Philosoph Voland im Interview:"Moral ist immer Doppelmoral"

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Das philosophische Gespräch: Philosoph Eckart Voland erklärt in SZ Wissen die doppelte Moral in Zeiten der Finanzkrise.

Philip Wolff

SZ Wissen: Was mich in der Finanzkrise wundert: Kaum ein Steuerzahler schimpft, wenn der Staat für private Firmen einspringt.

Je ferner die Belange an unserem sozialen Nahbereich liegen, desto weniger solidarisch sind wir. (Foto: N/A)

Eckart Voland: Das muss Sie nicht wundern, die Bereitschaft zur Solidarität bemisst sich immer an einem Gradienten: Je dichter die Belange an meinem sozialen Nahbereich liegen, desto solidarischer bin ich. Unterstützt werden ja deutsche Firmen, nicht amerikanische, auch wenn beide zum selben Konzern zählen.

SZ Wissen In einer rein nationalen Konjunkturkrise würde doch auch kein Unternehmen einfach so vom Staat gerettet.

Voland: Dann verschöbe sich der Gradient, und man forderte Hilfe für Firmen in der Region. Moral unterscheidet immer zwischen denen, die dazugehören, und den anderen. Sie ist strukturell immer Doppelmoral.

SZ Wissen Richtet sich Moral also immer gegen jemanden?

Voland: Historisch war es sicherlich so. Die Menschheitsgeschichte war stets ein Prozess der Gruppenkonkurrenz um bessere Lebenschancen, und in vielen Naturvölkern sieht man noch heute: Sie kennen keine neutrale Begegnung. Hat der Nachbar das bessere Territorium, wird konkurriert, auch gewaltsam.

Dazu braucht es Zusammenhalt, und deshalb ist Moral evolviert: um gen-egoistische Menschen auf gemeinsame Ziele zu verpflichten. Man kann sagen, eine Gruppe ist umso moralischer nach innen, je aggressiver sie nach außen auftritt.

SZ Wissen Was wäre denn die moderne Alternative zu so einer Steinzeitmoral?

Voland: Aufgeklärte Eigeninteressen, rationaler Diskurs und die Bereitschaft, Werte undogmatisch zu verhandeln. Unterwerfen sich Menschen bedingungslos einer Gruppenmoral, werden sie blind für vernünftige Ziele und schlimmstenfalls zu Terroristen.

SZ Wissen Positives Gegenbeispiel: Die Spendenmoral der Deutschen ist trotz der Finanzkrise groß. Das ist doch auch Moral, oder?

Voland: Nun, wer sich als Wohltäter ausweist, erringt Vorteile in seiner Gruppe. Nur das anonyme Spenden, offenbar eine Gewissensleistung, kann die Evolutionsbiologie noch nicht gut erklären. Es sieht aber so aus, als sei Gewissen evolviert, damit Eltern Einfluss nehmen können auf die altruistischen Leistungen ihrer Kinder, zum Wohl der eigenen Linie also.

Ein ruhiges Gewissen ist immer auch in Einklang mit Anforderungen "von oben". Wir zahlen ja zum Beispiel ungern Steuern, aber wir tun es letztlich für uns. Übertragen Sie das mal auf historische Milieus: Ihre Gruppe wird ständig angegriffen, also erziehen manche Eltern Helden - ein Tribut an die überlebenswichtige Gruppe.

SZ Wissen Ohne Gruppenmoral gäbe es also keine Helden mehr. Verträte jeder nur noch Eigeninteressen, dann schwände vermutlich auch die Spendenbereitschaft.

Voland: Nein, Einsicht in einen Mechanismus löst diesen nicht auf. Wir haben ja auch noch Zahnschmerzen, obwohl wir die Ursachen kennen.

SZ Wissen Das heißt, wir sollten weiter unserem Gewissen folgen?

Voland: Vorsicht! Wer bloß seinem Gewissen folgt, begründet sein Tun mit etwas, für das er nicht verantwortlich ist, so wie Gläubige sich auf Gott berufen. Das kann, wenn es unreflektiert ist, auch gefährlich sein. Nehmen Sie zum Beispiel die RAF: Gudrun Ensslin etwa war eine vom Gewissen geleitete Person.

SZ Wissen Was können wir also lernen für die Krise?

Voland: Wir sollten prüfen, welche Interessen mit welchen Maßnahmen bedient werden, aber wir sollten nicht bedingungslos moralischen Impulsen folgen.

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© SZ Wissen, Ausgabe 3/2009/mcs - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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