Psychologie des Schmeckens:Auf der Zunge

Schokomund

Schokomund: Süßes mag jeder. Das weiß auch die Lebensmittel-industrie. Ihre Allzweckwaffe - Aromen.

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

"Hauptsache es schmeckt!" Ganz so einfach ist die Sache mit dem Essen nicht. Der Genuss von Nahrung ist eine komplexe Angelegenheit. Das weiß niemand besser als die Nahrungsmittelhersteller. Ihr Ziel: Unser Wunsch nach mehr.

Von Markus C. Schulte von Drach

Wenn sich jemand ein Stück Schokolade in den Mund steckt und genießt, liegt zwischen diesen beiden Augenblicken ein komplexer Prozess. In den Geschmacksknospen stecken mindestens fünf Typen von Sinneszellen. Mit Hilfe ihrer Rezeptoren - das sind die Antennen, die auf verschiedene Inhaltsstoffe reagieren - nimmt der Mensch die Information süß, salzig, sauer, bitter und umami ("herzhaft") auf. Die Sinneszellen informieren verschiedene Hirnbereiche über die Stoffe und ihre Menge in einem Bissen Nahrung.

Was für einen Geschmack wir wahrnehmen und ob wir ihn als angenehm empfinden, ist damit noch lange nicht entschieden. Wichtig ist, was wir während des Verzehrs riechen, welche Temperatur eine Speise hat, ob Schmerzrezeptoren Schärfe vermitteln - und vor allem, wie das Essen sich anfühlt.

Selbst das Auge isst mit. So ist die Farbe eines Nahrungsmittels von großer Bedeutung. Forscher der Oxford University fanden heraus, dass selbst die Farbe des Löffels eine Rolle spielen kann. Schon der Glaube, ein Nahrungsmittel sei besonders hochwertig - etwa weil es teuer ist - steigert den Genuss. Lebensmittel können auch positive Assoziationen auslösen. Das nutzt die Werbeindustrie.

Erst alle diese Faktoren zusammen führen zur eigentlichen Geschmackswahrnehmung. Dann schmecken der Rehrücken nach Wild, der Christstollen nach Zitronen und Mandeln und das vergammelte Brot nach Schimmel. Erst jetzt steht das Urteil fest, ob man vielleicht mehr von diesem Produkt möchte oder es zur Seite schiebt.

Geschmack aus dem Chemielabor

Diesen Wunsch nach Mehr auszulösen, ist auch das Ziel der Nahrungsmittelhersteller. Seit die technischen Möglichkeiten dazu bestehen, wird an der Zusammensetzung der Produkte, an ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften intensiv gefeilt und die Reaktion der Konsumenten getestet.

Klassische Beispiele für den Erfolg solcher Maßnahmen sind die Beimischungen von Zucker, Salz oder Fett, die auf uns eine unwiderstehliche Anziehungskraft ausüben. Doch diese groben und extrem in die Kritik geratenen "Verbesserungen" werden begleitet oder ersetzt durch weit feinere Abstimmungen in der Zusammensetzung der Produkte.

Künstlich, naturidentisch oder natürlich?

Den Firmen kommt zugute, dass es den Geschmacksrezeptoren egal ist, woher eine Substanz stammt - aus einer Frucht, einem Tier, von Mikroorganismen oder aus dem Labor. "Naturidentische Aromastoffe" etwa entsprechen dem natürlichen Original. Sie werden aber synthetisch hergestellt. Der Begriff ist allerdings auf Verpackungen nicht mehr zu lesen. Gemeinsam mit rein künstlichen Aromastoffen werden sie heute einfach "Aroma" genannt. Ihren Zweck, Lebensmittel nach etwas schmecken zu lassen, was darin nicht einmal in Spuren enthalten ist, erfüllen beide.

Ethylvanillin etwa gibt Eis den Vanillegeschmack, weil unsere Rezeptoren den Unterschied zum Vanillin nicht erkennen. Außerdem werden "natürliche Aromastoffe" angegeben, die aus natürlichen Ausgangsstoffen gewonnen werden. Vanillin zum Beispiel stammt aus Vanilleschoten - oder aus Bakterienkulturen. Wer hier ganz sicher gehen will, dass etwa Erdbeeraroma aus Erdbeeren stammt, muss auf die Angabe "natürliches Erdbeeraroma" oder "Erdbeerextrakt" achten.

Piperonal nun ist ein Aromastoff, der Schokolade nach Vanille schmecken lässt. Selbst wenn der Stoff nicht aus Pflanzen, sondern aus dem Labor stammen würde, stellt er kein größeres Risiko für die Gesundheit dar als das Original. Viele Verbraucher bevorzugen aber naturbelassene Produkte und müssen von den Herstellern selbstverständlich korrekt informiert werden. Denn die Psyche entscheidet, wie gut uns etwas mundet.

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