Süddeutsche Zeitung

Physik-Nobelpreis:Zangen aus Licht

Die Physik-Nobelpreisträger 2018 machten Laserstrahlen zu Werkzeugen. Erstmals seit 55 Jahren wird eine Frau geehrt: Donna Strickland ist erst die dritte Frau überhaupt, die einen Physik-Nobelpreis erhält.

Von Patrick Illinger

Am Anfang diente Licht vorwiegend zur Wahrnehmung der Welt, zur Beobachtung. Der Mensch erkundete seine Umwelt mit den Augen, später kamen Lupen, Fernrohre und Mikroskope hinzu. Man denke an die ersten Astronomen, die auf die Sterne blickten, oder den Delfter Tuchmacher Antoni van Leeuwenhoek, der mit selbstgebauten Mikroskopen erste Bakterien im eigenen Zahnbelag erspähte.

Dass man Licht auch als Werkzeug nutzen kann, erkannten Physiker mit dem Aufkommen des Lasers im Jahr 1960. Bereits im legendären James-Bond-Film "Goldfinger" aus dem Jahr 1964 taucht ein Laser auf, mit dem sich Metall (und auch Geheimagenten) zerschneiden lassen. Doch die physikalischen Anwendungen des Lasers waren damit keineswegs erschöpft.

Arthur Ashkin, einer der drei diesjährigen Physik-Nobelpreisträger, entwickelte optische Zangen aus Laserlicht, mit denen sich mikroskopische Objekte, ja sogar Atome, wie mit einem Werkzeug manipulieren lassen. Sogar Viren, Bakterien und andere lebende Zellen können heute mit Laserlicht fixiert, bewegt, gedreht werden, ohne sie zu zerstören.

Der heute 96-jährige Ashkin begann kurz nach der Erfindung des Lasers mit seinen Experimenten. Sein Arbeitsplatz waren die Bell Laboratories in New York, wo im Laufe der Jahrzehnte bereits acht nobelpreiswürdige Entdeckungen gelungen sind, von der Erfindung des Transistors bis zur Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung, des Echos des Urknalls im heutigen Universum.

Ein Laser strahlt Photonen aus, also Lichtteilchen, welche zugleich Wellen- und Teilcheneigenschaften haben. Diese Photonen haben - anders als jene aus einer Glühbirne oder der Sonne - alle die gleiche Wellenlänge (Farbe), und sie schwingen wie Soldaten im Gleichschritt.

Ashkin war fasziniert davon, dass dieses spezielle Licht winzige Gegenstände nicht nur beleuchten, sondern auch in Bewegung versetzen kann. Dabei fand er heraus, dass sich die angestoßenen Objekte in die Mitte des Laserstrahls bewegten, dorthin, wo das Laserlicht am intensivsten ist. Er begann, winzige Gegenstände, zum Beispiel Tausendstel Millimeter kleine Glaskügelchen, auf Laserlicht zu balancieren, so wie ein Ball, der auf einem senkrecht nach oben gerichteten Wasserstrahl tanzt. Schließlich gelang es ihm, mit optischen Linsen eine regelrechte Licht-Zange zu schaffen. In den folgenden Jahrzehnten sollte das zu einem beliebten Instrument in all jenen Laboren werden, wo man die Untersuchungsobjekte nicht mit mechanischen Mitteln greifen kann, weil sie zu filigran sind - biologisches Material etwa.

Allerdings musste Ashkin auf dem Weg viele Hürden überwinden. So stellte sich heraus, dass sein damals verwendeter grüner Laser Bakterien abtötete. Er musste sein Prinzip auf der Basis von Infrarotlicht weiterentwickeln. Später gelang es, sogar in das Innere von Zellen einzugreifen, ohne die Zellwand zu zerstören - ein mit mechanischen Werkzeugen unmögliches Vorgehen. Heute nutzen viele Labore weltweit Ashkins Grundprinzipien, um mit biologischem Material bis hin zu einzelnen Biomolekülen zu hantieren. Objekte werden dort nach Belieben festgeklammert, gedrückt, verschoben, gezogen und gedreht.

Mit der Manipulation von Licht hat auch die Entdeckung der beiden anderen Physik-Laureaten dieses Jahres zu tun. Die Kanadierin Donna Strickland ist dabei in mehrfacher Hinsicht eine leuchtende Ausnahme: Nicht nur ist sie die dritte Frau überhaupt, die mit dem Physik-Nobelpreis geehrt wird. Ihre bahnbrechende Publikation aus dem Jahr 1985 war ihre allererste wissenschaftliche Veröffentlichung, ein schönes Signal an heutige Nachwuchsforscherinnen.

Gemeinsam mit ihrem damaligen Doktorvater, dem Franzosen Gérard Mourou, war es ihr gelungen, extrem kurze und energiereiche Laserimpulse zu erzeugen. Zu jener Zeit waren Laserphysiker an ihre Grenzen gekommen. Die Erzeugung noch stärkerer Laserimpulse gelang nicht mehr, ohne die Laser-Strahler selbst zu zerstören. Strickland und Mourou kamen auf die Idee, Laserimpulse außerhalb des Lasergeräts zu verstärken. Hierzu dehnten sie zunächst die Wellenlänge, was die Spitzenenergie des Pulses senkt, dann führten sie diesem gedehnten Lichtbündel Energie zu und quetschten es buchstäblich wieder zusammen. Damit erzeugten sie Laserimpulse mit Spitzenenergien, die kein Laserstrahler erzeugen konnte. Sie nannten es chirped pulse amplification, kurz CPA.

Das Dehnen und Stauchen von Licht klingt einfacher, als es war. Tatsächlich dauerte es Jahre, bis die Trickserei mit Laserimpulsen zuverlässig gelang. Für die Dehnung des Laserimpulses wurde beispielsweise ein 1,4 Kilometer langes Glasfaserkabel verwendet. Heute jedoch ist CPA die Standardtechnik für alle Anwendungen, in denen extreme Laserimpulse benötigt werden, in der Medizin und Chemie zum Beispiel. Eine Anwendung in der Grundlagenforschung ist die Beobachtung atomarer Vorgänge. Atomkino, heißt es heute gelegentlich. Da sich die Lichtimpulse mit Stricklands und Mourous Technik auf Billiardstel Sekunden (0,000 000 000 000 001 Sekunden) verkürzen lassen, können Forscher Vorgänge beobachten, die bis dahin scheinbar ohne Übergang passierten. Dazu zählten die molekularen Abläufe der Photosynthese, mit denen Pflanzen Sonnenlicht in Zucker verwandeln. Auch wird heute vielfach Fehlsichtigkeit mit intensiven Laserimpulsen wegoperiert.

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Quelle:
SZ vom 04.10.2018
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