Psychologie:Immun gegen Horror

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Film bleibt Film, sagen Psychologen. Die Betrachter werden dadurch nicht unbedingt gewaltbereiter. (Foto: Maskot/imago)

Sind Fans von brutalen Filmen auch im echten Leben düstere Charaktere? Nein, sagt eine psychologische Studie.

Von Sebastian Herrmann

Die Eröffnungsszene führt tief in den Abgrund. Ein Polizist verfolgt einen Verbrecher bis in die Kanalisation. Mit Taschenlampe und Pistole in der Hand tappt er durch das Zwielicht, was - natürlich - nicht gut enden kann, es handelt sich schließlich um einen Film. Ein Killer mit Schweinemaske überwältigt den Polizisten also, der kurz darauf in einer ziemlich miesen Situation wieder zu Bewusstsein kommt. Er baumelt von der Decke eines U-Bahn-Tunnels. Das Ende eines Seils ist an seiner Zunge befestigt, die in einer blutverschmierten Apparatur klemmt. Über einen Bildschirm teilt der Schweinemaskenmann seinem Opfer mit, dass er zwei Minuten Zeit habe, sich selbst die Zunge abzutrennen. Andernfalls werde er von der nahenden U-Bahn zerquetscht.

Dies also geschieht in der Eröffnungsszene des Films "Saw: Spiral" mit Chris Rock und Samuel L. Jackson, der 2021 veröffentlicht wurde. Und all das provoziert die Frage: Wer, bitteschön, will so was sehen? Fans solcher Horrorwerke, schrieb der Filmkritiker Johnny Oleksinski in der New York Post, seien "verkommene Irre, die man niemals in die Nähe von Tieren oder anderen Lebewesen lassen sollte". Das ist hart formuliert, deckt sich aber mit der gängigen Meinung, wie der Verhaltensforscher Coltan Scrivner von der Universität Aarhus soeben in einer Studie gezeigt hat. Seine Probanden waren mehrheitlich der Meinung, dass es Horrorfans an Empathie und Mitgefühl mangele. Klar, wer Schlachtplatten wie "Saw: Spiral" schätzt, in dessen Brust muss ein kaltes Herz schlagen. Oder?

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Dagegen sprechen Befunde, die Scrivner gesammelt hat. Diese legen nahe, dass Horrorfreunde keinesfalls jene Monster sind, zu denen sie oft ernannt werden. In Persönlichkeitstests zeigte sich, dass zwischen der Freude an blutrünstigen, manchmal obszön brutalen Filmen und dem eigenen Vermögen, Mitgefühl zu zeigen und sich in andere hineinzuversetzen, kein Zusammenhang zu finden war. Wer mit gruseligem Genuss dabei zusieht, wie Zombies zerstückelt, Menschen zersägt oder an ihrer Zunge aufgehängt werden, war nicht zwingend kaltherziger als Personen, die sich lieber zu romantischen Komödien entspannen. Manche Befunde von Scrivner deuteten gar darauf hin, dass die Freunde spezieller Schocker-Subgenres im Vergleich ein kleines bisschen mehr zu Mitgefühl und Empathie neigten.

Es zeigte sich auch kein signifikanter Unterschied, als Scrivner tatsächliches Verhalten untersuchte. Dabei sollten die Teilnehmer Geld mit einem Unbekannten teilen und konnten selbst entscheiden, ob sie überhaupt etwas abgeben wollten und, wenn ja, wie viel. Auch hier fand sich kein Unterschied zwischen Horrorfreunden und Teilnehmern, die Wert auf weniger grausame Unterhaltung legten. Nun darf eine einsame Studie niemals überbewertet werden, ein Einzelergebnis macht noch keine Evidenz. Allerdings steht das Ergebnis nicht ganz alleine, im weiteren Sinne: Die angeblich schädliche Wirkung diverser Medien - Bücher, Comics, Musik, Computerspiele, Pornografie - wird seit jeher überdreht diskutiert, mit oft überzogener Panik. Vielleicht könnte als Faustregel gelten: Nicht alles, was garstig ist, verdirbt automatisch jeden Menschen - selbst wenn die Filme zweifellos widerwärtig grausam sind.

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