Süddeutsche Zeitung

Placebo-Forschung:Den Schmerz abschalten

Bisher folgt die Schmerztherapie häufig dem Prinzip Versuch und Irrtum - wirkt ein Mittel nicht, wird die Dosis verändert. Dabei können Patienten selbst etwas gegen Schmerzen tun.

Von Werner Bartens

Medizin ist immer auch Magie. Ohne den Zauber ritueller Handlungen und ohne die Erwartungshaltung der Patienten wären viele Behandlungen wirkungslos oder allenfalls halb so effektiv. Die akademische Medizin hat diese "weichen" Faktoren lange vernachlässigt, dabei beobachten Ärzte immer wieder, dass Medikamente manchen Patienten helfen, anderen hingegen keinerlei Linderung verschaffen.

Mit Placebo-Effekt ist dieses Phänomen nur unzureichend umschrieben. Schließlich führen die Begleitumstände und die psychische Verfassung bei jeder medizinischen Intervention dazu, dass sich die spezifische Wirkung einer Behandlung abschwächt, verstärkt oder überhaupt nicht verändert. Dies gilt, egal ob es sich um Arzneimittel, chirurgische Eingriffe oder therapeutische Gespräche handelt.

Worauf diese individuellen Unterschiede zurückzuführen sind, haben Ärzte aus Chicago zu ergründen versucht. Im Fachmagazin Plos Biology (online) von dieser Woche zeigen sie, dass die Reaktion auf eine Behandlung stark von der Aktivität in neuronalen Netzwerken in bestimmten Hirnregionen abhängt. Wer intensiv auf eine Therapie - ob mit tatsächlichen oder mit Scheinmedikamenten - anspricht, bei dem sind die Nervenzentren im vorderen frontalen Kortex, das heißt im vorderen Stirnlappen, besonders aktiv.

Besonders jene Abermillionen Menschen mit chronischen Schmerzen wissen, wie unterschiedlich Betroffene auf all die Versuche reagieren, ihr Leid zu lindern. "Betrachtet man die riesige Bürde, die chronische Schmerzen für die Gesellschaft darstellen, wäre es eine große Hilfe für die Patienten wie für die Forschung, wenn man vorhersagen könnte, wer auf eine Therapie besser anspricht", sagt Marwan Baliki, einer der Studienautoren. Bisher folgt die Schmerztherapie häufig dem Prinzip Versuch und Irrtum - wirkt ein Mittel nicht, wird die Dosis verändert oder gleich ein neues ausprobiert.

Nicht immer zeigen Schmerzen einen Schaden an

Mit Kernspinaufnahmen des Gehirns ist es in der aktuellen Studie gelungen, Patienten zu identifizieren, die besonders empfänglich für eine Schmerztherapie waren. Alle litten an lästiger Arthrose des Knies, sprachen aber unterschiedlich gut auf diverse Schmerzmittel an. "Unsere Daten erlauben es, spezifisch die Schmerzzentren anzugehen, die besonders betroffen sind", sagt Vania Apkarian, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. "So gewinnen wir immer mehr Erkenntnisse darüber, welche Medikamente die verschiedenen Schmerzzentren unserer Patienten am besten beeinflussen und wo wir mit der Therapie ansetzen sollten."

Schmerzen - wie in diesem Fall im Bereich des Knies - mögen ihren Ausgangspunkt zwar in der Peripherie des Körpers haben. Über Ausmaß und Verbreitung der Pein entscheidet aber die Schmerzweiterleitung und die Verarbeitung. "Das Gehirn ist kein passives Organ, das nur Signale verarbeitet, sondern es entwickelt ständig Entwürfe zu dem, was es aus der Umwelt oder dem eigenen Körper empfängt", sagt Peter Henningsen, Chefarzt der Klinik für Psychosomatik an der TU München. "Diese Entwürfe des Gehirns sind mindestens so stark von Erwartungen und Überzeugungen geprägt wie von den Schmerzreizen aus der Peripherie. Für die Therapie heißt das, dass mit den Schmerzerwartungen auch die Schmerzwahrnehmung selbst direkt beeinflusst werden kann."

Patienten können deshalb auch selbst etwas gegen die chronische Pein unternehmen. "Es ist wichtig, Erfahrungen zu sammeln, und anhaltenden Schmerz nicht automatisch als Signal für einen Schaden zu interpretieren, der Schonung erfordert", sagt Peter Henningsen. "Schmerzen können auch ein Aufruf zur besseren 'Selbstfürsorge' sein. Das bedeutet manchmal, trotz Schmerzen das zu tun, was einem gut tut."

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SZ vom 02.11.2016/dit
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