Es war eine der größten und aufwendigsten Expeditionen in die Arktis, die es je gegeben hat: Von September 2019 an war der deutsche Forschungseisbrecher Polarstern gut ein Jahr lang in der Arktis unterwegs. Über die Wintermonate driftete das Schiff eingefroren im Eis durch die Arktis und kam auf diese Weise nahe am Nordpol vorbei. Seit der Rückkehr im Oktober 2020 sind Forschende damit beschäftigt, die während der Mosaic-Expedition gesammelten Daten auszuwerten. Nun haben sie drei erste Übersichtsartikel veröffentlicht.
Die Arbeiten, die am Montag in der Fachzeitschrift Elementa publiziert wurden, befassen sich jeweils mit den Vorgängen in der Atmosphäre, mit Schnee und Eis sowie mit den Prozessen im Ozean. Gemeinsam liefern sie ein erstes Bild der Veränderungsmechanismen in der Arktis, die sich rund doppelt so schnell erwärmt wie der Rest der Welt - was nicht nur dramatische Folgen für die dortigen Ökosysteme hat, sondern sich auch global auf Wetter und Klima auswirkt.
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Eine Überraschung für die wechselnden Forschungsteams an Bord der Polarstern war das erstaunliche Tempo, mit dem das Packeis durchs Meer driftete. "Dies hat nicht nur die Teams vor Ort in ihrer täglichen Arbeit auf der Scholle herausgefordert, sondern führt vor allem zu veränderten Meereiseigenschaften und Meereisdickenverteilungen", sagt Marcel Nicolaus, Meereisphysiker am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), und Co-Leiter des Teams Eis im Mosaic-Projekt.
Der Polarwirbel war von Januar bis März 2020 besonders stark
Die Forscherinnen und Forscher führen das in der Analyse auf die besonderen Bedingungen des Winters 2019/2020 zurück: An der Oberfläche war es sehr kalt, was mit starken Winden verbunden war, so dass das Eis stärker als sonst vorangetrieben wurde. Das dürfte auch mit dem ungewöhnlich starken Polarwirbel von Januar bis März 2020 zusammenhängen. Ist dieser Höhenwind rund um die Arktis besonders ausgeprägt, kann wenig warme Luft eindringen. Das führte im Winter der Mosaic-Expedition auch dazu, dass sich ein Rekord-Ozonloch in der Stratosphäre bildete.
Die Winde hatten auch Folgen für die Verteilung von Schnee und Eis. Die räumlichen Schwankungen waren dabei größer als erwartet. An manchen Stellen lagerte sich der Schnee ab, an anderen wurde er weggefegt; hier fanden die Forscher Risse im Eis, dort türmten sich hohe Presseisrücken auf. Kurzfristige Ereignisse wie Stürme, Wärmeperioden oder Niederschläge wirkten sich dabei noch über Monate deutlich auf Schnee und Meereis aus. Mit diesen Erkenntnissen hoffen die Forschenden nun, künftig Klimamodelle verbessern zu können.
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Auch unterhalb der Eisschicht fand sich mehr Bewegung als erwartet. "Wir beobachten eine zunehmende Verbindung zwischen dem oberen Ozean und den tieferen warmen Wasserschichten im zentralen Arktischen Ozean, und zwar das ganze Jahr über", sagt Céline Heuzé, physikalische Ozeanografin an der Universität Göteborg und Co-Leiterin des Mosaic-Teams "Ozean".
Die drei Artikel dürften jedoch nur der Anfang sein, die Auswertung der gesammelten Daten wird die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch über Jahre beschäftigen. Sie hoffen, durch die einzigartige Kombination von umfassenden physikalischen und biologischen Beobachtungen endlich ein besseres Verständnis davon zu erlangen, was die schnelle Erwärmung in der Arktis anrichtet - und was das für den Rest der Welt bedeuten könnte.