Pluto-Mission:Der Explanet

Am Dienstag erreicht erstmals eine Raumsonde den Pluto. Forscher hoffen auf spektakuläre Aufnahmen von der Felskugel am Rande unseres Sonnensystems. Bisher weiß man fast nichts über die ferne Welt.

Von Robert Gast

Jetzt hat Pluto auch noch ein Herz. Oder genauer gesagt: eine helle, grob herzförmige Struktur auf der Oberfläche. Das "Herz" ist so groß, dass es nun vom Weltall aus entdeckt und fotografiert wurde. Es erstreckt sich vom Äquator nach Süden, seine Spitze läuft in der Nähe des Südpols zusammen. Natürlich haben Weltraumenthusiasten aus dem Bild sofort eine digitale Postkarte gemacht, die sie über Twitter verbreiteten: "I ♥ Pluto".

Vermutlich wird die neue Aufnahme des Zwergplaneten bald auf Postern und Kaffeetassen der Nasa wiederzufinden sein. Schließlich hat eine Sonde der US-Raumfahrtagentur, die Pluto derzeit so nahe kommt wie kein menschgemachtes Objekt vor ihr, die neue Aufnahme geliefert. Das Raumschiff heißt New Horizons, hat 720 Millionen Dollar gekostet und rast auf den ehemaligen Planeten am Rand des Sonnensystems zu. Am Dienstag kommt sie endlich an. Um 13.50 Uhr deutscher Zeit werden nur noch 12 500 Kilometer New Horizons und Pluto trennen. Aus dieser Höhe könnte man auf der Erde Badeseen erkennen.

Sogar die Asche des Entdeckers von Pluto fliegt mit zum historischen Rendezvous

Das ist buchstäblich Neuland. Denn vor der Mission existierten nur verschwommene Aufnahmen des Zwergplaneten, die unter anderem vom Hubble-Weltraumteleskop stammten. Pluto ist einfach sehr weit weg. Derzeit ist er knapp fünf Milliarden Kilometer von der Erde entfernt, ein Lichtstrahl benötigt für diese Strecke viereinhalb Stunden. New Horizons hat mehr als neun Jahre gebraucht, um die ferne Welt zu erreichen. Und das, obwohl die Sonde mit einer besonders leistungsfähigen Rakete in den Weltraum katapultiert wurde und mit wahnwitzigen 14 Kilometern pro Sekunde durchs All schießt.

Pluto-Mission: Pluto ist nur ein Zwischenstopp, anschließend fliegt New Horizons weiter in Richtung des Kuipergürtels

Pluto ist nur ein Zwischenstopp, anschließend fliegt New Horizons weiter in Richtung des Kuipergürtels

Das Rendezvous zwischen Felsen und Roboter begeistert Raumfahrt-Enthusiasten. 434 000 Menschen haben vor dem Start der Sonde ihre Namen auf einer Fan-Webseite eingetragen, die Liste begleitet New Horizons nun in Form einer CD. Mit an Bord sind auch eine Pluto-Briefmarke aus dem Jahr 1991 ("Pluto - noch nicht erforscht"). Und ein Döschen mit Asche des Amerikaners Clyde Tombaugh, der 1930 Pluto entdeckte. Für die Fans ist die Mission die Essenz dessen, was die Weltraumforschung vor 50 Jahren ausmachte, als Sonden erstmals an Mars und Venus vorbeiflogen und Nahaufnahmen der bis dato unbekannten Welten machten: eine Reise ins Unbekannte. Pluto und das Sonnensystem jenseits seiner Umlaufbahn sind bis heute ein Mysterium. Zwar haben Dutzende Sonden die Planeten Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus oder Neptun besucht, fotografiert und vermessen. Pluto aber blieb einsam. Die Nasa verwarf wiederholt Pläne für einen Besuch. Und so blieb Planetenforschern nichts anderes übrig, als zu warten - und zu rätseln, weshalb die ferne Welt die Farbe eines Pfirsichs hat.

Der im Durchschnitt minus 233 kalte Brocken avancierte dennoch zum heimlichen Star des Sonnensystems. Als Clyde Tombaugh Pluto im Jahr 1930 entdeckte, kannten Astronomen nur sehr wenige Felskörper im All. Pluto wurde somit zum neunten Planeten im Sonnensystem erklärt. Zu seiner Popularität hat sicher auch beigetragen, dass Walt Disney den schlaksigen Hund von Mickey Mouse nach der fernen Welt benannt hat. Kinder wissen meist nicht, was für eine düstere Metaphorik Pluto umgibt.

Pluto-Mission: Fünf Milliarden Kilometer Reisestrecke

Fünf Milliarden Kilometer Reisestrecke

Der Planet wurde nach Pluton benannt, dem Herrscher der Unterwelt aus der griechischen und römischen Mythologie. Nicht weniger sinister sind seine Begleiter: Plutons größter Mond Charon trägt den Namen des Fährmanns zur Unterwelt. Die kleineren Monde heißen Styx, so wie der ins Reich der Schatten zu überquerende Fluss, Kerberos wie der wachhabende Höllenhund, Nyx wie die Göttin der Nacht und Hydra wie ein mehrköpfiges Ungeheuer. Auch die Bezeichnung des hochradioaktiven Elements Plutonium ist von Pluto abgeleitet. Tatsächlich führt New Horizons elf Kilogramm dieses Stoffes mit; das Isotop Plutonium-238 ist so radioaktiv, dass es glüht. So versorgt es die Sonde fernab der Sonne mit Strom. 200 Watt stehen zur Verfügung - damit könnte man auf der Erde gerade mal vier Energiesparlampen leuchten lassen.

Die Unterwelt-Nomenklatur spiegelte in gewisser Weise die Gemütslage von Astronomen wider. Pluto war für Wissenschaftler lange ein Querulant. Er passte nicht zum Aufbau des übrigen Sonnensystems, das sich in zwei Zonen zu teilen schien: Den inneren Bereich der vier Felsplaneten Merkur, Venus, Erde und Mars, die von einem Asteroidengürtel umgeben werden. Und dem äußeren Bereich, der von den vier riesigen Gaskugeln Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun dominiert wird. Noch weiter außen zieht schließlich Pluto seine Bahnen; wieder eine Felskugel, die aber nicht mal so groß wie der Mond der Erde ist. Das soll ein Planet sein?

Die Frage brachte Pluto vor zehn Jahren in die Schlagzeilen. Und das kam so: 2005 entdeckte ein Team um den Astronomen Michael Brown vom California Institute of Technology einen weiteren Himmelskörper am Rande des Sonnensystems, der größer als Pluto zu sein schien. Brown taufte den Felsen "Eris", nach der Göttin der Zwietracht. Das war eine Kampfansage, denn Eris warf die Frage auf, ob man Pluto weiterhin als Planeten bezeichnen durfte. Schließlich stand die neu entdeckte Eris Pluto in nichts nach, sie hätte genauso die offizielle Anerkennung als Planet verdient. Genauso wie etliche weitere Himmelskörper von Plutos Format, die Astronomen im dunklen, äußeren Sonnensystem vermuteten.

Mancher Forscher will bis heute nicht akzeptieren, dass Pluto kein Planet mehr ist

Pluto-Mission: Himmelskörper zum Verlieben: Ein herzförmiger Krater auf dem Pluto lässt Twitter-Nutzer schwärmen. Quelle: NewHorizons2015/Twitter

Himmelskörper zum Verlieben: Ein herzförmiger Krater auf dem Pluto lässt Twitter-Nutzer schwärmen. Quelle: NewHorizons2015/Twitter

Seit den 1990er-Jahren haben Forscher etwa tausend eiskalte Felskörper jenseits der Umlaufbahn des Plutos entdeckt. Schätzungen besagen, dass es hunderttausend weitere gibt. Das Sonnensystem umgibt eine Art riesiger Trümmerhaufen, Astronomen sprechen vom "Kuipergürtel". Er besteht aus interstellarem Baustoff, der vor mehr als vier Milliarden Jahren bei der Entstehung der Planeten nicht verbraucht wurde. Pluto ist der prominenteste Bestandteil des Kuipergürtels. Diese Erkenntnis bewog die Internationale Astronomische Union im Jahr 2006, Pluto den Planetenstatus abzuerkennen. Seitdem ist er ein "Zwergplanet", genauso wie Eris und andere Objekte aus dem Kuipergürtel.

Doch der Streit um Pluto tobt bis heute. Der US-Bundesstaat Illinois, aus dem der Pluto-Entdecker Tombaugh stammte, bezeichnet Pluto weiterhin als Planet. Auch einige Mitglieder des New-Horizons-Teams wollen nicht anerkennen, dass Pluto nur noch zweitklassig ist. Sorge um das eigene Erbe dürfte dabei eine Rolle spielen: Die Sonde ist im Januar 2006 von der Erde gestartet, ein halbes Jahr später wurde Pluto zum schnöden Felszwerg degradiert.

Pluto-Mission: Das System aus Pluto und seinen Monden liegt wie eine Zielscheibe auf der Route der Sonde

Das System aus Pluto und seinen Monden liegt wie eine Zielscheibe auf der Route der Sonde

Wissenschaftler freuen sich dennoch auf die Aufnahmen und Daten von New Horizons. Diese könnten verraten, was auf dem Pluto vor sich geht. Der Zwergplanet eiert auf einer Ellipsen-Bahn um die Sonne, 248 Erdenjahre braucht er für einen Umlauf. Zeitweise kommt er der Sonne näher als der Neptun. Entsprechend stark schwanken die Temperaturen auf Plutos Oberfläche. Forscher halten es für möglich, dass während Plutos Winterjahren die Atmosphäre aus Stickstoff gefriert - und wie Schnee auf die Oberfläche fällt. Aktuell ist Spätsommer auf dem Pluto. "New Horizons wird also vermutlich noch einen Teil der Atmosphäre vorfinden", sagt der Planetenforscher Hauke Hußmann vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Die 478 Kilogramm schwere Nasa-Sonde trägt sieben Instrumente an Bord, die unter anderem die Zusammensetzung der Atmosphäre untersuchen können. Vor allem sind die Forscher aber auf die Fotos gespannt, die New Horizons während des Vorbeiflugs von der Oberfläche schießen wird. Die Bilder könnten Geysire zeigen, wie sie Forscher vor geraumer Zeit auf dem Neptun-Mond Triton entdeckt haben. Die Eis-Vulkane wären ein Indiz dafür, dass flüssiger Stickstoff unter der Oberfläche zirkuliert und ab und zu ins Weltall gepustet wird. Die Bilder werden auch Genaueres zu dem Herzen auf der Oberfläche mitteilen: Handelt es sich bei der hellen Fläche um Schnee? Oder um eine große Senke?

Hat eine kosmische Kollision Plutos riesigen Mond Charon herausgesprengt?

Das Interesse der Wissenschaftler gilt nicht nur Pluto, sondern auch seinen Monden, allen voran Charon. Mit den Daten von New Horizons hoffen sie zu klären, ob er gemeinsam mit Pluto entstanden ist - oder ob er später von einem anderen Himmelskörper aus Plutos Masse herausgesprengt wurde. All das hätten die Nasa-Wissenschaftler sicherlich gerne in Ruhe untersucht. Aber ein Stopp in Plutos Umlaufbahn ist nicht vorgesehen. Dafür hätte man Treibstoff mitnehmen müssen, um die Sonde zu bremsen. Damit wäre die Mission aber zu teuer geworden.

Nach dem Vorbeiflug müssen die gesammelten Daten zur Erde geschickt werden, was bis Ende 2016 dauern soll. Die Funkverbindung schafft gerade mal 1000 Bit pro Sekunde, selbst Modems aus den 1990er-Jahren waren deutlich schneller. Schnappschüsse sollen als Erstes geschickt werden und schon einen Tag nach dem Rendezvous die Erde erreichen.

Für die Fans gibt es nicht wirklich Grund zur Eile. Schließlich markiert der Besuch des Pluto auch das Ende einer Ära. "Niemand der heute Lebenden wird noch einmal dabei sein, wenn ein Planet zum ersten Mal aus der Nähe zu sehen ist", sinnierte unlängst Dennis Overbye, ein erfahrender Wissenschaftsreporter der New York Times. Die Mission sei der Anfang des Endes der Phase, in der Menschen das Weltall erkunden.

Tatsächlich sind zwar mehrere Missionen zu den Monden des Jupiter geplant, aber keine Raumsonde, die tiefer ins All vordringen wird als New Horizons. Diese soll, sofern die Nasa mehr Geld bereitstellt, noch ein weiteres Objekt im Kuipergürtel ansteuern. Aber die nächsten unbekannten Planeten warten in unmenschlich großer Entfernung, im Orbit anderer Sterne. Statt ein paar Stunden benötigt das Licht der Sonne dorthin mehrere Jahre. Eine Raumsonde wäre viel länger unterwegs, als ein Menschenleben dauert.

In ferner Zukunft könnte auch New Horizons bei einem anderen Stern ankommen. Wenn sie an Pluto und seinen Monden vorbeigesaust ist, durchquert die Sonde noch Plutos Schatten. Wenn das klappt, sieht sie erst einen Sonnenuntergang und dann eine schillernde Sonnenfinsternis. Danach ist sie sicher gewappnet für eine beherzte Reise in die dunkle, kalte Leere.

Anmerkung: In einer früheren Version des Textes hieß es, die Funkverbindung schaffe 2000 Byte pro Sekunde. Tatsächlich werden nur 1000 Bit pro Sekunde übertragen, die Bandbreite ist also deutlich geringer.

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