Psychologie:Gefährliches Lächeln

Wer bei der Arbeit die eigenen Gefühle unterdrücken und Kunden anstrahlen muss, riskiert seine Gesundheit.

Susanne Schäfer

Der Tomatensaft schwappt über, ein roter Bach fließt über den Klapptisch, zum Salztütchen und zurück zum Plastikbecher. Das Schild mit dem Anschnallgurt blinkt auf. Nur leichte Turbulenzen, aber den Passagieren fällt wieder ein, dass es zum Boden weit ist und dass Menschen eigentlich nicht fliegen können.

Psychologie: Arbeit im Call-Center: "Emotionale Distanz" erforderlich

Arbeit im Call-Center: "Emotionale Distanz" erforderlich

(Foto: Foto: AP)

Sie sehen, wie die Stewardess die Gurte überprüft, sehen sie lächeln, ganz entspannt, und werden ruhiger - wenn sie sich nicht fürchtet, wird es nicht schlimm sein.

"Wir stehen auf einer Bühne", sagt Regine Gorowicz, seit zehn Jahren Stewardess: "Die Passagiere beobachten uns." Zu den wichtigsten Aufgaben eines Flugbegleiters zählt es nicht nur, Tomatensaft auszuschenken und sich Atemmasken vors Gesicht zu halten, sondern auch Gefühle zu steuern.

Wenn ein Fluggast die Hände in die Lehnen krallt, die Augen schließt und den Kopf nach hinten legt, dann fragt die Stewardess Regine Gorowicz ihn, ob alles in Ordnung sei.

Sie achtet darauf, dass ihre Stimme dabei sanft klingt. "Und wenn ein Gast sich beschwert, dass der Lachs nicht rosa genug ist, dann entschuldige ich mich tausendmal und sage ihm, dass ich gerne nachsehe, ob ich ein besseres Stück für ihn finde." Sie lächelt ihn freundlich an, während sie das sagt.

Das liegt nicht nur an ihrer Persönlichkeit. Fluggesellschaften und andere Unternehmen schulen ihr Personal darin, nett zu sein. Die Psychologin Angelika Werner gibt Mitarbeitern in Call-Centern "Lächeltraining".

Sie bringt ihnen bei, am Telefon immer zu lächeln, weil die Stimme dann sympathischer klingt. Und weil sie überzeugt ist, dass es gute Laune macht, sich selbst anzustrahlen, rät sie den Teilnehmern ihrer Kurse, Spiegel neben die Telefone zu stellen.

Depression als Folge gespielter Emotionen

Damit die Fröhlichkeit auch Anrufe von zornigen Kunden übersteht, sollten die Mitarbeiter sich einen Zettel mit dem Wort "Ruhe" aufhängen oder ein Foto, das sie an eine schöne Situation erinnert, sagt Angelika Werner. "Emotionsarbeit" nennen Wissenschaftler das, und sie untersuchen deren Nebenwirkung genauso wie die Folgen zu schweren Hebens.

Dabei haben sie herausgefunden, dass Lächeln anstrengt, wenn einem nicht danach zumute ist. Wer Gefühle zeigt, die er nicht hat, kann auf Dauer das Burnout-Syndrom entwickeln. Die Betroffenen fühlen sich erschöpft und von der Arbeit überfordert.

Nach einer Weile ziehen sie sich zurück, in ihren Kunden oder Patienten sehen viele dann keine Menschen mehr, sondern Objekte.

"Diese Depersonalisation äußert sich zum Beispiel darin, dass eine Krankenschwester nur noch von 'der Leber auf Zimmer 23' spricht statt von einem Patienten", sagt Dieter Zapf, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Frankfurt/Main. Mediziner definieren Burnout als Kombination dieser Symptome, nicht als Krankheit.

Bei vielen Betroffenen löse das Syndrom aber psychische Krankheiten wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen aus, sagt Ralf Wegner vom Zentralinstitut für Arbeitsmedizin in Hamburg.

Den Zusammenhang zwischen gespielten Gefühlen und Burnout belegt eine Studie von Christian Dormann, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Mainz. Er befragte 250 Menschen, die in deutschen Call-Centern arbeiteten.

Manche von ihnen nahmen am Telefon Bestellungen der Kunden auf, andere mussten deren Beschwerden aushalten. So gaben einige an, dass sie bei der Arbeit kaum Gefühle vortäuschen mussten - von ihnen litt kein einziger an Burnout.

Andere sagten den Psychologen, sie unterdrückten oft ihre eigenen Gefühle und müssten sich zwingen, freundlich zu bleiben. Von diesen Befragten litt jeder Fünfte an dem Syndrom.

Tatsächlich waren es wahrscheinlich noch mehr: "Wir haben viele Mitarbeiter, die unter Burnout litten, bestimmt gar nicht erfasst, weil sie schon wieder weg waren", sagt Christian Dormann.

In Call-Centern ist die Fluktuation der Mitarbeiter sehr hoch. "Länger als ein paar Monate hält kaum jemand diese Arbeit aus", bestätigt Karlheinz Gerhold, der sich bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi um die Mitarbeiter in Call-Centern kümmert.

Gefährliches Lächeln

Dass nicht nur viel Arbeit und wenig Zeit einen Menschen belasten, sondern tatsächlich auch das Vorlügen von Gefühlen, zeigt eine Studie von Dieter Zapf.

Psychologie: Stress-Job Stewardess: Stummer Schrei in 10.000 Metern Höhe

Stress-Job Stewardess: Stummer Schrei in 10.000 Metern Höhe

(Foto: Foto: dpa)

In einem Experiment simulierte der Psychologe ein Call-Center. Studenten spielten die Angestellten, die am Telefon Kunden betreuen. Keine angenehme Rolle, denn die Wissenschaftler ließen ihre Studenten von einer vermeintlichen Kundin wüst beschimpfen.

Ein Teil der Versuchspersonen durfte zurückpöbeln, die andere Gruppe sollte nett bleiben, egal wie ausfallend die Dame wurde. Dieter Zapf wollte so bei den freundlichen Studenten eine "emotionale Dissonanz" zwischen echten und vorgetäuschten Gefühlen erzeugen.

Sei freundlich, denk an was Schönes

Tatsächlich schlugen die Herzen der zwangsfreundlichen Versuchspersonen schon nachden ersten Beschimpfungen schneller und beruhigten sich erst wieder, als das Experiment schon längst vorbei war. Bei den pampigen Studenten veränderte sich der Herzschlag dagegen nur leicht.

Nettsein wider Willen bedeutet also Stress. Dass es ungesund ist, anderen was vorzumachen, gilt für viele Dienstleistungsberufe: Die amerikanische Psychologin Alicia Grandey stellte fest, dass Verkäufer sich erschöpft und überlastet fühlten, wenn sie ihre eigenen Gefühle unterdrücken und andere vortäuschen mussten.

Die niederländische Sozialpsychologin Ellen Heuven fand heraus, dass bei Stewardessen häufiger die emotionale Dissonanz das Burnout-Syndrom auslöste als das hohe Arbeitspensum. Der Psychologe Jürgen Glaser und sein Kollege André Büssing untersuchten in einer Studie Krankenschwestern und Pfleger.

Deren Krankenhaus ermöglichte den Angestellten, mehr Zeit mit den Patienten zu verbringen. So mussten sie auch mehr Emotionsarbeit leisten - und litten öfter am Burnout-Syndrom. Welche Gefühle bei der Arbeit zu zeigen sind, liege oft "nicht im freien Ermessen der Mitarbeiter", beobachtet der Psychologe Dormann.

Viele Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter lächeln sehen: In den "Gold Standards" der Hotelkette Ritz-Carlton heißt es: "Smile - we are on stage."

Verkäuferinnen bei Tchibo lernen, dass sie "gut drauf" sein müssen, wenn sie Kunden bedienen. Sie sollten "den Kunden begrüßen, ihn anlächeln und Blickkontakt halten", sagt Regina von Rolbicki, die für die Ladenkette Verkäufer trainiert. In Gedanken solle eine Verkäuferin zu jedem Kunden sagen: "Schön, dass Sie da sind."

Austoben im Hinterzimmer

Und wer zu Hause Stress hat? "Der sollte ihn auch zu Hause lassen. Im Umgang mit Kunden hat er nichts zu suchen. Ein Schreiner kann schließlich auch nicht das Holz schief hobeln, weil er schlecht drauf ist", sagt von Rolbicki.

Wenn jemand schlechte Laune hat und sich trotzdem um ein freundliches Gesicht bemüht, sprechen Psychologen von "Surface Acting", die erwünschten Gefühle erscheinen nur an der Oberfläche. Als "Deep Acting" bezeichnen sie dagegen Strategien, mit denen Menschen ihre Gefühle tatsächlich verändern.

Manche muntern sich auf, indem sie an einen schönen Urlaub denken oder sich auf die hübsche Krawatte des pöbelnden Gastes konzentrieren. Andere lassen die schlechte Laune raus, um gute zu bekommen.

Dieter Zapf empfiehlt Wutausbrüche aber nur, wenn dadurch keine schwierigen Situationen entstehen - also lieber einen Sandsack treten als einen Menschen anbrüllen.

Zapf rät Unternehmen deshalb, Hinterzimmer einzurichten, in denen Angestellte ihren Ärger "laut loswerden können". Die Stewardess Regine Gorowicz hat an Bord kein solches Schrei-Zimmer. Aber manchmal, wenn sie einfach keinen Lachs findet, der rosa genug ist, reißt sie den Mund auf, schüttelt den Kopf und schreit einen stummen Schrei.

"Dann geht es wieder", sagt sie. Oder sie stellt sich vor, dass der nörgelnde Gast heute einen schlechten Tag hat. "Vielleicht hat ihm sein Frühstück nicht geschmeckt", sagt Gorowicz.

"Und so einem armen Menschen kann man es doch nicht übel nehmen, wenn er schlechte Laune hat, oder?" Psychologen würden diese Strategien der Stewardess Deep Acting nennen. Nur wenn sie es einmal nicht schafft, ihre Stimmung zu verändern, täuscht sie eine andere vor.

Denn manchmal fühlt sich Regine Gorowicz selbst nicht ganz wohl, wenn das Flugzeug wackelt. Um die Passagiere auch dann zu beruhigen, berührt sie mit der Zungenspitze ihren Gaumen.

"Dann sieht das Gesicht gleich entspannt aus", sagt sie. Amerikanische und britische Psychologen haben herausgefunden, dass Surface Acting eher das Burnout-Syndrom auslöst als Deep Acting.

Es ist also gesünder, die eigenen Gefühle zu verändern als sie zu verstecken. "Wer seine Gefühle nur überspielt, ist ständig einer emotionalen Dissonanz ausgesetzt", sagt Christian Dormann, und die führe eben zum Burnout-Syndrom.

Emotionsarbeit erforderlich

Die Soziologin Arlie Russell Hochschild, die in den Achtzigerjahren als Erste die Emotionsarbeit untersuchte, warnte noch vor den Folgen des Deep Acting: Wer seine Gefühle ständig manipuliere, werde sich selbst fremd, argumentierte sie.

Psychologen bestätigten dies jedoch nicht. Die eigenen Stimmungen zu kontrollieren, sei ein normaler Vorgang, sagt Dieter Zapf. Denn im Alltag werde oft von einem erwartet, Gefühle zu zeigen. "Das passiert schon, wenn Sie auf eine Party gehen."

Wer es aber bei einer Party nicht schafft, sich in die gewünschte Stimmung zu bringen, geht eben wieder nach Hause. Bei der Arbeit muss er trotzdem lächeln, eine Stewardess oft zwölf Stunden am Stück, ob die Leute über das Essen meckern oder nicht.

In anderen Branchen stellt sich Emotionsarbeit jedoch ganz anders dar. Nicht zu lächeln ist manchmal genauso anstrengend wie fröhlich zu wirken. Lehrer zum Beispiel geben schlechte Noten und Sozialarbeiter ermahnen Jugendliche, auch wenn sie frisch verliebt sind. Fahrkartenkontrolleure bestrafenauch nette Schwarzfahrer.

Und Ralf Michal vom Bundesausbildungszentrum für Bestatter in Münnerstadt rät seinen Schülern zur Vorsicht. Ein Bestatter solle erst erspüren, ob die Angehörigen am Boden zerstört sind oder so weit stabil, dass ein Lächeln ankommt.

"Er sollte die Arme nicht verschränken und den Kunden offen ansehen, um Vertrauen aufzubauen", sagt Michal. Erst dann werden die Angehörigen ihm verraten, wie sie sich das Begräbnis wünschen.

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