Physik:Und wieder zittert der Kosmos

Conceptual image of gravitational waves

Zwei schwarze Löcher waren sowohl bei der aktuellen als auch bei der ersten Messung die Quelle der Gravitationswellen.

(Foto: Mauritius Images/Science Photo Library/Mark Garlick)
  • Zum zweiten Mal innerhalb von nur vier Monaten ist es Forschern gelungen, sogenannte Gravitationswellen aus den Tiefen des Alls aufzuspüren.
  • Erst im Februar hatte die erste Entdeckung von Raumzeit-Erschütterungen weltweit für Aufsehen gesorgt.
  • Albert Einstein hatte vor 100 Jahren das Phänomen erstmals beschrieben.

Von Patrick Illinger

Am ersten Weihnachtsfeiertag des vergangenen Jahres, am 25. Dezember 2015 um 22 Uhr 38 Minuten und 53 Sekunden amerikanischer Ostküstenzeit, erzitterte im amerikanischen Bundesstaat Louisiana die Raumzeit. 1,1 Millisekunden später geschah das gleiche im nordwestlich gelegenen Bundesstaat Washington. Das knapp eine Sekunde dauernde Dehnen und Stauchen des Gefüges aus Raum und Zeit war so winzig, dass kein Mensch und kein Tier davon Notiz nahm. Doch zwei Detektoren mit hochpräzise ausgerichteten Laserstrahlen haben die Schwingungen aufgezeichnet.

Diese Entdeckung berichteten Physiker am Mittwochabend während einer internationalen Pressekonferenz. Zum zweiten Mal innerhalb von nur vier Monaten ist es somit gelungen, sogenannte Gravitationswellen aus den Tiefen des Alls aufzuspüren. Erst im Februar hatte die erste Entdeckung von Raumzeit-Erschütterungen weltweit für Aufsehen gesorgt. Albert Einstein hatte einst solche durch das All rasende Schwingungen vorhergesagt. Sie waren eine logische Konsequenz seiner Allgemeinen Relativitätstheorie. Ausgelöst werden Gravitationswellen, wenn sich große Massen extrem schnell bewegen, schwarze Löcher zum Beispiel, die sich nahe kommen und gegenseitig mit ihren Schwerkraftfeldern ansaugen, bis sie in einem furiosen Walzer umeinander rasen, um am Ende zu verschmelzen.

Ein Jahrhundert nach Einsteins Theorie konnten sie den Erfolg vermelden

Jahrzehntelang haben Physiker Experimente ersonnen und gebaut, um die Signale solcher kataklysmischen Ereignisse im Kosmos zu messen. Doch erst in diesem Jahr, ein Jahrhundert nach Einsteins Theorie, konnten sie den ersten Erfolg vermelden. Im Februar wurde die erste, zweifellos nobelpreiswürdige Messung von Gravitationswellen veröffentlicht. Und nun konnten die Physiker nachlegen. Beide Messungen gelangen mit den "Advanced Ligo" genannten Detektoren in den USA, die aus je zwei rechtwinklig angeordneten, vier Kilometer langen Laserstrahlen bestehen.

Raumzeit-Erschütterungen bewirken, dass diese Lichtstrahlen kurzzeitig nicht mehr gleich lang sind, was die Physiker messen können, indem sie die Laserwellen präzise überlagern. Am Bau und Betrieb dieser Anlagen sind rund 1000 Wissenschaftler aus aller Welt beteiligt, auch Experten des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Hannover.

Nun scheint es für Astrophysiker fast zur Normalität zu werden, das All nach heftigen Massebewegungen abzuhorchen. Die Forscher verfügen damit sozusagen über ein neues Sinnesorgan, um den Weltraum zu erkunden. Die neueste Messung betreffend sind sie sicher, dass auch hierbei - wie schon bei der ersten Entdeckung - zwei schwarze Löcher die Quelle der Gravitationswellen waren. Allerdings waren die kollidierenden Objekte diesmal kleiner als bei der ersten Messung. Acht und 14 Sonnenmassen hatten die Auslöser der im Dezember gemessenen Gravitationswellen.

Die Masse verwandelt sich gemäß der Einstein-Gleichung E=mc² in Gravitationswellen

Bei der im vergangenen September (und im Februar veröffentlichten) Entdeckung waren 29 und 36 Sonnenmassen verschmolzen. Weil seit Albert Einstein Raum und Zeit dehnbare Größen sind, verbiegen schwere Himmelskörper die Raumzeit wie Bleikugeln, die auf einer Gummimatte liegen. Und rotieren zwei schwere Objekte umeinander, lassen sie die Gummimatte namens Weltall erzittern. Dabei geht Energie verloren, die sich als Schwerkraft-Schwingungen durch den gesamten Kosmos ausbreiten. Im aktuellen Fall verloren die beiden schwarzen Löcher bei ihrer brutalen Vereinigung etwa die Masse unserer Sonne.

Diese Masse verwandelte sich gemäß der Einstein-Gleichung E=mc² komplett in Gravitationswellen, also einem Zittern von Raum und Zeit. In der letzten Sekunde ihres Todestanzes steigerten die beiden schwarzen Löcher ihre Rotation auf mehr als 400 Umkreisungen pro Sekunde. Welche Energiemengen dabei ins All geschleudert werden, lässt sich ahnen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die Atombombe von Hiroshima weniger als ein Gramm Masse kernphysikalisch in Energie verwandelt hat.

Das aktuell gemessene Ereignis stimme "perfekt mit unseren theoretischen Vorhersagen dafür überein, wie zwei schwarze Löcher einander mehrere Dutzend Mal umrunden und schließlich miteinander verschmelzen. Bemerkenswerterweise konnten wir außerdem herausfinden, dass mindestens eines der beiden schwarzen Löcher sich dreht", sagt Alessandra Buonanno, Direktorin am Albert-Einstein-Institut in Potsdam und Professorin an der University of Maryland.

Physiker sind nun zuversichtlich, Gravitationswellen in Zukunft noch wesentlich häufiger aufzuspüren. Spätestens, wenn am Ende dieses Jahres ein weiterer Detektor in Italien seinen Dienst aufnimmt, wird das Zittern von Raum und Zeit fast so normal wie das Licht der Sterne, das mit Teleskopen eingefangen wird.

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