Psychologie:Die Bescheidenheit der Lebensretter

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Während Beobachter einen Helden sehen, nimmt der Retter selbst vor allem die Schreie und Hilferufe um sich herum wahr. (Foto: AP)

Wer für andere sein Leben riskiert, wird als Held gesehen. Doch warum sind Retter selbst meist so bescheiden? Das liegt nicht am Charakter, sondern an ihrer Wahrnehmung.

Von Sebastian Herrmann

Donnernd stürzte das neunstöckige Gebäude ein. Chaos. Angst. Schreie. Irgendwie gelang es dem Arbeiter Didar Hossain, sich aus den Ruinen der Textilfabrik in Dhaka, Bangladesch, zu befreien. Er kehrte sofort zurück in die Ruinen, um zu helfen. Hunderte waren tot, verschüttet, schwer verletzt. 34 Menschen rettete Hossain aus den Trümmern.

Einem Mädchen musste er die eingeklemmte Hand amputieren, um es befreien zu können und ihm das Leben zu retten. Ein Arzt hatte Hossain ein Anästhetikum gegeben, der Mediziner traute sich selbst nicht in das eingestürzte Gebäude. Didar Hossain half und riskierte dabei sein Leben. "Ich bin nur ein normaler Mensch, der helfen wollte", sagte er der britischen BBC, die 2013 über das Unglück und den Helden Hossain berichtete.

"Ein Held zu sein ist eine deutlich weniger schöne Erfahrung, als eine Heldentat zu beobachten"

Die Bescheidenheit des Helden ist fast ein Klischee. Ein Mensch leistet Übermenschliches und weigert sich doch, Lobeshymnen bedingungslos anzunehmen. "Ein Held zu sein ist eine deutlich weniger schöne Erfahrung, als eine Heldentat zu beobachten", sagt Nadav Klein. Der Psychologe hat gerade eine Studie über die heroische Bescheidenheit im Fachjournal Social Psychological and Personality Science publiziert und schildert darin auch die unglaublichen Rettungstaten des Textilarbeiters Didar Hossain.

Im Beobachter weckt die abmoderierende Bescheidenheit solcher Helden manchmal zusätzliche Ehrfurcht, gelegentlich aber auch Unverständnis oder gar Misstrauen: Handelt es sich hier um Koketterie? Wie kann jemand den Lobpreis seiner Mitmenschen so abtun, wo er doch gerade bereit war, sein Leben für das seiner Mitmenschen zu opfern? Folgt man den Studienergebnissen des Psychologen Klein, dann handelt es sich eher um ein Wahrnehmungsphänomen als um falsche Bescheidenheit. In mehreren Experimenten sammelte der Forscher Indizien dafür, dass riskante Hilfsaktionen einem grundsätzlich weniger heldenhaft erscheinen, wenn man selbst der Handelnde war. Die Taten anderer wecken hingegen größere Ehrfurcht. Aber warum ist das so?

Der Held zeigt keine falsche Bescheidenheit, sondern nimmt die Situation anders wahr

"Beobachter bewundern natürlich die großen Risiken und die Opferbereitschaft, die ein Helfer eingeht, sie übernehmen die Perspektive des Handelnden", schreibt Klein. Sie sehen den Helfer quasi vor sich, wie er unter Gefahr um sein Leben kämpfen muss. Die Wahrnehmung des Helden selbst ist hingegen auf die Leiden der Hilfsbedürftigen gerichtet. Wer in die Trümmer einer kollabierten Fabrik rennt, hört die Schreie der Verletzten, hört das Weinen des Mädchens, dessen Hand unter schweren Betonstücken eingeklemmt ist - und vergisst sich dabei selbst. Am Ende könnte auch Traurigkeit das Denken des Helden vernebeln: Gut möglich, so gibt auch Klein zu bedenken, dass sich seine Erinnerung auf jene unglücklichen Menschen fokussiert, denen er vergeblich versucht hat zu helfen und deren Schreie nun schmerzhaft nachhallen.

Heldentaten als selbstverständlich abzumoderieren, geschieht also eher nicht mit der Absicht, den eigenen Heiligenschein aufzupolieren. Außerdem, so argumentiert Klein weiter, würden sich effektheischende Angeber wahrscheinlich sowieso nicht in Situationen begeben, in denen sie sich selbst für andere aufopfern könnten.

© SZ vom 25.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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