Placeboeffekt:Eingebildeter Schlaf

Ratgeber Schlaf

Menschen lassen sich über die Qualität ihres Schlafs leicht täuschen - das lässt sich zur Konzentrationssteigerung ausnutzen

(Foto: inkje / photocase.com)

Diese Forscher machen munter: Mit Pseudo-Diagnosen gaukeln Psychologen Menschen vor, sie seien wach und ausgeruht. Der Trick funktioniert; Mediziner wollen damit nun "Selbstheilungskräfte" aktivieren.

Von Christoph Behrens

Vier Wochen nach dem Termin bei den Wissenschaftlern waren die Zimmermädchen schlanker, hatten einen sanfteren Blutdruck und fühlten sich gesünder. Was war passiert? Hatten die Experten ihnen ein neues Wundermedikament verschrieben? Eine Diät? Bessere Arbeitsbedingungen?

Nichts von alledem. Die Forscher der Universität Harvard hatten den Hotelangestellten lediglich erklärt, welch gute körperliche Ertüchtigung das Staubwedeln und Bettenmachen doch sei. Eine tolle Übung, ganz "nach Empfehlung führender Ärzte". Einer anderen Gruppe Zimmermädchen erzählten sie nichts von den vermeintlich gesundheitsfördernden Effekten. Bei ihnen blieb das körperliche Wohlbefinden unverändert, berichten die Forscher, obwohl sie exakt der gleichen Arbeit nachgingen.

Man könnte es einen Schwindel nennen. Doch die Harvard-Psychologen kopierten für ihre bereits 2007 erschienene Studie (Psychological Science, PDF) nur das, was auch viele Ärzte ausnutzen: Sie verordneten ein Placebo, also ein Medikament, das auf Einbildungskraft beruht. Nur diente dies nicht der Linderung von Schmerz oder Krankheitssymptomen, wie in Krankenhäusern mittlerweile weit verbreitet - sondern der Stimulierung der Psyche.

Die Kraft der Lüge

Immer neue Belege finden Wissenschaftler in letzter Zeit dafür, wie weitreichend dieser Placeboeffekt sein kann. Psychologen des Colorado College fanden nun heraus, dass man sich auch einbilden kann, wach und konzentriert zu sein - oder unausgeschlafen. Im Journal of Experimental Psychology (online) berichten sie, wie sie eine Gruppe Studenten über ihre Schlafqualität anlogen - mit Erfolg.

Das Experiment, das sich die Psychologin Christina Draganich ausdachte, begann mit einigem Tamtam: Die Wissenschaftler belehrten die 164 Probanden zuerst über die richtige Dosis an sogenanntem REM-Schlaf, der vermutlich nachts das Lernen und die Stressbewältigung beeinflusst. Zu wenig davon, warnten die Forscher, führe zu schlechteren Ergebnissen in Prüfungsaufgaben am nächsten Tag.

Dann verkabelten sie die Teilnehmer und zeigten ihnen Gehirnströme auf einem Bildschirm. Auch Herzfrequenz und Puls maßen die Wissenschaftler, angeblich um im Nachhinein den REM-Schlaf der vergangenen Nacht "mit einer neuen Technik" zu bestimmen. In Wahrheit stand das Ergebnis längst fest. Schon vorher hatten die Forscher jedem Probanden viel oder wenig REM-Schlaf zugelost. Am Ende lasen sie einfach das falsche Ergebnis vor; all das Brimborium drumherum sollte vor allem das Empfinden der Teilnehmer selbst schwächen, wie gut sie geschlafen hatten.

Wie gut die Täuschung funktionierte, sahen die Psychologen beim nächsten Test: Die Studenten bewältigten nun Konzentrationsaufgaben, sie hörten etwa Zahlen und rechneten sie im Kopf zusammen. Den Studenten, die zuvor gehört hatten, sie hätten besonders toll geschlafen, gelang das problemlos. Ihre Kommilitonen in der Gruppe mit dem vermeintlich ungenügenden REM-Schlaf bewältigten die Aufgaben hingegen im Durchschnitt schlechter, "so als hätten sie tatsächlich eine schlimme Nacht hinter sich".

"So etwas wie Selbstheilungskräfte aktivieren"

Dass die Psychologen die Probanden so überlisten konnten, habe viel mit "Erwartungshaltung und Konditionierung" zu tun, glaubt der Placebo-Forscher Paul Enck von der Uniklinik Tübingen. Den Forschern sei es gelungen, eine Erwartung bei den Teilnehmern hervorzurufen, ihre Konzentration und ihr Schlaf hätten etwas mit den ausgerechneten Werten zu tun. "Die Laborsituation ist natürlich künstlich, der Placeboeffekt ist dort höher", sagt Enck. So seien die Teilnehmer solcher Studien im Labor sozial isoliert und nicht von anderen Reizen abgelenkt. "Die Wirkung würde daher nicht wochenlang anhalten."

Es sei aber denkbar, die Macht der Einbildung dauerhaft zu nutzen, erklärt Enck. Je öfter etwas wiederholt werde, umso stärker entfalte sich die Wirkung. Daher überlegen Mediziner zunehmend, Placebos auch in Therapien einzusetzen - zum Beispiel gegen Schlaflosigkeit. "Da ist Potenzial da", sagt Winfried Rief von der Universität Marburg. Mit seiner Arbeitsgruppe hat er zahlreiche Studien überprüft - Placebos gegen Schlafstörungen könnten nicht nur subjektiv empfundene Verbesserungen bringen, sondern auch objektiv messbare, sagt Rief. "Das sieht man, indem man die Schlafphasen überwacht."

Jetzt plant das Team eine klinische Studie: Probanden, die an Schlaflosigkeit leiden, sollen zunächst Medikamente mit Wirkstoff bekommen. Nach einigen Tagen oder Wochen könnten die Mediziner das Medikament heimlich absetzen und stattdessen mit einem Placebo behandeln, um zu sehen, ob die Wirkung erhalten bleibt. "Es geht darum, mit der Erwartungshaltung so etwas wie Selbstheilungskräfte zu aktivieren", sagt Rief. "Wir stehen aber gerade erst am Anfang, das systematisch zu untersuchen."

Der Preis beeinflusst die Wirkung

Auch eine andere Gruppe hat die Macht der Einbildung erkannt: die Werbeindustrie. So konnten Marktforscher der Universität Stanford zeigen, dass die Stärke des Placeboeffekts auch vom Preis abhängt. Zahlten Konsumenten weniger für einen Energydrink, der angeblich den Geist anregen sollte, waren sie später bei Konzentrationstests nicht so gut wie diejenigen, die den vollen Preis für dasselbe Produkt hinlegten. "Marketingleute arbeiten vermutlich permanent mit solchen Strategien", sagt Enck. Eine andere Studie belegte, dass ein Milchshake, der als kalorienreich wahrgenommen wird, mehr sättigt als der gleiche Milchshake, der die Aufschrift "Light" trägt - die Werbung bewahrheitet sich also wie von selbst.

Der Verbraucher lässt sich wohl ein Stück weit gerne belügen. Auch als die Teilnehmer des Schlafexperiments später die Wahrheit erfuhren, wollten sie diese zunächst nicht wahrhaben. "Die Studenten reagierten geschockt", sagt die Autorin der Studie Christina Draganich. "Einige glaubten so fest daran und fragten weiter nach ihren Schlafgewohnheiten."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: