Energie:Diamanten made in Freiburg

Energie: Hauptsache rund: Diamantkugeln von Diamond Materials für die Kernfusion.

Hauptsache rund: Diamantkugeln von Diamond Materials für die Kernfusion.

(Foto: Diamond Materials)

Vergangenen Dezember ging die Nachricht von einem Kernfusions-Durchbruch um die Welt. Entscheidenden Anteil daran hatte ein Unternehmen aus dem Breisgau - ein Besuch.

Von Andreas Jäger

Die Firma Diamond Materials muss man erst einmal finden. Sie liegt versteckt im Industriegebiet im Freiburger Norden, auf dem Gelände eines japanischen Halbleiterherstellers. Wenn man endlich da ist und im Konferenzraum des 30-Mitarbeiter-Betriebs den Hals reckt, kann man in der Ferne den Schwarzwald erspähen. Aber Christoph Wild hat gerade keine Augen für den Schwarzwald, er hat eine winzige Kugel dabei, etwa zwei Millimeter groß. Die greift er mit einer Pinzette. "Schon faszinierend, die Größenverhältnisse", sagt der Geschäftsführer des Unternehmens, das als Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Festkörperphysik erst seit 2004 existiert.

Er meint die 192 Laser der National Ignition Facility (NIF) in Kalifornien - die leistungsstärksten der Welt - und das ganze Beiwerk aus Lasermedium-Blöcken, Verstärkern und Wellenleitern, das sich dort auf einer Fläche von rund 50 000 Quadratmetern erstreckt. Und all das, nur um eine einzige winzige Diamantkugel, wie Wild sie gerade in seiner Pinzette hält, mit Laserlicht zu beschießen und darin eine Kernfusionsreaktion zu zünden.

Energie: Unscheinbar, aber technisch perfekt: Christoph Wild hält eine Diamantkugel.

Unscheinbar, aber technisch perfekt: Christoph Wild hält eine Diamantkugel.

(Foto: Andreas Jäger)

Im Dezember ist es an der NIF erstmals gelungen, in so einem Experiment mehr Fusionsenergie herauszuholen, als per Laser hineingesteckt wurde, weltweit wurde das als Durchbruch gefeiert. Der Traum von sauberer und praktisch unbegrenzter Fusionsenergie, allen Verzögerungen und Problemen zum Trotz, schien plötzlich etwas näher gerückt. Die Kugel dafür kam aus Wilds Firma in Freiburg, von Diamond Materials.

Die Diamantkugeln gehören zu den rundesten Objekten, die es auf der Welt gibt

Zwar wurde in der Bilanzrechnung der kalifornischen Forscher der gewaltige Energieverbrauch der Laser außer acht gelassen, ein echter Netto-Energiegewinn wurde nicht annähernd erreicht. Trotzdem gilt das Experiment als großer Erfolg. Lange waren laserbasierte Demonstrationsreaktoren wie an der NIF hinter den Erwartungen zurückgeblieben, viel eher setzen Experten bislang auf Anlagen, die Kernfusion in einem rund hundert Millionen Grad Celsius heißen Gas in einem Magnetkäfig zünden wollen. Dazu zählt etwa das internationale Fusions-Großprojekt Iter in Südfrankreich.

Anders als bei solchen Reaktoren wird in Kalifornien mit der sogenannten Trägheitsfusion gearbeitet. Dabei wird der Brennstoff in der Kugel, meist ein Gemisch aus den Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium, stark erhitzt und zugleich enormem Druck ausgesetzt, so dass die positiv geladenen Atomkerne ihre gegenseitige Abstoßung überwinden und zu einem neuen, energetisch günstigeren Kern verschmelzen, wobei Energie frei wird.

Vor dem Laserschuss ist der Brennstoff in einem Behältnis gefangen - in der Diamantkugel. Das klingt zwar verheißungsvoll nach teurem Schmuck, doch hier funkelt nichts. Nur ein dunkles, metallisches Glänzen geht von den Kugeln aus, die an solche von Kugelschreibern erinnern. Das unscheinbare Aussehen jedoch trügt. Diamant, auch synthetischer, wie er in Freiburg hergestellt wird, sei ein "extremes Material mit extremen Anwendungen", sagt Wild.

Am NIF wurde die Kugel nicht direkt beschossen, stattdessen zielten die Laser auf die Innenwände eines Käfigs, der sie umgibt. Die Laserstrahlen werden dadurch in Röntgenlicht umgewandelt, das von den Innenwänden des Käfig-Hohlraums gleichmäßig auf die Kugel im Zentrum einstrahlt. Die Kugelschale - der Diamant - verdampft, es kommt zur Implosion. Nach innen gerichtet wird der Brennstoff unter gewaltigem Druck zusammengequetscht und gleichzeitig erhitzt, die Fusionsreaktion kann zünden.

Damit das alles so funktioniert, muss aber jedes Detail perfekt austariert sein. "Wenn die Kugel implodiert, wird sie auf ein Zehntausendstel zusammengedrückt", sagt Christoph Wild. Die Diamantkugeln aus dem Badischen gehören dank einem speziellen Schleifverfahren zu den rundesten Objekten, die es überhaupt gibt. Wie man das hinbekommt? Firmengeheimnis. Was der Physiker aber verrät: Das Verfahren ist dem Rollen von Teigklümpchen zwischen beiden Handflächen nicht unähnlich.

Der Diamant wird nicht geschürft, sondern aus einem Gasgemisch gewonnen

Die Perfektion ist nötig, damit bei der Implosion keine Deformationen auftreten. Ist die Kugel auch nur minimal kartoffelförmig, wird der Brennstoff ungleich komprimiert und nicht ausreichend verdichtet. Dann kann sich das Fusionsbrennen nicht vom Zentrum der Kugel nach außen von alleine fortsetzen, so dass am Ende ein Energiegewinn herauskommt.

Trotzdem klingt es ein bisschen übertrieben, ausgerechnet Diamanten einfach so zu verheizen. Sind die Steine nicht viel zu teuer? "Man braucht ein leichtes Element", sagt Wild. Kohlenstoff sei ideal, das hätten Simulationen und Tests gezeigt. Diamant ist speziell angeordneter Kohlenstoff, der normalerweise in der Erdkruste durch hohen Druck entsteht. Seine Kristallstruktur macht ihn zum härtesten Naturstoff überhaupt. Hinzu kommt: Diamant leitet Wärme besonders gut. Die Absorptionseigenschaften lassen sich zudem durch Einbringung von Fremdatomen maßschneidern, damit die Röntgenstrahlung besonders gut aufgenommen wird.

In Freiburg werden allerdings keine natürlichen Diamanten aus einer Mine verarbeitet. Die verschiedenen Produkte der Firma, auch die Kugeln oder die "Wafer" genannten Scheiben für andere Zwecke, sind künstlich hergestellte CVD-Diamanten. "CVD" steht für chemical vapour deposition, was sich mit dem sperrigen Begriff "chemische Gasphasenabscheidung" übersetzen lässt. CVD-Diamant wird nicht wie in der Natur aus Grafit gepresst, sondern aus einem Gemisch aus Wasserstoffgas und Methan gewonnen, das Methan liefert dabei die benötigten Kohlenstoffatome. Die Reaktion findet in einem eiförmigen Behälter statt. Eiförmig? "Rotationsellipsoid!", korrigiert Wild.

Energie: Die Do-it-Yourself-Optik täuscht: In solchen Reaktoren werden die künstlichen Diamanten hergestellt.

Die Do-it-Yourself-Optik täuscht: In solchen Reaktoren werden die künstlichen Diamanten hergestellt.

(Foto: Andreas Jäger)

Zwei Monate dauert die Herstellung einer Charge von etwa 20 Diamantkugeln. Ganz allmählich, Schicht für Schicht, wächst jeder Diamant auf einem Kern aus Silizium, dem Substrat. Später wird das Siliziumgerüst durch ein winziges, zwei Mikrometer großes Loch wieder herausgeätzt, erst dann ist die diamantene Kugel innen hohl. Durch das gleiche Loch wird bei der Laserfusion der Brennstoff in die Kugel gefüllt.

Der Weg zu einem lasergetriebenen Fusionskraftwerk ist noch weit

Allerdings dürften Diamantkugeln kaum bei einem möglichen Fusionskraftwerk zum Einsatz kommen. Wolle man die Laserfusion hochskalieren, sagt Christoph Wild, sei auch künstlicher Diamant dann doch viel zu teuer. Hohlkugeln aus Plastik könnten eine Alternative darstellen, wenn sie denn so symmetrisch in sich zusammenfallen würden wie Diamant. Noch tun sie das nicht.

Abgesehen davon stehen einem lasergetriebenen Fusionskraftwerk weitere Hürden im Weg, etwa die Tatsache, dass das Wasserstoff-Isotop Tritium für den Brennstoff aufwendig erzeugt werden müsste; ein Magneteinschluss-Reaktor könnte es, zumindest theoretisch, selbst erbrüten. Außerdem müssen die Hochleistungslaser an der NIF aktuell noch stundenlang abkühlen, bevor sie erneut schießen können. Ein Kraftwerk ließe sich aber nur bei einer Rate von mehreren Schüssen pro Sekunde betreiben.

Ein anderes deutsches Unternehmen will all diese Probleme lösen: Marvel Fusion. Das Münchner Start-up plant ein lasergetriebenes Fusionskraftwerk. Im Unterschied zu den meisten Konkurrenzanlagen möchte Marvel Fusion nicht Kerne der Wasserstoff-Isotope Deuterium und Tritium verschmelzen, sondern je einen gewöhnlichen Wasserstoffkern, also ein Proton, mit einem Bor-Atomkern, wobei gleich drei Helium-Kerne entstehen. Dies bietet - zumindest theoretisch - den Vorteil, dass keine Neutronen frei werden, die die Fusionsreaktor-Wände mit der Zeit zu radioaktiven Strahlern machen. Allerdings muss eine noch größere gegenseitige Abstoßung der Kerne überwunden werden. Das Konzept sieht vor, das Treibstoffgemisch in Form von Pellets in die Laserkammer zu bringen, zehn Stück pro Sekunde - ganz ohne Verkapselung.

So oder so bleibt ein Fusionskraftwerk in weiter Ferne. Auf dem Weg dahin aber stand eine kleine Freiburger Firma, wenn man so will, mit ihrem Produkt für einen kurzen Moment ganz im Zentrum.

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