Süddeutsche Zeitung

Physik:Wie man Wasser mit Löchern herstellt

In wässrigen Flüssigkeiten kann nur wenig Gas gelöst werden. Nanokristalle können als kleine Gasbehälter dienen und die Menge enorm steigern - mit Anwendungsmöglichkeiten von Medizin bis Klimaschutz.

Von Andreas Jäger

Plötzlich ist da ein Stechen im Brustkorb. Die Schmerzen breiten sich aus, in den linken Arm, den Unterkiefer, den Bauch. Angst macht sich breit, man ist erschöpft, schwitzt und wird kreidebleich: Es ist ein Herzinfarkt. Durch eine Verstopfung der Herzkranzarterien wird der Herzmuskel nicht mehr ausreichend mit Blut versorgt - und damit auch nicht mehr mit Sauerstoff.

Um hypoxisches, also sehr sauerstoffarmes Blut mit frischem Sauerstoff zu versorgen, könnte in Zukunft ein neuartiges Material eingesetzt werden: "poröses Wasser". Darüber berichten Forschende von der Harvard- und der Northwestern-Universität in einer kürzlich in Nature veröffentlichten Arbeit.

Poröses Wasser, das ist eine Lösung von fein verteilten Nanopartikeln, die aufgrund ihrer Kristallstruktur jeweils einen Hohlraum - praktisch ein Schlupfloch - für Gasmoleküle bilden. Die mikroporösen Teilchen ermöglichen es wässrigen Fluiden, ein Vielfaches der sonst möglichen Menge an Gas aufzunehmen. Gibt man eine solche, mit Gas angereicherte Suspension in eine gasärmere Flüssigkeit, in hypoxisches Blut etwa, entweicht das Gas aus den Schlupflöchern und reichert die andere Flüssigkeit an. Die möglichen Anwendungen von porösen Flüssigkeiten - so wird das relativ junge Forschungsfeld allgemein bezeichnet - reichen vom biomedizinischen Bereich bis hin zum Einfangen von Kohlendioxid.

Blut kann zehnmal mehr Sauerstoff aufnehmen als Wasser

Eigentlich zuständig für die Sauerstoffmitnahme im Blut ist das Hämoglobin der roten Blutkörperchen, durch das Blut etwa zehnmal mehr Sauerstoff aufnehmen kann als Wasser. Bislang ist es nicht gelungen, Flüssigkeiten mit ähnlich hohem Sauerstoffgehalt herzustellen, die außerdem biologisch verträglich sind. Dabei fehlt es nicht an Versuchen, synthetisches Hämoglobin herzustellen oder mit Sauerstoff gefüllte Mikrobläschen aus Fetten oder Polymeren. Häufig scheiterten die Experimente an der Aufnahmefähigkeit der Gasträger, oder die Methode war technisch zu aufwendig.

Die Kapazität zur Gasaufnahme des porösen Wassers hingegen übersteige die aller bislang bekannten sauerstofftragenden Flüssigkeiten, schreiben die Studienautoren um den Harvard-Forscher Daniel Erdosy. Andere poröse Flüssigkeiten stellt man her, indem man darin Partikel löst, die einen so kleinen Hohlraum haben, dass nur Gas-, aber keine Flüssigkeitsteilchen hineinschlüpfen können. Diese Methode ist für Wasser jedoch nicht praktikabel: H₂O-Moleküle sind klein genug, um ebenfalls in für Gas vorgesehene Käfige einzudringen.

Stattdessen nutzen die Forschenden um Erdosy aus, dass es für Wasser thermodynamisch ungünstig ist, in die Poren bestimmter Kristalle einzudringen, da diese außen hydrophil, also wasseranziehend sind, innen jedoch hydrophob - und dort trocken bleiben. Bei solchen porösen Materialien handelt es sich einerseits um Silicalit-1, eine anorganische Verbindung aus der Stoffgruppe der Zeolithe, sowie andererseits um sogenannte metallorganische Gerüstverbindungen, kurz MOFs (metal-organic frameworks).

"Im Endeffekt ist ein Zeolith ein poröser Stein, den die Forscher als Pulver herstellen und dann im Wasser verteilen", erklärt der Chemiker Alexander Knebel, der an der Universität Jena an porösen Materialien forscht. "Die kolloidale Lösung, die feine Verteilung der Nanopartikel, die im Wasser schwimmen und nicht absinken, das ist der Clou." Durch die Dispersion der mikroporösen Kristalle können Konzentrationen von bis zu 40 Prozent erreicht werden - und eine entsprechend hohe Gasaufnahmefähigkeit.

Trotzdem sieht Knebel noch viel Entwicklungsarbeit auf die US-Wissenschaftler zukommen: "Man ist noch meilenweit von medizinischen Anwendungen zur direkten Injektion in die Blutbahn entfernt." Grund dafür sei, dass klinische Zulassungsverfahren grundsätzlich sehr lange dauern und dass Silizium, das in dem verwendeten Silicalit-1 vorkommt, vom Körper nur in geringem Maße abgebaut wird. Es sei jedoch realistisch, eine künstliche Lunge mit Hilfe einer porösen Flüssigkeit mit Sauerstoff zu beliefern.

Poröse Flüssigkeiten könnten auch CO₂ abfangen

Abgesehen vom biomedizinischen Bereich hält Knebel andere Einsatzgebiete für poröse Flüssigkeiten für vielversprechend: "Ich könnte mir Anwendungen in der Gas-Separation vorstellen." Knebels Arbeitsgruppe beschäftigt sich deshalb unter anderem mit MOFs, die Trennungsprozesse in der Chemie effizienter machen sollen. Darüber hinaus könnten die porösen Materialien dabei helfen, CO₂ aus Industrieprozessen einzufangen. Bislang werden die Abgase dafür meist durch eine Lösung geleitet, in der Chemikalien wie Alkalihydroxide oder organische Ammoniakverbindungen enthalten sind, die mit dem CO₂ reagieren und es so herauswaschen.

Eine effizientere Lösung, in die Knebel und andere Forscher seit Langem große Hoffnungen setzen, könnte sein, die Abgase stattdessen durch eine poröse Flüssigkeit zu pressen. Die darin gelösten MOFs würden nur Kohlendioxid heraussieben, das dann in den Mikroporen der MOFs gefangen bliebe - und im Untergrund gespeichert werden könnte.

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