Psycho-Guru:Seelenheilung im Minutentakt

"Die Frau muss dem Mann folgen": Bert Hellinger verspricht schnelle Erfolge bei Eheproblemen, Rückenleiden und Inzest. Seine autoritären Methoden stoßen jedoch auf schwere Bedenken.

Von Felix Berth

Noch wirkt der Mann ganz gefasst. Sein Gesicht mit dem ordentlich gestutzten Bart ist reglos, seine Haltung in dem beigen Anzug vielleicht etwas angespannt. Neben ihm steht seine Frau, auch sie aufrecht und erwartungsvoll.

Acht Minuten später wird der Mann auf der Bühne in der Stuttgarter Liederhalle zusammensacken und weinen. Doch zunächst stellt Bert Hellinger eine vermeintlich harmlose Frage: "War einer von euch vorher schon verheiratet?" Beide schütteln den Kopf.

"Eine wichtige Beziehung, vielleicht im Kindergarten?" Stumme Verneinungen. Dann sagt der Mann ins Mikrofon, das ihm Hellinger hinhält: "Ich hab' eine Freundin gehabt. Sie war schwanger, und wir haben das Kind abgetrieben."

Spannung versprochen

Ein paar Zuhörer im Saal atmen scharf ein, denn in dieser Geschichte steckt genau das, was Bert Hellinger gern thematisiert: ein vergessenes Familienmitglied. Die nächsten Minuten versprechen spannend zu werden.

Hellinger stellt den Mann in die Mitte der Bühne. Dann wählt er unter den Zuschauern "Stellvertreter" aus, die die Familie des Mannes darstellen: Eine Frau übernimmt den Part der "früheren Freundin", einen anderen Fremden legt Hellinger als "abgetriebenes Kind" dazu. Dem Mann knicken bald die Beine weg.

Dort oben liegt nun also ein etwa 50-jähriger Erwachsener, den ein Weinkrampf schüttelt. Der Zuschauer kann sich dessen Lebensgeschichte zusammenphantasieren: Vielleicht fühlt der Mann sich traurig und schuldig; vielleicht hat er seine ehemalige Freundin zur Abtreibung gedrängt.

Nach stumm-dramatischen Gesten gibt Hellinger dem "abgetriebenen Kind" eine Anweisung: "Sag ihnen: 'Ich bin noch da.'" Ein paar Minuten später beendet er das Mini-Drama: "O.k. Wie geht's euch jetzt?" "Gut", sagt der Mann und knöpft sein Sakko zu.

Blitzartige Lösungen

Tränen, Trauer, Tragödien. Solche Szenen sind immer zu sehen, wenn Bert Hellinger auftritt. Mal kommen hundertfünfzig Zuschauer wie bei dem Seminartag in Stuttgart (Eintritt 110 Euro), mal sind es tausend wie bei einer Abendveranstaltung im Münchner Vorort Germering (Eintritt 23 Euro).

Stets werden Familien "aufgestellt", stets löst dies bei den Teilnehmern intensive Emotionen aus - erwünscht ist die blitzartige Lösung psychischer Probleme: Niemand muss mehr jahrelang beim Analytiker liegen, niemand muss in Therapiegruppen mit anderen Menschen diskutieren.

Dass daraus eine Massenbewegung geworden ist, wird man in den nächsten Tagen wieder in Köln feststellen: Vom morgigen Mittwoch an treffen sich dort 1000 Anhänger, von denen sich viele als "Therapeuten nach Hellinger" bezeichnen.

Sie wollen ihren Lehrmeister ehren, der demnächst achtzig Jahre alt wird. Doch Hellingers Methode und seine Weltsicht rufen Widerspruch hervor - Therapeutenverbände grenzen sich von ihm und seinen Schülern ab, und zahlreiche Psychologen warnen vor dem Verfahren. Die Methode, die in den letzten zehn Jahren die Therapie-Szene der Bundesrepublik durcheinander gewirbelt hat, erfährt schärfste Kritik.

Seelenheilung im Minutentakt

Eine Annäherung an den Menschen Hellinger ist schwierig. Fragt man ihn nach seinem Lebensweg, antwortet er: "Wenn eine Biografie über das eigene Leben geschrieben wird, ist das das Schlimmste, was einem passieren kann." Es komme nicht darauf an, "das Vergängliche zu überwinden, sondern es zu akzeptieren."

Private Erlebnisse, gar die eigene Familiengeschichte, beschreibt er weder im Interview, noch bei seinen Auftritten. "Wenn jemand das wissen will, frage ich mich: Ist er mir wohlgesonnen?" In der Frage steckt schon seine misstrauische Antwort: vermutlich nicht.

Für eine Beschreibung des "Vergänglichen" bleibt also Archivmaterial: Bert Hellinger wurde 1925 in Köln geboren. Katholische Eltern, Ausbildung im Orden der Mariannhiller Missionare. Priesterweihe 1952; Arbeit als Missionar in Südafrika. Rückkehr nach Deutschland 1968; bald Austritt aus dem Orden.

In den siebziger Jahren diverse therapeutische Fortbildungen. In den achtziger Jahren entwickelte Hellinger seine "Aufstellungen", wobei er auf Vorarbeiten und Konzepte von Kollegen zurückgriff. "Du wirst ihn verlassen"

Liegende sind Tote

Ein weiteres Paar betritt die Bühne der Stuttgarter Liederhalle. Beide sind etwa dreißig Jahre alt. Beide lächeln, als Hellinger sie begrüßt. Keine zerstrittene Ehe, denkt man, eher eine junge Liebe. "Wir haben Probleme in der Sexualität, in der Intimität", sagt der Mann. "Soll ich was machen, ohne es zu benennen?", fragt Hellinger. Beide nicken.

Hellinger stellt die Frau in die Mitte der Bühne und postiert gegenüber einen "Stellvertreter" ihres Mannes. Die Frau verschränkt die Hände, blickt angespannt zu Boden. Dorthin legt Hellinger eine zweite Frau; im Saal weiß jeder, dass ein liegender Mensch hier einen Toten repräsentiert.

Die "Tote" dreht sich sofort von der jungen Frau weg. "Es genügt schon, dank euch", sagt Hellinger. "Das Bild ist, dass du ihn verlassen wirst." Die Frau schluchzt. Ihr Freund murmelt ins Mikro: "Ich kann dazu nix sagen." Hellinger macht noch zwei kurze "Aufstellungen", an deren Ende sie sich voneinander abwenden. "Euch beide zieht es woanders hin", resümiert er.

Will man seine Weltsicht begreifen, muss man sich in ein quasireligiöses Parallel universum begeben. Für alle Familien gelten einheitliche Regeln, glaubt Hellinger. Beachte ein Paar diese "Ordnungen", gelinge die Beziehung; eine Missachtung führe zu Katastrophen, Krankheit und Tod.

Zum Beispiel: "Die Frau muss dem Mann folgen, der Mann muss dem Weiblichen dienen." Auch das Verhältnis von Eltern und Kindern gelinge nur, wenn die "Ordnungen" beachtet würden. So müsse ein Kind seine Eltern ehren und dürfe nicht nach Verstrickungen des Vaters in das Nazi-Regime fragen: "Sonst muss der Vater sich vor dem Kind rechtfertigen. Das kann nur schlimme Folgen haben."

"Papa, ich tue es gerne"

Manchmal produziert Hellinger schrullige Phrasen ("Rückenschmerzen haben immer die gleiche Ursache, und sie werden ganz einfach geheilt: durch eine tiefe Verneigung - wahrscheinlich ist sie fällig vor der Mutter"), manchmal fordert er auch von Inzest-Opfern, den missbrauchenden Vater nicht anzuklagen, sondern ihm in Gedanken zu sagen: "Papa, für die Mama tue ich es gerne." So würde der Inzest beendet, glaubt Hellinger.

Für Klaus Weber, einen Psychologieprofessor an der FH München, sind solche Sätze unerträglich: "Das rechtfertigt die Gewaltanwendung eines Erwachsenen an einem Kind", sagt Weber.

Er debattiert darüber regelmäßig mit Studenten: "Wenn ich im Seminar Sätze laut vorlese, in denen Hellinger behauptet, dass nur eine rechte ,Ordnung' zur Gesundung führt, wissen vernünftige Menschen oft nicht, ob sie darüber lachen oder bestürzt sein sollen."

Weber zitiert dann aus den kürzlich erschienenen "Gottesgedanken", in denen Hellinger Zwiesprache mit Adolf Hitler hält. O-Ton: "Ich schaue auf dich als einen Menschen wie mich: mit Vater und Mutter und einem besonderen Schicksal. Wenn ich dich achte, achte ich auch mich. Wenn ich dich verabscheue, verabscheue ich auch mich." Solche Sätze, sagt Weber, "pendeln zwischen Faschismus und Psychose".

Seelenheilung im Minutentakt

Colin Goldner, Leiter des "Forums Kritische Psychologie", warnt vor Nebenwirkungen: "Für instabile Menschen kann das suggestive Szenario sehr gefährlich werden." Immer wieder seien Menschen nach einer "Aufstellung" von Hellinger oder seinen Nachahmern in der Psychiatrie gelandet.

In Leipzig habe sich eine Mutter vor einigen Jahren nach einer "Familienaufstellung" umgebracht. Hellinger selbst zeigte sich danach selbstkritisch - eine Haltung, die er selten hat: "In diesem Fall bin ich wohl zu weit gegangen", sagte er in einem Interview.

Selbst alte Bewunderer gehen inzwischen auf Distanz. Arist von Schlippe, Therapeut aus Osnabrück, nahm vor einigen Jahren noch Hellingers Konzepte in ein Lehrbuch über "systemische Familientherapie" auf.

Doch allmählich stellte er fest, dass Hellinger sich veränderte. "Seinen heutigen Anspruch, stets die Wahrheit zu verkünden, halte ich für bedenklich bis gefährlich." Der Therapeutenverband "Systemische Gesellschaft", dem Schlippe vorsteht, distanzierte sich; die "Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie" schloss sich an: Die Praxis der Familienaufstellungen sei "ethisch nicht vertretbar und gefährlich für die Betroffenen", so der Verband.

In einem persönlichen, offenen Brief formulierte Schlippe schließlich seinen Abschied von Hellinger: "Ich denke, dass du durch den ungeheuren Zulauf den Sinn für Maßstäbe verloren hast."

"Sonst stirbt der Sohn"

Der nächste bitte. Ein weiteres Paar steigt auf die Stuttgarter Bühne. Kurz erfragt Hellinger die Konstellation: Beide haben eine gemeinsame Tochter sowie jeweils einen Sohn aus früheren Ehen. "Wir streiten uns...", fängt die Frau an, doch Hellinger unterbricht, bevor sie Details erzählen kann.

Er stellt die Frau in die Mitte der Bühne, dazu die Stellvertreter aus ihrer Vergangenheit: den Ex-Mann und ihren Sohn. Schnell zeigt sich das Thema: Zu wem gehört der Sohn, bei wem soll er leben? Hellingers Kommentar nach drei Minuten: "Was wird der Sohn machen? Er wird zur Mutter gehen, um sie zu retten. Damit ist er verloren."

Die Mutter weicht panisch zurück, geht die Treppenstufen am Bühnenrand hinunter, steht an der Ausgangstür. Hellinger gibt ihr einen Satz vor: "Sag deinem Sohn: Ich vertraue dich deinem Vater an, mit Liebe."

Die Frau spricht ihm nach. Der "Sohn" und der "Vater" lächeln strahlend, auch die Mutter wirkt gelöst. Schlusskommentar Hellingers: "Das war's. Ich hab jetzt einen Weg gezeigt. Sonst stirbt der Sohn für seine Mutter. Alles Gute euch."

Sofortheilung der Seele

Wenn die Frau das ernst nimmt, wird sie ihr Leben grundlegend ändern - nach einem 18-minütigen Erlebnis in einem Stuttgarter Kongresszentrum. Eine Sofortheilung der Seele, deren Folgen Bert Hellinger nicht mitkriegen wird, weil er längst beim nächsten Seminar Anweisungen erteilt.

Wenn Hellinger auf der Bühne steht, wirkt er auf den ersten Blick bieder und harmlos: Ein älterer Herr mit Trachtenjanker und Bequemschuhen, mit Dauerlächeln und gleichmäßiger, hoher Stimme. Doch er hat eine außerordentliche Wahrnehmungsfähigkeit, die ihm auch Gegner bestätigen.

Hellinger achtet - wie er selbst sagt- auf kleinste Körpersignale seiner Klienten; er deutet Gesichtszüge wie andere Menschen Gemälde. Nach jahrelanger Arbeit als Therapeut formt sich das zu einer Intuition, die auf der Bühne blitzschnell erfasst, wie es einem Gegenüber geht - und womit ein Mann oder eine Frau hadert. "Er ist wirklich sensibel für Leid", sagt selbst sein Kritiker Klaus Weber.

Nur einer ist vor Hellingers Blick und Methode sicher: er selbst. Ob er selbst schon einmal eine Aufstellung gemacht hat? Auf der Bühne würde er diese Frage niemals beantworten; im Interview zögert er kurz, dann lächelt er wie so oft. "Warum sollte ich? Ich bin mit allen meinen Familienmitgliedern in Frieden."

Wenn das nur seine neue Frau nicht mitkriegt. Die hatte am Telefon gesagt: "Ich verstehe nicht, dass es eine Beziehung gibt, die ohne Familienaufstellung funktioniert."

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