Psychologie:Dogmatiker bevorzugt

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Einen Menschen opfern, um fünf zu retten? Wer das moralische Dilemma mit pauschalen Prinzipien löst, genießt mehr Vertrauen.

Von Christian Endt

Unter der Brücke verlaufen Straßenbahnschienen. Ein Stück weiter stehen fünf Menschen auf den Gleisen. Keiner von ihnen bemerkt die sich nähernde Straßenbahn. Auch der Fahrer bremst nicht. Kommt es zum Unfall, bedeutet das den sicheren Tod der fünf. Auf der Brücke steht ein großer beleibter Mann. Würde man den Mann von der Brücke auf die Gleise stürzen, würde ihn zwar die Straßenbahn überfahren. Die anderen Menschen wären allerdings gerettet. Was tun?

Das ist nicht nur eine Frage von Leben und Tod. Die Antwort auf dieses Dilemma wirkt sich auch darauf aus, wie beliebt man bei anderen Menschen ist. Das zeigt eine Studie, die Psychologen nun in der Fachzeitschrift Journal of Experimental Psychology: General veröffentlicht haben. Die Forscher stellen dabei fest: Wer mehr Leute sterben lässt, genießt unter seinen Mitmenschen größere Beliebtheit.

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Das oben genannte Beispiel ist eine Variante des Weichenstellerfalls, eines klassischen Dilemmas der Ethik. Philosophen verwenden es gerne, um zwei Schulen moralischen Handelns zu unterscheiden. Auf der einen Seite stehen die Utilitaristen. Sie sind der Meinung, man müsse sich so entscheiden, dass dem Wohlergehen aller Beteiligten insgesamt am besten gedient ist. Im Beispiel der Straßenbahn bedeutet dies, nach kalter Arithmetik vorzugehen: Ein Toter ist besser, als dass fünf Menschen ums Leben kommen. Demnach müsste man den dicken Mann auf die Gleise stürzen, um die anderen zu retten.

Eine andere Haltung vertritt die deontologische Ethik, die sich an Kant orientiert. Demnach sollte der Mensch bei moralischen Entscheidungen nicht zwischen Kosten und Nutzen abwägen, sondern klar definierten Regeln folgen. Die wohl wichtigste: Du sollst nicht töten. Die Deontologen sehen sich daher zum Nichtstun verpflichtet, wodurch im Beispielfall fünf Menschen sterben würden.

Viele psychologische Experimente zeigen, dass Menschen spontan eher deontologisch entscheiden. Lässt man ihnen hingegen Zeit zum Nachdenken, gelangen sie eher zu utilitaristischen Abwägungen. Das Team um Jim Everett von der Uni Oxford wollte herausfinden, warum Menschen intuitiv zu einem anderen Ergebnis gelangen als nach reiflicher Überlegung.

Ein Teilexperiment zeigt etwa, dass die Versuchsteilnehmer jemandem, der sich gegen den Brückensturz entschieden hat, eher Geld anvertrauen würden als jemandem, der den Dicken opfern würde. Wer Skrupel hat und sich nur zögerlich für die Opferung entschied, war dabei nicht so unbeliebt wie jemand, der schnell und entschieden handelte. Eine Erklärung haben die Forscher für ihr Ergebnis: Wer sich grundsätzlich vorstellen kann, von moralischen Regeln auch mal abzuweichen, steht im Verdacht, das vielleicht auch für den eigenen Vorteil zu tun.

© SZ vom 08.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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