Süddeutsche Zeitung

Technik:Elektronik auf Pilzen

Lesezeit: 3 min

Leiterplatten für Computerchips bestehen meist aus Kunststoff oder Silizium - doch es gibt eine ökologische Alternative. Bauen wir Rechner künftig mit Pilzen?

Von Andrea Hoferichter

Man nehme ein Kilogramm Buchenspäne, etwas Dinkelvollkornmehl, Gips und Wasser, vermenge alles gründlich, erhitze die Mischung und füge nach dem Abkühlen noch Sporen des Baumpilzes Glänzender Lackporling, Ganoderma lucidum, hinzu. Die Rezeptur könnte aus dem Kochbuch einer Märchenhexe stammen, war aber kürzlich im Wissenschaftsmagazin Science Advances zu lesen. Ein Forscherteam aus Österreich hat sie ausgetüftelt, um bioabbaubare elektronische Leiterplatten herzustellen, die beispielsweise für Elektronik in Fitnessarmbändern und Smartwatches genutzt werden können.

Die Gruppe um Doris Danninger von der Johannes-Kepler-Universität (JKU) Linz hatte den Mix dazu in eine flache, etwa aktenordnergroße Plastikbox gefüllt und in einem dunklen Schrank gelagert. Innerhalb von Wochen wuchs in der Kiste ein Gewebe aus Pilzfasern, ein sogenanntes Myzel, mit einer papierähnlichen, weichen und, je nach Reifungsgrad, weißen bis bräunlichen Haut.

"Diese Haut muss man nur noch abziehen, trocknen und pressen, die passende Größe ausschneiden, und man ist im Prinzip fertig", sagt Danninger. Das Verfahren sei besonders einfach, verbrauche deutlich weniger Energie und Wasser als die Leiterplattenproduktion aus konventionellen Materialien und auch als jene aus Papier oder Baumwolle. Zudem komme es ohne schädliche Chemikalien aus und die Leiterplatten seien komplett kompostierbar.

Ein Prototyp funktioniert bereits mit einer Pilz-Batterie

Das Team konnte zeigen, dass sich die Myzelhäute wie konventionelle Leiterplatten mit elektronischen Bauteilen bestücken lassen. "Die Industrie muss dafür also keine neuen Anlagen bauen", betont Danninger. Zunächst wird eine hauchdünne Kupfer- oder Goldschicht auf das Myzel aufgedampft beziehungsweise elektrolytisch, also mithilfe von Strom, aus einer Flüssigkeit abgeschieden. Ein Lasercutter entfernt das Metall überall dort, wo es nicht gebraucht wird. Übrig bleiben die Leiterbahnen, auf die anschließend elektronische Bauteile aufgelötet werden können.

Den größten Prototyp auf Pilzbasis, etwa so groß wie eine Streichholzschachtel, haben die Forscher beispielsweise mit einem Feuchtesensor bestückt, mit einem Bluetooth-Chip, der das Sensorsignal an ein Laptop oder Smartphone senden kann, und mit einer Batterie der besonderen Art: Die Hülle und eine Art Membran im Inneren, die Plus- und Minuspol trennt, bestehen ebenfalls aus Myzel.

Erste Härtetests haben die Prototypen schon erfolgreich überstanden. Laut Danninger können sie mehr als 2000 Mal gebogen werden, ohne dass Leiterbahnen brechen. Und sie halten hohe Temperaturen bis zu 250 Grad Celsius aus. Ökologisch wie gesundheitlich bedenkliche Flammschutzmittel müssen nicht zugemischt werden.

Auch die Entsorgung ist offenbar einfach. Die Elektronikbauteile können abgelötet und recycelt werden, die Platte selber ist wie Essensreste kompostierbar. "Wir haben das getestet und sie in den Kompost gegeben: Wenn Mikroorganismen und genug Luft und Feuchtigkeit vorhanden sind, zersetzt sie sich nach zwei Wochen so weit, dass man sie kaum noch erkennen kann", berichtet die Forscherin. Das sei ein Vorteil gegenüber sogenannten Biopolymeren, die zwar aus nachwachsenden Rohstoffen wie Stärke oder Milcheiweiß gefertigt werden, sich aber bestenfalls in industriellen Kompostieranlagen bei hohen Temperaturen abbauen.

Mit komplexerer Elektronik haben die ökologischen Alternativen noch Probleme

Die Metalle der Leiterbahnen enden beim Kompostieren als Mikropartikel im Boden, allerdings in geringen Mengen und ohne Schaden anzurichten, wie der JKU-Forscher und Co-Autor der Studie Martin Kaltenbrunner betont. "Natürlich wäre der Idealfall eine Rückgewinnung aller wertvollen Elemente. Das ist allerdings aufwendig und kostet viel Energie. Um dieses Dilemma zu lösen, arbeiten wir an weiterführenden Konzepten."

Gerhard Domann, der am Fraunhofer-Institut für Silicatforschung in Würzburg an elektronischen Leiterplatten aus Papier forscht, findet die Studie zu den Myzel-Platten durchaus interessant. "Wir brauchen dringend Alternativen zu den gängigen Leiterplatten aus mit Epoxidharzen verklebten Kunststofffasern, die nicht kompostierbar sind und sich nur mit riesigem Aufwand rezyklieren lassen", sagt er. Gleichwohl gebe es noch Baustellen. Weder mit Papier noch mit Myzel sei es bisher möglich, mehrlagige Leiterplatten für komplexere und kompaktere Elektronik zu kreieren.

Das räumt auch Danninger ein. Das Team aus Österreich arbeitet deshalb gerade an verfeinerten Rezepturen, die eine noch glattere Myzelhaut liefern sollen. Gelingt das, könnten die pilzbasierten Leiterplatten nicht nur in mehreren Lagen verschaltet, sondern auch sehr kleine Elektronikbauteile aufgebracht werden, die, so die Hoffnung der Forscher, in Zukunft ebenfalls aus umweltfreundlichen, bioabbaubaren Materialien bestehen.

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