Süddeutsche Zeitung

Wetter:Völlig verwirbelt

Anfang Januar ist das polare Windband in der Stratosphäre zusammengebrochen. Das könnte den Schneefall in Spanien begünstigt haben - und das Wetter in Europa noch für Wochen beeinflussen.

Von Marlene Weiß

Alle ein bis zwei Winter vollziehen sich hoch oben in der Stratosphäre erstaunliche Extremereignisse, von denen man an der Erdoberfläche zunächst wenig mitbekommt. Bis sie dann doch das Wetter hier unten durcheinanderbringen. Man spricht von "plötzlicher Stratosphärenerwärmung": Auf einmal steigt die Temperatur über dem Nordpol rasant an, und der Polarwirbel, der sonst im Winter in rund 30 Kilometern Höhe stabil von West nach Ost rund um den Nordpol weht, bricht zusammen oder kehrt seine Richtung um. Vor einer Woche war es wieder so weit - und das könnte Folgen für das weitere Winterwetter haben. Womöglich hat der Prozess auch zu den extremen Schneefällen und Überschwemmungen in Spanien beigetragen.

Das Wettergeschehen spielt sich hauptsächlich in der Troposphäre ab, die Stratosphäre liegt als zweite Atmosphärenschicht oberhalb davon. Normalerweise baut sich der stratosphärische Polarwirbel, englisch polar vortex, im Herbst mit Beginn der Polarnacht auf. Angetrieben wird der Wirbel von der Temperaturdifferenz, die entsteht, wenn die Region um den Nordpol keine Sonne mehr abbekommt. Wenn im Frühling die Sonne in den hohen Norden zurückkommt, verschwindet er wieder - aber zuweilen macht er auch mitten im Winter seltsame Verrenkungen und Tricks.

Dass dort oben wohl auch in diesem Winter etwas passieren würde, war schon Ende Dezember absehbar: Der Wirbel begann zu schwächeln und sich zu verformen. Ein Windsystem mit entgegengesetzter Drehrichtung bedrängte ihn von der Seite und kostete ihn Energie, hinzu kam eine Wärmewelle über Eurasien.

Der Polarwirbel kollabierte

Am 5. Januar war es schließlich so weit: Die ursprünglich eiskalten Bereiche innerhalb des Polarwirbels zerbrachen in zwei Kälteinseln über Nordamerika und Europa, während über der Arktis nun ringförmige Winde in der umgekehrten, also Ost-West-Richtung wehten, in deren Innern es auf einen Schlag rund 50 Grad wärmer war als zuvor - nur noch etwa 25 statt bis zu 80 Grad Celsius unter null. Der Polarwirbel war kollabiert, das Erwärmungsereignis perfekt.

Nun ist die Stratosphäre eben nicht die Wetterküche der Erde. In vielen Jahren hatten Vortexkollaps-Ereignisse überhaupt keinen messbaren Effekt auf das Wetter, weil sich die Winde, Temperaturen und Druckunterschiede nicht nach unten fortsetzen konnten. Etwa, weil sie auf dem Weg Richtung Erdoberfläche auf starke Wettersysteme trafen, die sich von dem Signal aus der Höhe nicht beeindrucken ließen.

In anderen Jahren aber ist im Nachhinein an den Daten deutlich zu sehen, wie die Störung durch die Stratosphärenerwärmung über mehrere Wochen zur Erdoberfläche transportiert wird und dort das Wetter verändert. Denn der Polarwirbel beeinflusst unter anderem den Jetstream, das Windband, das eine Etage tiefer in der Troposphäre ganzjährig um die Arktis weht und diese isoliert. Ein schwacher oder kollabierter Polarwirbel kann den Jetstream schwächen, woraufhin kalte Luftmassen aus der Arktis bis weit nach Europa oder in die USA schwappen können. So wird etwa das "Beast from the East", ein Sturm, der 2018 Kälte und große Schneemassen auf die Britischen Inseln brachte, auch auf einen Polarwirbelkollaps zurückgeführt.

Auch in diesem Jahr könnte der im Vorfeld des Kollapses gestörte Polarwirbel bereits spürbare Konsequenzen gehabt haben - insbesondere in Spanien. Denn der schwächelnde Jetstream begünstigt eine spezielle Wetterlage, die den dortigen Kälteeinbruch erst möglich machte: Das Azorenhoch konnte von seinen namensgebenden Inseln nach Norden verrutschen und schaufelte an seiner Südseite statt der üblichen milden Westströmung kalte Luft aus Osten nach Spanien. Hinzu kam ordentlich Feuchtigkeit aus einem Tiefdruckgebiet im Süden, und fertig war das Schneechaos.

Die Rolle des Klimawandels ist offen

"Ob der Kälteeinbruch in Spanien mit dem schwachen Polarwirbel zusammenhängt, ist nicht direkt ersichtlich, es könnte aber ein Faktor gewesen sein", sagt die Atmosphärenforscherin Marlene Kretschmer von der University of Reading. Wobei dafür natürlich einiges zusammenkommen musste. Längst nicht auf jeden Polarwirbelkollaps folgt Schnee in Madrid - starker Niederschlag ist allerdings eine häufige Nebenwirkung.

Auch in den kommenden Wochen könnte der kollabierte Polarwirbel das Wetter beeinflussen. "Die Vorhersagemodelle reagieren bereits auf das Ereignis. Es sieht momentan so aus, als könnte es in Europa in den kommenden Wochen zu kälterem Wetter kommen, die Chance dafür ist jedenfalls gestiegen", sagt Kretschmer. Ganz eindeutig lässt sich das nicht sagen, zu chaotisch ist das Wettergeschehen - aber die Prozesse in der Stratosphäre haben zumindest die Würfel gezinkt, und zwar noch für eine ganze Weile. "Das ist das Spannende an diesen Ereignissen: Die Erwärmung in der Stratosphäre ist kurz, aber die Effekte auf das Wetter können bis zu zwei Monate andauern", sagt Kretschmer.

Völlig offen ist allerdings, welche Rolle der Klimawandel bei alldem spielt. Zwar könnte es sein, dass die stark schrumpfende Eisfläche in der Arktis zur Schwächung des Polarwirbels beiträgt, aber welcher Effekt unterm Strich herauskommt, ist noch längst nicht geklärt.

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