Süddeutsche Zeitung

Klimakolumne:Sauber segeln

Die Idee, den Plastikmüll in den Weltmeeren einfach einzusammeln, ist bestechend. Doch das Problem wird weder schnell noch simpel zu lösen sein - und erst recht von keinem Einzelkämpfer, schreibt Vivien Timmler im Klimafreitag-Newsletter.

Von Vivien Timmler

Wie lange ist es her, dass Sie das letzte Mal am Strand waren? Jauchzend Richtung Meer gerannt sind? Sich abends das Salz und den Sand vom Körper gewaschen haben und dachten: morgen gleich nochmal?

Ich gebe zu: Ich gehöre zu den Glücklichen, die das 2020 erleben durften, im März, bevor die Pandemie uns alle eingeholt hat und es sich irgendwie nicht mehr richtig anfühlte, in den Süden zu fahren oder auch nur an die Nordsee. Und trotzdem, obwohl mein letzter Meer-Moment noch gar nicht so lange her ist, fühlt sich das alles ganz schön weit weg an.

Allerdings ist die Tatsache, dass wir uns gerade inmitten einer Pandemie befinden, nicht der einzige Grund, warum der Gedanke an endlose, unberührte Strände und kristallklares Wasser zunehmend unrealistisch erscheint. Denn egal ob auf Amrum, auf Fuerteventura oder auf Bali, von wo es gerade wieder sehr eindrückliche Bilder gibt: Überall liegt Plastikmüll rum.

Bekommt man das Plastik wieder raus aus den Meeren? Und wenn ja: wie?

Dieser Müll wird zu großen Teilen aus dem Meer angeschwemmt. Naheliegend also, dass sich Menschen, denen die Ozeane etwas bedeuten oder die in ihrer Säuberung ein Geschäft wittern (oder beides), Gedanken darüber machen, wie man das Plastik wieder rausbekommt aus den Weltmeeren. Ein gutes Dutzend Start-ups und Organisationen gibt es mittlerweile, die sich ausschließlich mit diesem Thema befassen.

Eine bahnbrechende Idee war bislang nicht dabei, dafür aber eine, die ganz schön viel Wirbel gemacht hat. "The Ocean Cleanup" heißt das Projekt eines jungen Niederländers, der vor ein paar Jahren vollmundig versprach, mithilfe einer gigantischen Rohrkonstruktion 90 Prozent des Plastikmülls aus den Weltmeeren zu fischen, und zwar innerhalb von 20 Jahren. Nichts gegen große Ziele und noch größere Visionen, aber das war leider einfach illusorisch. Nicht nur, dass seine Konstruktion schon nach ein paar Monaten kaputtging. Experten waren sich von vornherein einig, dass das Müllsammeln an der Wasseroberfläche allein das Problem nicht im Ansatz würde lösen können. Zu groß waren die praktischen Schwierigkeiten, und was ist mit all den bereits in tiefere Wasserschichten gesunkenen Plastikteilchen? Zudem: Wie transportiert man all den Müll wieder ab?

Deutlich ganzheitlicher geht der Schweizer Yvan Bourgnon die Sache an. Der Profisegler hat in den vergangenen Jahren gemeinsam mit zahlreichen Ingenieuren ein Segelschiff entworfen, das den Plastikmüll nicht nur aus dem Wasser fischt, sondern daraus an Bord direkt Energie gewinnt, die wiederum das Schiff antreibt. Pyrolyse heißt der Prozess, der das zerkleinerten Plastik erst zu Gas und dann zu Strom umwandelt. Nahezu emissionsfrei soll der "Manta" - eine Anspielung auf die Form des Schiffs, die tatsächlich einem Rochen ähnelt - letztlich dank Wind, Sonne und Plastik-Strom über das Wasser gleiten, zumindest in der Theorie.

Aber so bestechend die Idee auch ist und so viel sie "The Ocean Cleanup" auch voraushat: Auch sie kann die Weltmeere nicht gänzlich vom Plastikmüll befreien. Der Unterschied zu anderen Projekten dieser Art ist jedoch: Bourgnon behauptet das auch nicht. Wenn er seine Idee bewirbt, dann spricht er nicht nur von der romantischen Idee, die Plastikteppiche einzusacken und alles wird wieder gut. Dann macht er keine großen Versprechungen oder suggeriert er den Menschen, eine simple Technologie würde schon irgendwie säubern, was sie jahrzehntelang verdreckt haben. Bourgnon spricht stattdessen von Aufklärung, von Bildung - und von Verzicht.

Der Schutz der Ozeane fängt im Alltag an

Denn das ist der springende Punkt bei all den Ideen und Innovationen, so revolutionär sie auch wirken mögen und so gerne man ihren Erfindern Glauben schenken mag: Sie alle bringen nichts, wenn viele von uns weiter so konsumieren und weiter so achtlos wegwerfen wie bisher. Bis zu zwölf Millionen Tonnen Plastik gelangen jedes Jahr in die Weltmeere. Selbst wenn wir einhundert Rohrkonstruktionen und einhundert Müllsammelboote hätten: Da würden wir einfach nicht hinterherkommen. Ein Teil des Plastik hätte sich schon zersetzt oder wäre auf den Grund gesunken, bevor irgendjemand irgendetwas dagegen tun kann.

Langfristig wichtiger als die Ozeane zu säubern ist es daher, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Und das fängt im Alltag an, gerade in der Pandemie: Weiterhin so unverpackt kaufen wie möglich. Der Versuchung widerstehen, sich ständig Essen oder Schnickschnack nach Hause liefern zu lassen. Zum Spazierengehen einen Thermobecher mitnehmen statt sich am Kiosk einen aus Plastik reichen zu lassen, auch wenn es einen Gedanken mehr kostet. Denn was nicht konsumiert wird, landet auch nicht im Meer.

(Dieser Text stammt aus dem wöchentlichen Newsletter Klimafreitag, den Sie hier kostenfrei bestellen können.)

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