Psyche und Moral:Saubere Hände, reines Gewissen

Lesezeit: 2 Min.

Seltsam: Wie wir mit moralischen Problemen umgehen, hängt offenbar auch davon ab, ob wir uns vorher gewaschen haben.

M. C. Schulte von Drach

Welche Wirkung es hat, seine Hände in Unschuld zu waschen, haben Wissenschaftler noch nicht herausgefunden. Doch sie überhaupt zu reinigen, hat überraschende Effekte auf unsere Psyche: Nach dem Waschen, wenn wir uns rein und sauber fühlen, verurteilen wir moralisches Fehlverhalten offenbar weniger hart als mit schmutzigen Pfoten.

Mit sauberen Händen verurteilen wir moralisches Fehlverhalten offenbar weniger hart. (Foto: Foto: dpa)

Das zumindest ist das Ergebnis von Studien der University of Plymouth ( Psychological Science, im Druck). Die Forscher um Simone Schnall hatten zwei Gruppen von Studenten Sätze aus Wortgruppen bilden lassen - aber nur einer Gruppe standen unter anderem Begriffe zur Verfügung, die mit Sauberkeit und Reinlichkeit zu tun hatten.

Danach sollten die Studienteilnehmer sechs moralische Dilemmata bewerten. Dazu gehörte zum Beispiel die Frage, ob man Geld aus einer gefundenen Börse nehmen sollte, ob man sich mit Hilfe eines Kätzchens sexuell erregen darf oder ob es in Ordnung ist, einen tödlich verletzten Menschen nach einem Flugzeugabsturz umzubringen und zu essen, um nicht zu verhungern.

Die Studenten bewerteten diese Entscheidungen auf einer Skala von null (völlig in Ordnung) bis neun (völlig falsch). Außerdem sollten sie angeben, wie entspannt, glücklich, traurig, angeekelt, aufgeregt oder verwirrt sie aufgrund der Dilemmata waren.

Wie sich herausstellte, empfanden jene Studenten, die vorher mit Begriffen wie sauber und rein zu tun gehabt hatten, die Dilemmata im Vergleich zur Kontrollgruppe als weniger schlimm. Demnach, so schließen die Forscher, haben offenbar bereits Gedanken an körperliche Reinheit einen Einfluss auf das moralische Urteil - unabhängig von bewussten Überlegungen.

Im nächsten Schritt zeigten die Wissenschaftler anderen Versuchsteilnehmern einen Ausschnitt aus dem Film "Trainspotting", von dem sie aus früheren Experimenten wussten, dass Zuschauer die Sequenz ekelerregend fanden. Anschließend setzten sich die Probanden in einen anderen Raum und beurteilten die Dilemmata. Allerdings wurde die Hälfte der Studenten zuvor aufgefordert, sich die Hände mit Seife zu waschen, da der Raum angeblich besonders sauber bleiben musste.

Wie die Forscher vermutet hatten, betrachteten die Versuchspersonen in der "Handwasch-Gruppe" die Entscheidungen als nicht so fragwürdig wie die übrigen Studenten. "Unsere Studie", so schließen Schnall und ihr Team, "bietet Hinweise darauf, dass Reinheit im Kontext von Moral nicht bloß eine Metapher ist."

Erst kürzlich hatten Forscher der University of Colorado in Boulder und der Yale University in New Haven, Connecticut, gezeigt, dass heißer Kaffee in der Hand nicht nur zu einer positiven Einschätzung anderer führt, sondern auch "warmherziger" macht. Und Menschen, die sich ausgeschlossen und abgelehnt fühlen, nehmen die Umgebungstemperatur als niedriger wahr als sie tatsächlich ist.

Offenbar sind also unsere Einschätzung von Situationen und unsere Reaktionen auf Menschen sehr stark von Faktoren abhängig, die in keinem für uns erkennbaren Zusammenhang damit stehen. Da stellt sich die Frage, wie weit wir unseren eigenen rationalen Erklärungsversuchen für unser Verhalten eigentlich noch trauen können.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: