Psyche und Moral:Lügen erst nach 17 Uhr

Psyche und Moral: Nach 17 Uhr bleibt oft keine Kraft mehr, um moralischen Anstand zu wahren

Nach 17 Uhr bleibt oft keine Kraft mehr, um moralischen Anstand zu wahren

(Foto: Süddeutsche.de)

Ehrlich am Morgen, lügen am Abend: Moral ist offenbar so anstrengend, dass wir nach vollbrachtem Tagewerk nicht mehr die Kraft haben, uns so untadelig zu verhalten, wie wir es morgens noch tun.

Von Katrin Blawat

Es ist nur der Alltag - aber was heißt schon nur? Gibt es Anstrengenderes, als täglich Millionen Entscheidungen zu meistern, die Familie, Haushalt und Arbeit mit sich bringen?

Nicht nur Sensibelchen empfinden den Alltag als belastend. Forscher bestätigen, dass die tägliche Routine auch an robusten Menschen zehrt. Und zwar so sehr, dass dadurch sogar das moralische Verhalten leidet. Morgens fällt es noch leicht, ein guter Mensch zu sein, man lügt und betrügt höchstens ein ganz klein wenig.

Dann häufen sich stündlich die Mühen des Alltags auf. Und diese zu bewältigen kostet so viel Energie, dass abends keine Kraft mehr bleibt, um moralischen Anstand zu wahren. Man will sich zwar noch untadelig verhalten, schafft es aber einfach nicht mehr.

So lassen sich die Ergebnisse einer Studie von Maryam Kouchaki von der Harvard University und Isaac Smith von der University of Utah interpretieren (Psychological Science, online). In vier verschiedenen Experimenten zeigten die Forscher: Morgens verhalten sich Menschen eher moralisch korrekt als abends.

In einem der Tests bekamen Probanden mehr Geld, wenn sie mogelten, als wenn sie ehrlich blieben. Außerdem sollten die Studienteilnehmer Wörter vervollständigen, bei denen gemäß den Vorgaben zum Beispiel sowohl die Lösung "moral" als auch "coral" nahelagen. Ein Teil der Probanden absolvierte die Tests vormittags, die anderen nachmittags und am frühen Abend.

Dabei verhielt sich die Vormittagsgruppe durchwegs ehrlicher und zeigte ein größeres Bewusstsein für moralisches Verhalten. Die gleiche Tendenz zeigte sich auch bei weiteren Probanden, die an ähnlichen Versuchen online teilnahmen.

Erschöpfte Selbstkontrolle

Für Kouchaki und Smith bedeuten ihre Ergebnisse nicht, dass die früh am Tag getesteten Probanden moralischer veranlagt waren als jene der Nachmittagsgruppe. Vielmehr hätten Letztere eine ungünstigere Tageszeit für moralisches Verhalten erwischt.

Nicht zu pfuschen, obwohl es leicht und ohne großes Risiko möglich wäre, erfordert Selbstdisziplin. Diese wird aber den ganzen Tag über von allerlei Kleinigkeiten strapaziert: wenn der Wecker klingelt, die Kollegen nerven und der Handwerker den vor Wochen vereinbarten Termin zum vierten Mal verschieben will. Abends ist die Selbstkontrolle dann erschöpft, ähnlich wie ein Muskel, der intensiv beansprucht wurde.

Dieser Effekt ist auch aus zahlreichen weiteren Studien bekannt. In Kouchakis und Smiths Versuchen zeigte er sich besonders deutlich bei Probanden, die in Fragebögen angaben, ihr Verhalten grundsätzlich stark an moralischen Vorstellungen auszurichten.

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