor. Darunter waren Äpfel, Karotten, Spinat sowie Tomaten, und stets war auf den Bildern das Öko-Logo gut zu erkennen.

Die zweite Gruppe betrachtete Fotos verarbeiteter Lebensmittel wie Speiseeis, Kekse, Schokolade oder Kuchen. Einem dritten Kreis von Testpersonen präsentierte Eskine Darstellungen neutraler Lebensmittel wie etwa Reis, Bohnen, Senf oder Haferflocken.

Anschließend bewerteten die Testteilnehmer Szenarien, die der Moralpsychologe Jonathan Haidt für Studien zusammengestellt hat: Ein Mann isst seinen verstorbenen Hund; ein Politiker nimmt Bestechungsgeld an; Cousins zweiten Grades schlafen miteinander; ein Kunde stiehlt in einem Laden - und ähnliche Situationen, die als Verfehlungen empfunden werden.

Die Gruppe, die Bio-Lebensmittel begutachtet hatte, äußerte stärkeren moralischen Abscheu über die meisten dieser Handlungen. In einem zweiten Test war dieselbe Gruppe seltener bereit, einem anderen Professor der Universität zu helfen, der ebenfalls Teilnehmer für eine Studie suchte.

Die Studie wurde nur an einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Probanden durchgeführt, die noch dazu aus dem von Psychologen am intensivsten untersuchten Personenkreis der Welt stammen: amerikanische Studenten.

Dennoch hat die Arbeit ihren Wert, denn sie ergänzt zahlreiche ähnliche Befunde. So beschrieben Psychologen um Nina Mazar von der Universität Toronto vor zwei Jahren im Fachmagazin Psychological Science ein ähnliches Experiment. In diesem Fall betrogen oder stahlen die Probanden eher, wenn sie zuvor Öko-Produkte erworben hatten - wenn auch nur in einer Laborsituation.

Auch Mazar argumentierte, dass sich ihre Testteilnehmer diese Verfehlungen eher leisteten, weil sie zuvor mit dem Erwerb von Bio-Ware ja schon etwas Gutes getan hatten. In einem anderen Punkt widersprechen sich die beiden Arbeiten jedoch: In der Studie aus Toronto zeigten die Probanden eher prosoziales Verhalten, wenn sie Bio-Produkte - so wie in dem Versuch aus New Orleans - nur gesehen hatten.

Dass Menschen eher gegen Normen verstoßen, wenn sie sich zuvor ihres moralischen Selbstwertes vergewissern können, ist hingegen gut belegt. Sonja Sachdeva von der Northwestern University zeigte zum Beispiel 2009 im Fachblatt Psychological Science, wie sich das Verhalten von Menschen ins Negative verschiebt, wenn man ihnen zuvor die Chance gibt, sich als sozial engagierte Personen darzustellen. Ein Phänomen, das die Psychologie als "Moral Credentials" bezeichnet - eine Art moralischer Kredit.

Diesen Effekt sieht Eskine im Fall von Bio-Produkten am Werk, schließlich tue man mit einem Kauf mutmaßlich der Umwelt etwas Gutes und vergewissere sich so auch des moralischen Werts seiner Handlungen.

Der Psychologe empfiehlt nun, im Marketing für Bio-Produkte behutsamer vorzugehen: Diese Produkte würden zwar eher unter fairen Bedingungen hergestellt sowie gehandelt und seien für die Umwelt verträglicher als andere. Aber es bestehe durchaus die Möglichkeit, dass viele Kunden einen Einkauf im Bio-Laden deshalb als ausreichendes Engagement für die Umwelt betrachteten.

Mit Daten kann er diese Vermutung nicht belegen. In weiteren Studien solle nun untersucht werden, ob sich der tatsächliche Konsum von Bio-Lebensmitteln auch auf das moralische Handeln auswirkt.

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