Bevölkerungsexplosion:Wir werden viele Alte sein - sehr viele

Wieder eine Rekordzahl: Sieben Milliarden Menschen leben jetzt auf der Erde. Viele befürchten, dass nur Horrorszenarien mit Plagen, Epidemien und Hungersnöten die Bevölkerungsexplosion bremsen werden. Andere setzen auf den wissenschaftlichen Fortschritt und eine gerechte Verteilung. Uns eint die Angst vor der Masse, die noch kommt: ein Blick in unsere Zukunft mit zehn Milliarden Menschen.

Petra Steinberger

Du oder ich. Darum ging es lange Zeit in Wahrheit, wenn von Überbevölkerung geredet wurde. Denn es sind doch meist die anderen, von denen wir annehmen, es seien viel zu viele. Vermutlich war das schon in der Steinzeit so, als Waldhöhlenbewohner gegen Feldhöhlenbewohner um die letzten Großtiere kämpften.

Residents crowd in a swimming pool to escape the summer heat during a hot weather spell in Daying county of Suining

Menschenmassen in einem öffentlichen Schwimmbad in Suining, China. Bevölkerungsstatistiken und ihre Interpretation sind ihrer Natur nach immer politisch, und die Diskussion darüber ist nicht selten xenophob oder gar rassistisch aufgeladen.

(Foto: REUTERS)

Wer von zu vielen Menschen sprach, meinte damit: Es gibt zu wenig für alle. Zu wenig Land, Nahrung oder andere Ressourcen. Aber ob sie tatsächlich nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen - oder ob es nur um ein Verteilungsproblem geht? Bis heute ist das nicht geklärt.

Fest steht jedoch: Bevölkerungsstatistiken und ihre Interpretation sind ihrer Natur nach immer politisch, und die Diskussion darüber ist nicht selten xenophob oder gar rassistisch aufgeladen. Vor allem zwei ideologisch geprägte Denkmuster stehen sich gegenüber.

Die einen folgen dem englischen Ökonomen Thomas Malthus. Der hatte in seinem Standardwerk "An Essay on the Principle of Population" von 1798 die These aufgestellt, dass Überbevölkerung unausweichlich und schicksalhaft sei, weil die Menschheit naturgegeben immer schneller wachse, als Nahrung produziert werden könne.

Außer durch Plagen und Epidemien regulierten nach Malthus die immer wiederkehrenden Hungersnöte dieses ungebremste Wachstum - sie dienten also letztlich der Überlebensfähigkeit. Dieses Prinzip sei unabänderlich, deshalb brächten Almosen für die Armen: gar nichts. Malthus' Anhänger plädieren bis heute für die in ihren Augen einzig sinnvolle Konsequenz, um solche "Malthusischen Katastrophen" zu verhindern: strikte, wenn nicht gar unter Zwang durchgesetzte Geburtenkontrollen.

Die anderen halten schon das Konzept der Überbevölkerung für einen Trugschluss. Die Erde, meinen sie, biete genügend Platz für alle und noch ein paar. Das Marx'sche Prinzip, wonach Mangel durch die ungleiche Verteilung des Wohlstands bedingt ist, trifft sich bei dieser Gruppe mit dem Glauben an den steten wissenschaftlichen Fortschritt in der Produktion von Nahrung für die Menschheit. Und hat die Grüne Revolution nicht gerade bewiesen, dass Welternährung trotz der explodierenden Weltbevölkerung möglich ist?

In den nächsten Jahrzehnten könnten wir erfahren, wer recht behält. Aber auch etwas anderes wird sich zeigen: Dass das unaufhörliche Wachstum der Menschheit keineswegs naturgegeben ist.

Zwar wird die Weltbevölkerung in den nächsten vierzig Jahren noch einmal um rund ein Drittel wachsen - nach dem jüngsten Bevölkerungsbericht der Uno bis 2050 auf 9,3 Milliarden Menschen und bis zum Jahr 2100 auf mehr als zehn Milliarden. Doch zugleich ist dann der Scheitelpunkt der Bevölkerungskurve erreicht. Wenn es bis dahin nicht zur prophezeiten Malthusischen Katastrophe gekommen ist, wird sich die Zahl der Menschen stabilisieren und dann sinken - und zwar ganz ohne Zwang und ohne Naturkatastrophen.

Die Gründe dafür sind bekannt. Als der Biologe - und Malthusianer - Paul Ehrlich in den siebziger Jahren vor der "Bevölkerungsbombe" und kommenden Hungersnöten warnte, begann bereits die Geburtenrate zu fallen. Zunächst in den westlichen Industrienationen. Dann, etwas zeitversetzt, in immer mehr Ländern der Erde.

Wir werden viele sein - viele Alte

Die Weltbevölkerung steigt zwar derzeit noch, befeuert durch den sogenannten Echo-Boom, also durch die Nachkommen jener Mütter, die während des Babybooms der fünfziger und sechziger Jahre zur Welt gekommen waren. Aber inzwischen wird dieses Wachstum auch durch die zunehmende Zahl dieser alt gewordenen Boomer angetrieben. Wir werden viele sein. Viele Alte.

Doch nicht allein die Zahl der Menschen wird das 21. Jahrhundert maßgeblich prägen - sondern vielmehr auch, wie diese Zahl verteilt und zusammengesetzt ist. Von regionalen "Cluster-Explosionen" sprechen manche Demographen: Auf der einen Seite (und zunächst noch) schrumpft die Bevölkerung vor allem in den industrialisierten oder reichen Teilen der Welt. In den nächsten vierzig Jahren wird der demographische Anteil dieser entwickelten Nationen um ein Viertel abnehmen.

Zugleich wachsen auf der anderen Seite viele der jüngeren Schwellen- und Entwicklungsländer noch rasant weiter. Und der weitaus größte Teil dieses Wachstums bis 2050 wird in armen Ländern, vor allem in Afrika südlich der Sahara, erfolgen, die jetzt schon kaum in der Lage sind, ihren jungen Menschen Perspektiven oder Arbeit zu bieten.

Hoffen auf den "geriatrischen Frieden"

So entwickelt sich jenes Vakuum, das einen dritten, bereits einsetzenden Bevölkerungstrend ausgelöst hat - die zwangsläufige und unaufhaltsame Wanderung des Südens in den Norden: ein Szenario, das schon längst mit realen und diffusen Ängsten überfrachtet ist, man denke nur an die Auseinandersetzungen um die Bootsflüchtlinge.

Noch dazu gibt es innerhalb dieser rapide wachsenden Bevölkerung vor allem eine Gruppe, die sich scheinbar auf Konfrontationskurs mit dem Westen und seinen Werten befindet: die Muslime. Viele Politologen halten es deshalb für dringend notwendig, das Verhältnis zwischen islamischen und westlichen Gesellschaften rasch zu verbessern.

Doch dann wird das geschehen, was vielen von uns, die wir wie Kaninchen die Zehn-Milliarden-Schlange anstarren, noch gar nicht richtig klar sein dürfte: eine Hyper-Überalterung wird einsetzen. Von 1800 bis heute wuchs die Menschheit von einer auf sieben Milliarden. Das war zuletzt vor allem dem verbesserten Gesundheitswesen und der sinkenden Säuglingssterblichkeit zu verdanken.

Jetzt könnte die steile Kurve wieder nach unten stürzen - vor allem eine Folge der besseren Ausbildung für Frauen, die weniger Kinder gebären.

Und es wird kein europäisches Phänomen sein, sondern ein weltweites. In Südkorea und Taiwan wird die Bevölkerung innerhalb der nächsten 15 Jahre schrumpfen. In China dauert es noch etwas länger, dann werden die Effekte der Ein-Kind-Politik sichtbar: Eine 4-2-1-Gesellschaft ist am Entstehen, in der ein Enkel für zwei Eltern und vier Großeltern sorgen muss.

Kein Wunder, dass diese Politik inzwischen im Land selbst zunehmend kritisiert wird. In vielen Schwellenländern sinkt die Geburtenrate derart schnell, dass sich unter Ökonomen bereits der Satz durchsetzt, sie könnten "alt werden, ehe sie reich werden". Viele dieser Länder haben überdies keine funktionierenden Versorgungs- oder Rentensysteme für ihre Alten.

Einige Strategen hoffen derweil, dass sich eine überalterte reiche Weltgesellschaft wenigstens in einem "geriatrischen Frieden" einrichten wird. Aber dafür sind die Schrumpfungsprozesse weltweit zu zeitversetzt. Die großen "Jugendblasen", der Echo-Boom im globalen Süden und damit das größte demographische Gefahrenpotential in Zeiten der Rohstoffverknappung stehen uns noch bevor, warnte kürzlich das Center for Strategic and International Studies - ab 2020.

In diesen Tagen wird häufig gerechnet, wann der Peak, der Scheitelpunkt, beim Öl und anderen Ressourcen erreicht ist. Vielleicht noch wichtiger könnte sein, ob es der Menschheit gelingt, im richtigen Tempo zu schrumpfen, nachdem sie den Scheitelpunkt ihres eigenen Wachstums erreicht hat. Denn auch Kleinerwerden will gelernt sein.

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