Physik des Surfens:Die perfekte Welle

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In der Natur müssen Surfer oft lange auf geeignete Wellen warten. Die Form der Brecher hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab, die sich ständig ändern. (Foto: Grégory Boissy/AFP)

Ein Profi-Surfer und ein Wissenschaftler haben sich zusammengetan, um in einem künstlichen See einen alten Traum wahr werden zu lassen: Brecher, die Wellenreiter begeistern.

Von Jon Cohen

"Du hättest gestern hier sein sollen" - das ist ein unter Surfern beliebtes Zitat aus dem 1966 erschienenen Kultfilm "The Endless Summer" über zwei Weltenbummler auf der Suche nach der perfekten Welle. Gute Surfwellen sind eine Seltenheit, und selbst wenn alles zusammenkommt, ist der Zauber vergänglich. Nur wenige Strände haben eine Bodenformation, die jene Brecher erzeugt, die Wellenreiter lieben. Und selbst dann sind die Launen der Welle - ihre Größe, ihr Winkel, ihre Periodizität - abhängig von sich ständig ändernden Winden und Gezeiten. Es bedeutet, dass es nur selten wirklich großartige Surf-Sessions gibt.

Mitten im kalifornischen Ackerland, 175 Kilometer vom nächsten Strand entfernt, haben sich nun ein erfahrener Surfer und ein Spezialist für Strömungsmechanik zusammengetan, um das zu ändern. In einen 700 Meter langen künstlichen See haben sie eine Mechanik eingebaut, die einen speziell geformten Metallkeil durch das Wasser zieht. Mithilfe von Supercomputern errechneten die Wissenschaftler zuvor den Wellengang. Tatsächlich entsteht hier eine maßgeschneiderte Surfwelle - immer und immer wieder.

Professionelle Surfer staunen über die Wellen von Adam Fincham, einem Forscher der Universität von Südkalifornien (USC) in Los Angeles, und Kelly Slater, dem elfmaligen Weltmeister im Profisurfen. In diesem Herbst kamen 18 Surfer auf die "Surf Ranch", um an der "Future Classic" teilzunehmen. Der Wettbewerb sollte zeigen, ob der Pool - der derzeit öffentlich nicht zugänglich ist - als Austragungsort für die World Surf League (WSL) Championship Tour dienen kann, die normalerweise an erstklassigen Stränden auf der ganzen Welt stattfindet. Der Probewettbewerb wurde von der WSL und dem Milliardär Dirk Ziff unterstützt. Es gab Richter, Ansager und riesige Monitore, auf denen jede Welle und jede Zeitlupenwiederholung zu sehen war. Teilnehmer äußerten sich begeistert.

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Forscher sind ebenso beeindruckt wie die Surfer. Olivier Eiff, ein Strömungsmechaniker vom Karlsruher Institut für Technologie, sagt, dass Wissenschaftler typischerweise Wellen und ihre Auswirkungen auf die Erosion sowie den Austausch von Gasen zwischen Ozean und Luft untersuchen. Aber Wellen formen? Das sei eine gewaltige Herausforderung in der Strömungsdynamik. "Es ist ein unglaublicher Job", sagt Eiff. "Ich kenne niemanden, der den Mut hat, die Komplexität eines so großen Problems anzugehen."

Sollten ähnliche Wellenpools rund um den Globus gebaut werden, könnte das die Welt des Surfsports grundlegend verändern. In der Surf-Blogosphäre wird die Sorge laut, dass "Kellys Welle" dem Surfen seinen natürlichen Reiz rauben und Horden von Neulingen anziehen könnte. Doch insgesamt überwiegt die Begeisterung. "Ich sehe den Tag kommen, an dem der beste Surfer der Welt aus Little Rock in Arkansas kommt", sagt der einstige Weltmeister Fred Hemmings aus Kailua, Hawaii. "Dies ist der Beginn einer großen Revolution."

Wird die Anlage dem Surfen den natürlichen Reiz nehmen und Horden von Neulingen anziehen?

Kleinere Wellenpools zum Surfen gibt es seit mehr als 50 Jahren, aber selbst die besten sind farblos im Vergleich zu einem guten natürlichen "Surfspot". Im Ozean erzeugen Stürme Oberflächenwellen, die in tiefem Wasser mitschwingen und erst mit dem Grund oder der Küste wechselwirken, wenn die Wassertiefe die Hälfte der Wellenlänge beträgt. Dann passieren drei Dinge: Die Wellenlänge verkürzt sich, die Höhe nimmt zu, und der Kamm bewegt sich schneller als der tiefste Punkt der Welle, der Trog. Wenn die Höhe der Welle etwa der Wassertiefe entspricht, bricht die Welle, und der Surfer kann auf ihr reiten.

Wenn der Meeresgrund die richtige Struktur hat und der Wind ablandig bläst oder abflaut, verwandelt sich normale Dünung in brechende Wellen, die gleichmäßig nach links oder rechts abblättern, wobei die Gischt wie ein Vorhang über die Wellenfront fällt. Steilere Wellen können sich zu einer Röhre biegen, sodass geübte Surfer wie in einem Tunnel fahren können. Eine 30-Sekunden-Fahrt auf einer Ozeanwelle ist äußerst lang, und nur wenige Orte der Welt bieten solche "Barrels".

2006 trat Slater, der berühmteste Surfer der Welt, an Fincham mit der Idee heran, die Natur in einem Becken nachzuahmen. Der Forscher nahm die Herausforderung an, "Ich hatte keine Ahnung, wer er war", sagt der in Jamaika aufgewachsene Wissenschaftler, dessen Lebenslauf Themen wie "Digitale Partikel-Geschwindigkeits-Tomografie für Laserdiagnostik bei abklingenden Gitterturbulenzen in einer rotierenden Schichtflüssigkeit" aufweist. Um die künstliche Welle zu entwickeln, gründete Slater ein Unternehmen und stellte Fincham an. Er und Fincham seien in gewisser Weise von der Idee besessen, scherzt er.

Sie begannen mit einem Laborwellentank. Während viele Wellenbecken Paddel, Kolben, Senkkästen oder andere Strategien nutzen, um Wasser aufzutürmen, hat Finchams Team eine Art Tragfläche entworfen, die ins Wasser getaucht ist. Wenn diese durch den Pool schneidet, schiebt sie das Wasser seitwärts (aber nicht nach oben) und zieht dann die sich bildende Welle zurück, um etwas von dem Wasser, das es zuvor weggestoßen hat, "wiederzugewinnen". Das Ergebnis ist, was Physiker eine singuläre Welle oder Soliton nennen, ein einzelner Brecher, wie er im offenen Ozean gelegentlich vorkommt.

Hilfreich war Slaters Surf-Erfahrung. "Es war Finchams Job herauszufinden, wie man eine solche Welle erzeugt, und es war meine Aufgabe herauszufinden, wie man sie bricht", sagt er. Es braucht ein flaches "Riff" mit genau der richtigen Form, um eine Welle in eine perfekte Welle zu verwandeln. Um die Form des Beckenbodens fein abzustimmen, verließ sich das Team auf Eingaben von Slater und auf modernste Supercomputer, die oft wochenlang laufen mussten, um eine Simulation durchzukauen.

In silicio, also im Computer, ist eine Welle ein Geflecht von Millionen Zellen, die Luft und Wasser darstellen. Berechnungen für jede der Zellen und wie sie miteinander interagieren, simulieren die Frontfläche sowie die Rundung der sich entwickelnden Welle. Die Berechnungen sind "mathematisch horrend", sagt Geoffrey Spedding, ein USC-Spezialist für Strömungsmechanik, der mit Fincham zusammengearbeitet hat. Das Team übertrug die Laborbefunde auf die Surf Ranch, ein rechteckiges Becken, das ursprünglich ein künstlicher Wasserski-See war.

Das sogenannte Hydrofoil - man stelle sich einen vertikal ausgerichteten, gekrümmten, stumpfen Flugzeugflügel vor - steckt ein paar Meter tief im Wasser. Es ist an ein Triebwerk von der Größe einiger Waggons angeschlossen und läuft von Kabeln gezogen auf mehr als 150 Lkw-Reifen mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 Kilometern pro Stunde über eine Beckenlänge. Dies erzeugt ein Soliton, eine formstabile Welle, die mehr als zwei Meter hoch ist. Der Boden des Pools, der sich anfühlt wie eine Yogamatte, hat an verschiedenen Stellen unterschiedliche Neigungen. Diese Konturen bestimmen, wann und wie der Soliton bricht. Die Patente beschreiben auch "Aktuatoren", die es ermöglichen, Größe und Form der Welle an unterschiedliche Anforderungen anzupassen.

Das Hydrofoil bewegt sich am Pool entlang, um eine Welle zu erzeugen, die von rechts nach links bricht. Riesige Rinnen am Außenrand dienen als Dämpfer, dennoch dauert es drei Minuten, bis sich das Wasser wieder beruhigt. Dann fährt das Hydrofoil erneut durch den Pool und bildet eine Welle, die in die entgegengesetzte Richtung bricht. Die Fahrt kann 50 Sekunden lang dauern, und die Welle wechselt zwischen verschiedenen Formen. Die Zuschauer jubelten während des September-Contests, als Stephanie Gilmore, die den Frauen-Titel bereits sechs Mal gewonnen hatte, erstaunliche 14 Sekunden lang in einem Tunnel surfte.

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Abgesehen von der Entstehung eines neuartigen Wettbewerbsformats, das sogar die Organisatoren der Olympischen Spiele zur Kenntnis genommen haben, könnte die Welle als Trainingsplattform für hochrangige Surfer und als kontrolliertes Umfeld für Anfänger dienen. Wegen des kommerziellen Potenzials hat WSL Holdings, die Muttergesellschaft der Championship Tour, eine Mehrheitsbeteiligung an Slaters Wave Company erworben. Manche glauben aber, dass das Multimillionen-Dollar-Projekt kommerziell scheitern wird. "Die Welle ist fantastisch, episch, jeder würde sicher gerne auf ihr surfen", sagt Tom Lochtefeld, ein Erfinder aus San Diego, Kalifornien, dessen Firma Wave Loch den "Flow Rider" produziert, einen sehr seichten, gewellten Pool, in dem man mit einer Art Snowboard surft. "Aber es ist ein evolutionärer Dinosaurier."

Lochtefeld, dessen Flow Rider an 200 Orten aufgebaut ist, behauptet, das Hydrofoil-System habe zu viele mechanische Elemente. "Es ist pannenanfällig", sagt er. "Und wenn man ständig derart viel Wasser mit derart viel Energie in Bewegung versetzen muss, geht der Pool schnell kaputt." Das System sei kein "Moneymaker", sagt er. Nach Lochtefelds Berechnung muss man mindestens eine Million Wellen pro Jahr auftürmen, um mit einer künstlichen Surfanlage Profit zu machen. "Wavegarden", ein in Spanien ansässiges Unternehmen, erzeugt mit einer anderen Technologie Wellen, auf denen man mit einem normalen Surfbrett reiten kann. Die dortigen Betreiber geben an, alle vier Sekunden eine Welle machen zu können.

Aber die WSL Holdings - die nicht verrät, wie viel sie investiert hat oder was es kostet, die Surf Ranch zu betreiben - will nicht Wellenreiten per se vermarkten. Zusätzlich zu den Profi-Wettbewerben sind Surfparks mit angeschlossenen Hotels, Konzerthäusern und Läden geplant. Slater stellt sich vor, dass wohlhabende Surfer Luxusimmobilien in der Umgebung einer Surfanlage erwerben, ähnlich wie in exklusiven Golf-Resorts. Derzeit arbeiten Fincham und seine Crew an Verbesserungen ihres Systems. Sie testen verschiedene Arten von Riffen, eine höhere Dünung und sogar riesige Ventilatoren, um den Wind zu kontrollieren.

Eines Tages, so Fincham, ließe sich vielleicht eine Surfwelle erzeugen, die derzeit noch undenkbare Manöver wie Schleifen innerhalb eines Barrels ermöglicht. "Wir haben die perfekte natürliche Welle, und das ist cool", sagt er. "Aber was ist mit einer übernatürlichen Welle, die fast der Natur trotzt?"

Andererseits: Irgendwie scheint auch die Welle, die sie bereits erschaffen haben, etwas Übernatürliches zu haben. Fragen Sie die Auserwählten, die die Surf Ranch bereits besuchen durften. Sie erzählen ihren Freunden nicht mehr wehmütig, was sie gestern erlebt haben. Sie reden davon, das Morgen gesehen zu haben.

Dieser Beitrag ist im Original im Wissenschaftsmagazin "Science" erschienen, herausgegeben von der AAAS. Weitere Informationen: www.aaas.org

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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