Physiologie:Bauch an Hirn

Welche Rolle spielt der Blinddarm bei der Entstehung von Parkinson? In einer großen Studie haben Mediziner Hinweise darauf entdeckt, dass eine Entfernung des Wurmfortsatzes das Risiko senken könnte, dass die Krankheit ausbricht.

Von Werner Bartens

Es klingt nach einem verwegenen Zusammenhang, zumindest aber nach Wissenschaft, die von hinten durch die Brust ins Auge zielt - genauer gesagt: von der rechten Seite des Rumpfes zum Gehirn. Diese Verbindung zwischen Bauch und Kopf stellen nun Forscher im Fachmagazin Science Translational Medicine her. Das Team um Bryan Killinger und Viviane Labrie belegt, dass die Entfernung des Wurmfortsatzes (im Volksmund fälschlicherweise als "Blinddarm" bezeichnet) das Risiko für Parkinson vermindert. Die Wissenschaftler haben einen großen Datensatz aus Schweden mit mehr als 1,6 Millionen Teilnehmern ausgewertet, der seit 1964 gepflegt wird. Eine Appendektomie, die operative Entfernung des Wurmfortsatzes, ging demnach mit einer um 19,3 Prozent geringeren Wahrscheinlichkeit einher, später an Parkinson zu erkranken.

Der Wurmfortsatz ist so etwas wie eine Sondermülldeponie im Verdauungstrakt des Menschen

In einer weiteren Analyse entdeckten die Forscher, dass eine Appendektomie den Beginn der Parkinsonerkrankung bei manchen Patienten zwar nicht verhindern, aber doch im Mittel um 3,6 Jahre hinauszuzögern vermag. "Wir tragen damit zum besseren Verständnis dieser komplexen Erkrankung bei", sagt Killinger. "Wir konnten zeigen, dass der Wurmfortsatz als eine Art Behälter für verklumpte Proteine wie alpha-Synuclein-Peptide dient, die auch bei Parkinson eine Rolle spielen." Ablagerungen dieser Eiweißstoffe finden sich bei Parkinsonkranken im Gehirn - und nun auch im Wurmfortsatz von Gesunden, weswegen die Forscher darüber spekulieren, welche Rolle die Proteine für Entstehung und Progression der Krankheit spielen.

"Wir waren überrascht, die schädlichen Formen des alpha-Synucleins in den Wurmfortsätzen von Menschen sowohl mit als auch ohne Parkinson zu finden", sagt Labrie. "Diese Verklumpungen sind im Gehirn zwar toxisch, aber im Wurmfortsatz liegen sie weitgehend normal vor, sodass dies nicht der einzige Grund für die Erkrankung sein kann." Der Wurmfortsatz gilt zwar zumeist als überflüssiges Anhängsel, übernimmt aber wichtige Funktionen im Immunsystem, beeinflusst die Zusammensetzung der Darmflora und hat nun womöglich sogar indirekte Wirkung auf die Krankheitsentstehung in entfernter gelegenen Organen. Ihm kommt zusätzlich wohl auch die Rolle als eine Art Sondermülldeponie des Körpers zu. Sind dort zu viele schädliche Stoffe gelagert, kann das womöglich andere Organe schädigen.

"Bereits bekannt ist, dass der Wurmfortsatz des Blinddarms Reste von verarbeiteten Lebensmitteln über längere Zeiträume als andere Regionen im Darm enthalten kann. Dies ist ein möglicher Grund dafür, dass der Blinddarm so anfällig ist für Infektionen und Entzündungsprozesse", sagt Francisco Pan-Montojo vom Zentrum für Neuropathologie der Ludwig-Maximilians-Universität München. "Deshalb ist es zumindest denkbar, dass der Wurmfortsatz häufiger und länger mit Umweltgiften, die über die Nahrung aufgenommen werden, in Kontakt kommt als andere Darmregionen." Das wiederum könne zu vermehrten Entzündungsprozessen und oxidativem Stress führen. Schlussendlich könnte also der Wurmfortsatz eine größere Rolle in der Entstehung der Parkinson-Krankheit spielen als der Rest des Magen-Darm-Traktes. "Das ist bisher aber nur eine Hypothese", sagt Pan-Montojo.

Ärzte raten allerdings davon ab, sich prophylaktisch den Wurmfortsatz entfernen zu lassen. Erstens ist der Zusammenhang zur Erkrankung des Gehirns noch nicht eindeutig belegt, auch wenn die aktuellen epidemiologischen Daten aus Schweden darauf hinweisen. Zweitens gelte es auch, die Risiken durch Operation und Narkose zu bedenken.

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