Süddeutsche Zeitung

Psychologie:Gott wird es schon richten

Warum es Menschen in armen Ländern weniger schmerzt als in reichen, zu einer niedrigen sozialen Klasse zu gehören.

Von Sebastian Herrmann

Der Eintritt in den irdischen Garten Eden wird nur wenigen gewährt, den Reichen, den Schönen, den Erfolgreichen. Sie können durch all die Türen schreiten, die ihnen offen stehen, und ein Leben im Überfluss führen. Wie aber geht es den Menschen, die nicht Schritt halten können, deren Alltag von materiellen Sorgen geprägt ist? Vergleichsweise schlecht, natürlich. Überraschend aber dieser Forschungsbefund: In den reichen Ländern leiden die Abgehängten im Mittel stärker als in ärmeren Gesellschaften. Das schreit nach einer Erklärung, schließlich geht es den meisten sozial Schwachen in den reichen Ländern materiell immer noch deutlich besser als in wirtschaftlich weniger hoch entwickelten Staaten.

Psychologen um Jana Berkessel und Jochen Gebauer von der Universität Mannheim bieten nun im Fachjournal PNAS einen Befund an, mit dessen Hilfe sich das Phänomen teilweise deuten lässt. Demnach mildert Religiosität den Schmerz eines geringen sozioökonomischen Status. Und weil der organisierte Glaube an das Übernatürliche in den reichen Industriegesellschaften schwindet, beeinträchtige niedriger sozialer Status das Wohlbefinden dort im Vergleich stärker. Plakativ formuliert: Armut lässt sich leichter ertragen, wenn das Paradies im Jenseits statt in irdischen Erfolgsfantasien liegt.

Für ihre Studie werteten die Wissenschaftler um Berkessel mehrere sehr üppige Datensätze aus. Insgesamt flossen Informationen von etwa drei Millionen Menschen aus mehr als 150 Ländern in die Analyse ein. "Je reicher die Länder sind, desto weiter öffnet sich dort die Glücksschere zwischen Armen und Reichen", sagt Gebauer. Das konterkariert die verbreitete, intuitive Annahme, dass wirtschaftliche Entwicklung das Wohlbefinden der Menschen automatisch steigert. So zeigen die Daten, dass zum Beispiel ein niedriger sozioökonomischer Status im reichen, säkularen Norwegen vergleichsweise schwer auf die Psyche schlug. Im deutlich ärmeren und stärker religiös geprägten Jamaika ließ sich hingegen kein vergleichbarer Zusammenfang belegen.

Die Psychologen fokussieren sich vor allem auf Werte, Normen und Inhalte der großen Religionen als wirkende Faktoren. In der Bibel spiegelt sich das in dem Satz vom Kamel, das eher durch ein Nadelöhr gehe, als ein Reicher Einlass in den Himmel finde. "Reichtum wird in vielen Religionen regelrecht abgewertet und Armut fast zur Tugend erhoben", sagt Berkessel. Vergleichbare Werte hülfen womöglich, die Anfechtungen eines Lebens in Knappheit zu ertragen.

Zudem, aber das ist eine andere Deutung, bieten Religionen Gemeinschaftsgefühle, Zusammenhalt und eine Möglichkeit, selbst als mittelloser Gläubiger Status und Anerkennung zu erwerben.

Wenn also Religion, um den alten Karl Marx zu bemühen, tatsächlich das Opium des Volkes war, dann leiden viele Menschen in den reichen, säkularen Gesellschaften an Entzugserscheinungen. Sozialpolitik könnte also dann erfolgreich sein, wenn sie Religion mit einem Ersatzmittel substituiert und dabei nicht allein auf Geld setzt.

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