Widersprüche? Vollkommen egal, solche Kleinigkeiten interessieren die russischen Propagandaabteilungen nicht. Genauso wenig spielt es eine Rolle, ob einzelne Geschichten glaubwürdig oder offensichtlicher Irrsinn sind. Das einzige Ziel ist, möglichst viel Schlamm in die globalen Informationskanäle zu pumpen und eine undurchsichtige Brühe zu erzeugen. Bis das Publikum am Ende gar nicht weiß, was es noch glauben soll, und jede Nachricht ihre Glaubwürdigkeit verliert, egal aus welcher Quelle sie stammt. Das nämlich, heißt es, sei das Ziel dieser Technik russischer Desinformationspolitik, die auf eine lange Tradition aus Sowjetzeiten aufbaut: Vertrauen zerstören. Diese Strategie wird auch "Firehose of Falsehood" (Feuerwehrschlauch der Lüge) genannt - und wie ein Team um den Psychologen Sacha Altay von der Universität Zürich nun nahelegt, wirkt sie so, wie sie soll.
Vergiftet ein hoher Anteil an Falschnachrichten im Informationssystem den gesamten Medienbrunnen, sodass das Vertrauen im Ganzen leidet? Dieser Frage ist das Team um Altay in einer Studie nachgegangen, die auf dem Pre-Print-Server PsyArXiv zugänglich ist, also erst noch von Fachkollegen begutachtet werden muss. Die Wissenschaftler organisierten Versuche mit 2735 Probanden, denen sie Nachrichtenpakete mit unterschiedlich hohem Anteil an Blödsinn vorlegten. Die Rate an Falschnachrichten betrug 17, 33, 50, 66 oder 83 Prozent. Damit die jeweilige Weltanschauung oder politische Überzeugung der Studienteilnehmer die Ergebnisse nicht verzerrte, passten sie die Inhalte an: Jeder bekam Aussagen, die er nicht womöglich aus ideologischen Gründen ablehnen würde.
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"Wir haben eine bedeutsame, konsistente Auswirkung auf das Vertrauen in die Medien als solches beobachtet", schreibt das Team um Altay. Heißt: Je höher der Anteil an Falschnachrichten war, desto geringer fiel am Ende das Vertrauen in den Wahrheitsgehalt irgendeiner Nachricht aus. Woran soll man auch noch glauben, wenn so viel Unfug kursiert? Der Effekt trat unabhängig davon auf, ob die Probanden regelmäßig Nachrichten lesen. Auch die Fähigkeit zu kritischem Denken konnte den Effekt offenbar nicht mindern. Stattdessen erzeugte ein hoher Anteil an Falschnachrichten die Illusion, dass man Lüge und Wahrheit schon unterscheiden könne, was aber nicht zutraf: Am Ende hielten die Teilnehmer auch korrekte Nachrichten mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für falsch - sie glaubten so gut wie gar nichts mehr.
Dieser Effekt könne sich selbst verstärken, so die Forscher um Altay. Wenn erst einmal das Vertrauen in klassische Medien zerstört sei, wendeten sich die Menschen anderen Informationsquellen zu, die ein erst recht laxes Verhältnis zu Wahrheit und Lüge pflegten oder bewusst Falschnachrichten verbreiten. Zerstörtes Vertrauen in etablierte Medien treibt das Publikum in die Arme dubioser Quellen, ein Teufelskreis.
In der Gegenwart, in der jeder mehr oder weniger alles behaupten kann und darf, und in der Aufmerksamkeit alles bedeutet, ist diese Technik leichter denn je umzusetzen. Der ehemalige Berater des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump etwa, Steve Bannon, bezeichnete die Medien immer wieder als Feind, den es niederzuringen gelte. Dazu, so Bannon, werde man "das System mit Scheiße überfluten". So hat er es gesagt, und rückblickend lässt sich sagen: So ist es auch geschehen. Seither hat sich allenfalls geändert, dass viele Akteure aller Couleur die Schleusen noch weiter geöffnet haben.