Primatenforschung:Mach mir den Affen, Mensch!

Ein Leipziger Wissenschaftler äfft Affen nach - und erfährt dabei nicht nur viel über die Tiere, sondern auch über den Homo Sapiens.

Katharina Kramer

Es ist ein kalter Tag, an dem sich Daniel Haun im Leipziger Zoo vor die Orang-Utans stellt. Der Psychologe und Primatologe hat dennoch kurze Hosen an und ein weites T-Shirt. Alles andere würde seine Bewegungen nur stören, und auf die kommt es heute an. Wer einen Affen nachäffen will, muss beweglich sein.

Primatenforschung: Nur Menschenaffen sind zu immitierendem Verhalten fähig.

Nur Menschenaffen sind zu immitierendem Verhalten fähig.

(Foto: Foto: AP)

Hinter einer Glasscheibe nähert sich das Forschungsobjekt, die 30 Jahre alte Affendame Dokana. Sie zeigt schnell Interesse und setzt sich gegenüber von Haun auf den Boden. Das gleiche tut der Forscher. Als Dokana beide Hände gegen die Glasscheibe presst, macht ihr menschliches Gegenüber auch das nach. Ebenso wie das Schütteln einer erhobenen Hand und alle weiteren Bewegungen. Daniel Haun pervertiert den Begriff vom Nachäffen: Er macht den Affen nach.

Dahinter steckt eine spannende Frage, die Haun und seine Kollegen am Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie umtreibt: Erkennen Affen, dass ihre Bewegungen imitiert werden? Noch weiter gefragt: Können sich Affen so weit in andere hineinversetzen, dass sie dessen Absichten begreifen?

"Heureka-Moment"

Dokana mustert Haun eindringlich. Dann schüttelt sie beide Hände, wieder und wieder. Als der Wissenschaftler auch das kopiert, lässt Dokana ihn keine Sekunde mehr aus den Augen, verfolgt genau jede seiner Bewegungen. Schließlich streckt sie ihre langen Arme hoch, legt die Hände über dem Kopf aneinander und verharrt in dieser Stellung.

Während auch Haun seine Arme emporreckt, jubelt er innerlich. "Das war ein Heureka-Moment", erinnert sich der 30-jährige Wissenschaftler, "eine solche Ballerina-Pose gehört definitiv nicht zum klassischen Repertoire eines Orang-Utans." Dokana testete ihr Gegenüber. Mit untypischem Gebaren prüfte sie, ob der entfernte Verwandte sie tatsächlich nachahmte oder nur zufällig ähnliche Bewegungen vollführte.

In einer langen Versuchs-Serie, die Daniel Haun kürzlich im Fachmagazin Current Biology veröffentlichte, imitierte der Wissenschaftler nicht nur Dokana, sondern auch zwei weitere Orang-Utans, zwei Gorillas, zwei Bonobos und vier Schimpansen. Alle großen Menschenaffen erkannten, dass sie imitiert wurden und prüften das auch.

Die Schimpansin Natascha forderte den Forscher besonders heraus und zeigte gleichzeitig eindrücklich, wie bewusst sie seine Imitation registrierte: Sie drehte sich immer wieder um die eigene Achse. "Mir wurde beim Nachahmen schwindelig", berichtet Haun, "und ich drehte mich viel langsamer als Natascha, weil ich es nicht so geschickt konnte wie sie. Aber sie hat die ganze Zeit Blickkontakt zu mir gehalten und sogar abgewartet, bis ich mit einer Drehung fertig war. Dann erst setzte sie zur nächsten Bewegung an."

"Um ein solches Verhalten zu zeigen, müssen die Affen sich selbst erkennen können und den anderen getrennt wahrnehmen. Außerdem müssen sie begreifen, dass sie ihr Gegenüber beeinflussen können." Selbsterkenntnis, Fremderkenntnis und das Bewusstsein, auf andere einwirken zu können: Das sind elementare Grundlagen für eine komplexe soziale Interaktion, sagt Haun. "Auch wir Menschen ahmen einander ständig bewusst oder unbewusst nach."

Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede gibt es in diesem Punkt zwischen Mensch und Menschenaffe? Und was verrät das über uns Menschen, unsere Evolution und unsere sozialen Beziehungen?

Mach mir den Affen, Mensch!

Die offensichtlichsten Gemeinsamkeiten gibt es im Verhalten von Menschenaffen und kleinen Kindern. Zwischen 14 Monaten und drei Jahren lieben es Kleinkinder, sich gegenseitig zu imitieren. Dabei testen auch sie - wie Dokana und Natascha - durch ungewöhnliches Benehmen, ob das Gegenüber sie tatsächlich kopiert. Sie machen eine lange Nase, strecken die Zunge heraus, schlagen Purzelbäume und andere Kapriolen, um zu testen, ob sie nachgeahmt werden.

Aufschlussreich ist, dass Affen, die nicht zu den Menschenaffen gehören, ein solches Testverhalten nicht zeigen. Bei Experimenten mit Makaken stellte sich heraus, dass sie lediglich aufmerken. Wahrscheinlich haben diese Affen nur eine vage Vorstellung von Ich und Du, und es fehlt ihnen die Einsicht, andere beeinflussen zu können.

Da hier eine klare Grenzlinie zwischen Menschenaffen und anderen Affen erkennbar ist, folgert Haun: Schon der gemeinsame Vorfahr von Mensch und Menschenaffe vor rund 15 Millionen Jahren dürfte erkannt haben, dass er auf sein Gegenüber einwirken kann. "Ein grundlegender kognitiver Schritt, ohne den eine wechselseitige Kommunikation kaum möglich ist", sagt der Forscher.

Die Kluft zwischen Makaken und großen Menschenaffen findet auch Frans de Waal aufschlussreich. Der weltweit anerkannte Primatologe vom Yerkes Primate Center in Atlanta nennt Daniel Hauns Befund "interessant": "Er zeigt, wie weit unsere nächsten Verwandten bezüglich ihres Bewusstseins den Tieraffen voraus sind."

Das Experiment in Leipzig verlange den Affen mehr ab als bisherige Versuche mit Spiegeln. Auch vor dem Spiegel zeigen Menschenaffen ein Testverhalten. Sie gehen beispielsweise in verschiedene Richtungen, um zu prüfen, ob das Spiegelbild das gleiche tut. Irgendwann beginnen sie, abwechselnd ihren eigenen Körper und das Spiegelbild zu inspizieren - das heißt, sie begreifen, dass sie sich selbst gegenüberstehen.

Bei Daniel Hauns Versuch dagegen müssen die Affen eine Imitation erkennen, die nicht nur unpräziser ist als ihr eigenes Spiegelbild, sondern auch von einem Vertreter einer anderen Spezies ausgeht. Dass die Menschenaffen den Test bestanden haben, zeigt laut de Waal, dass unsere nähesten Verwandten "ein sehr klares Bild von sich selbst und von anderen als unabhängige Wesen haben".

Dieses klare Bewusstsein vom Selbst und vom Anderen schöpfen die Tiere allerdings weniger aus als der Mensch. Begeistert geben sich menschliche Kleinkinder fast zwei Jahre lang ihren Imitations-Spielen hin. Dabei verfeinern sie die Fähigkeiten zur gegenseitigen Kommunikation - eine exzellente Vorbereitung für das Sprachenlernen.

Junge Affen dagegen machen in ihrer Entwicklung keine Imitations-Phase durch, obwohl sie die kognitiven Anlagen dazu hätten, wie Hauns Experiment beweist. Ein Grund dafür könnte sein, dass Menschen stärker als Menschenaffen über das Erkennen von Imitation ein Bindungsgefühl aufbauen. Wir finden andere eben besonders sympathisch, wenn sie so sind wie wir.

Das zeigt sich schon bei Kleinkindern, wie der amerikanische Psychologe Andrew Meltzoff nachgewiesen hat. In seinen Tests saß ein Kleinkind zwei Erwachsenen gegenüber. Einer der beiden imitierte jede Handlung des Kindes. Der andere bewegte sich zwar, imitierte das Kind aber nicht. Binnen kurzer Zeit verloren die Knirpse ihr Herz an den Imitator. Sie lächelten ihn deutlich häufiger an als den Nicht-Nachahmer.

Bei Erwachsenen ist diese kindliche Freude am Imitiert-Werden keineswegs verschwunden, sie ist nur weitgehend ins Unterbewusste verlagert. Der niederländische Verhaltenspsychologe Rick van Baaren aus Nijmegen hat nachgewiesen, dass auch Erwachsene positiv auf Menschen reagieren, die ihre Gesten, Körperhaltungen oder sprachlichen Äußerungen nachahmen - allerdings nur, solange sie die Imitation nicht bewusst bemerken.

Die unterschwellige Sehnsucht nach dem Alter Ego ist offenbar fester Bestandteil des Alltags. In einem holländischen Restaurant hat van Baaren festgestellt, dass Kellnerinnen, die jede Bestellung nicht nur zu notierten, sondern Wort für Wort wiederholten bis zu 69 Prozent mehr Trinkgeld bekommen.

Auf solche Zuwendungen von seinen Probanden konnte Daniel Haun nicht hoffen. Doch auch sein Nachäffen blieb nicht ohne Lohn: "Die Nähe, die zwischen mir und den Affen entstand, war faszinierend."

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