Projekte gegen Nahrungsknappheit:Unsere kleine Wolkenkratzer-Farm

Wenn es nach einigen Agrarexperten geht, werden künftig Salatköpfe hinter Bürofassaden grünen und ganze Bauernhöfe in 30-Geschosser gepfercht.

Gretchen Vogel

Als Hightech-Antwort auf den immer öfter zu hörenden Ruf nach mehr regionalen Lebensmitteln, wollen Forscher nun, dass Städte die Aufgaben von Bauernhöfen übernehmen. Die Vorhersage lautet: Städte der Zukunft könnten einen Großteil ihrer Lebensmittel innerhalb der eigenen Stadtgrenzen erzeugen - in hocheffizienten Treibhäusern.

Glasfassade; dpa

Hinter Doppelglasfassaden könnte sich auch Gemüse wohlfühlen.

(Foto: Foto: dpa)

"Vertikale Farmen'', so sagen es die Befürworter, könnten mehr Nahrungsmittel erzeugen als traditionelle Bauernhöfe, zu einem Bruchteil der Kosten. Das Überleben von Millionen Menschen könne dadurch gesichert werden. Dickson Despommier, ein Parasitologe der Columbia Universität in New York und ein Verfechter der Idee des vertikalen Ackerbaus, hat errechnet, dass die Zunahme der Weltbevölkerung bis 2050 mehr als eine Milliarde Hektar zusätzliche Ackerbauflächen erforderlich macht. Das entspräche etwa der Größe Brasiliens und ist weit mehr Land, als auf dem Planeten noch verfügbar ist.

Erste Prototypen urbaner Farmen sind bereits im Test. Bisherige Treibhaustechnik soll hierbei stufenweise angepasst werden. "Treibhäuser können jede Nutzpflanze an jedem Ort, zu jeder Zeit erzeugen'', sagt Gene Giacomelli von der Universität von Arizona in Tucson, der bereits ein 450.000 Dollar teures Treibhaus für eine Südpol-Station gebaut hat.

"Gut gestaltete Treibhäuser brauchen nur zehn Prozent des Wassers, das ein Acker braucht und nur fünf Prozent der Fläche'', sagt Theodore Caplow, Chef der New Yorker Firma Sun Works, die energieeffiziente Treibhäuser für Städte entwirft.

Urbane Landwirtschaft in Innenräumen könnte genau das tun. "Getreide wie Weizen, Mais und Reis in Innenräumen schont die natürlichen Ressourcen allerdings weniger als die Zucht von Gemüse und Früchten'', sagt Caplow. Und die meisten Bäume wachsen zu langsam, als dass sich die Vorteile von Treibhäusern auszahlen würden.

Manche der ambitionierten Konzepte für vertikale Treibhäuser benötigen zudem noch technische Neuerungen, in Sachen Beleuchtung und Energieverbrauch. Und zumindest am Anfang werden innerstädtisch erzeugte Nahrungsmittel teurer sein als jene, die von konventionellen Betrieben in die Stadt verschickt werden.

"Aber mit steigendem Ölpreis sieht die Bilanz der urbanen Treibhäuser besser aus'', sagt Giacomelli. "All unser billiges Essen basiert derzeit auf niedrigen Transportkosten, billigem Wasser und preisgünstiger Energie bei der Herstellung von Düngemitteln'', sagt er.

Treibhäuser auf Dächern

Ein Ansatz der schnell verwirklicht werden könnte, sind Treibhäuser auf Dächern. Um vorzuführen, was auf den Dächern New Yorks produziert werden könnte, baute Caplows Firma im vergangenen Jahr die "Science Barge'', ein schwimmendes Treibhaus auf dem New Yorker Hudson River, das Sonnenenergie und aufbereitetes Brauchwasser nutzt, um Obst und Gemüse zu erzeugen.

"Jeder New Yorker isst im Schnitt 100 Kilogramm frisches Gemüse im Jahr'', sagt Caplow. Er hat errechnet, dass die Dächer der Stadt etwa die doppelte Fläche böten, die nötig wäre, um die gesamte Stadt zu versorgen. Derzeit installiert Sun Works ein Vorzeige-Treibhaus auf dem Dach einer New Yorker Schule, das als Lehrsaal dienen soll und die Schulkantine mit Lebensmitteln versorgt.

Unsere kleine Wolkenkratzer-Farm

Ein ehrgeizigeres Projekt ist die Landwirtschaft in Fassaden von Bürogebäuden. Doppelglasfassaden sind bei Architekten beliebt, weil sie Energie sparen. Die Wintersonne strahlt in die Innenräume, während die Fassade gegen Wärmeverlust und Schall isoliert ist.

Im Sommer brauchen Doppelglasfassaden jedoch Verschattungen, damit die Innenräume nicht überheizen. Genau diese Aufgabe könnten Hydrokulturen übernehmen, sagt Caplow. Vertikale Förderanlagen könnten die Pflanzen in die tieferen Stockwerke transportieren, wenn die Ernte ansteht. "Entsprechende Systeme ließen sich mit heute vorhandenen Technologien realisieren'', sagt Caplow.

Unten Hühner und Fische, oben Getreide

Noch weiter in die Zukunft blickend verfeinert Despommier mit seinen Studenten die Idee von Wolkenkratzer-Bauernhöfen. Er schätzt, dass eine 30-Stockwerke hohe Farm in einem städtischen Häuserblock 50.000 Menschen mit Gemüse, Obst, Eiern und Fleisch versorgen kann.

In den oberen Stockwerken würde Getreide in Hydrokulturen angebaut, die unteren Stockwerke wären für Hühner und Fische vorgesehen, die sich vom Abfall der Pflanzen ernähren. Wärme und Licht würden von Wasserkraft, Erdwärme oder aus Sonnenenergie gespeist werden. Stickstoff und andere Dünger könnten der Tiermist und möglicherweise die städtische Kanalisation liefern. Das sei schließlich der Ort, wo ein Großteil der Früchte und Gemüse am Ende lande, sagt Despommier, "diese Schleife sollte man schließen''.

Hydrokultur-Treibhäuser wären auch ein Segen für die Entwicklungsländer, sagt er. In tropischen Regionen könnte man die üppige Sonnenstrahlung nutzen, Wasser sparen und verbrauchte Böden hätten Zeit, sich zu erholen. Idealerweise ließe sich auch menschlicher Abfall auf sichere Weise in ungefährliche Nahrung verwandeln.

Jan Broeze findet solche Ideen inspirierend. "Vorher braucht es jedoch noch massive technische Neuerungen'', sagt der Landwirtschaftsexperte von der Universität Wageningen in den Niederlanden. Besonders die Beleuchtung und die Verarbeitung der Abfälle müsse verbessert werden. Im Jahr 2001 schlug Broeze mit Kollegen einen sechsstöckigen urbanen Bauernhof namens "Deltapark'' im Hafen von Rotterdam vor, der Wasser aufbereiten und die Wärme der umliegenden Gebäude nutzen sollte.

Das Landwirtschaftsministerium unterstützte das Projekt, aber es wurde abgebrochen, nachdem die Presse den Komplex als "zu industrialisiert'' kritisierte. Jetzt arbeitet Broeze daran, Treibhaustechnik mit Viehzucht zusammenzuführen. Und er ist in Kontakt mit Kollegen in Indien und China, wo innerstädtische Bauernhöfe in mehreren Orten vorgesehen sind. Das größte Projekt ist die energieautarke Öko-Stadt Dongtan bei Schanghai.

Eines der Ziele von Dongtan ist es, zumindest so viel Nahrung zu erzeugen, wie das auf dem Stadtgebiet verloren gegangene Farmland erbracht hätte. "Die große Frage ist, ob sich das ökonomisch lohnt'', sagt Peter Head, Direktor der Firma Arup, die das Projekt Dongtan leitet. Die Erfahrung in China werde die Haltung der Welt zu Landwirtschaft fundamental ändern, prophezeit Head. "Es wird keine Frage mehr sein, ob wir es ganz nett finden, urbane Landwirtschaft zu betreiben'', sagt Head. "Die Frage wird sein, ob wir überleben wollen.''

Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Science, herausgegeben von der AAAS.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: