Süddeutsche Zeitung

Petersberger Klimadialog:Klimakanzlerin a. D.

Auf internationalen Konferenzen spricht Angela Merkel noch immer wie die "Klimakanzlerin". Doch Reden und Handeln klaffen mittlerweile weit auseinander. Nun lässt Merkel verlauten, gegen die "geballte deutsche Wirtschaft" sei die Reparatur des Emissionshandels nicht möglich. Damit stellt sie die Fakten auf den Kopf.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller

Rückblickend, und wirklich nur rückblickend, hat Angela Merkel für das Weltklima einiges erreicht. Als Umweltministerin bereitete sie in den Neunzigerjahren dem Kyoto-Protokoll mit den Weg. Als Kanzlerin einer großen Koalition erhob sie 2007 den Klimaschutz zu einem zentralen Thema ihrer EU-Ratspräsidentschaft, und im selben Jahr rang sie in Heiligendamm selbst dem Fossil George W. Bush ein Bekenntnis zum Schutz der Erdatmosphäre ab. In dieser Zeit muss irgendwer auf die Idee gekommen sein, Merkel als "Klimakanzlerin" zu adeln. Sie hat sich über diesen Titel nie beschwert.

Die Rolle gefällt ihr auch heute noch gut, am Montag zu beobachten beim "Petersberger Klimadialog". Seit dem Desaster der Klimakonferenz in Kopenhagen trommelt die Bundesregierung einmal im Jahr Minister aus aller Welt zusammen, um über weitere Schritte in der Klimapolitik zu beraten. Stets hält die Kanzlerin hier eine Rede, die sie aus den üblichen Bausteinen zusammensetzt.

Erstens: Die Zeit ist knapp. Zweitens: Nichtstun ist keine Alternative. Drittens: Europa ist Vorreiter im Klimaschutz, und innerhalb Europas ganz besonders Deutschland mit seiner Energiewende. Merkel, das muss man ihr lassen, verleiht dem Klimaschutz bei solchen Anlässen zumindest das Gewicht ihres Amtes. Wäre da nicht die winzige, höchst treffende Anmerkung des norwegischen Umweltministers gewesen. Tolle Rede, lobte der Minister. Jetzt brauche es nur noch "leadership" aus Deutschland, eine echte Führungsrolle.

Rücksicht auf die FDP

Ja, wo ist die eigentlich? Wie weit Reden und Handeln bei der angeblichen Klimakanzlerin auseinanderklaffen, lässt sich derzeit am europäischen Emissionshandel trefflich studieren. Er ist das Herz der europäischen Klimapolitik, denn er soll Unternehmen dazu zwingen, weniger Treibhausgase zu emittieren. Nur steht das schöne System aufgrund massiver Konstruktionsfehler vor dem totalen Herzversagen. Monatelang debattierte Europa über Wiederbelebungsversuche, nur eine Politikerin schwieg dazu beharrlich: Angela Merkel. Der Versuch einer Notoperation scheiterte im Europäischen Parlament nicht zuletzt an ihren Parteifreunden. Sie selbst hielt sich fein raus, auch mit Rücksicht auf den widerspenstigen Koalitionspartner FDP.

Erst jetzt, wo Europas Klimapolitik folgerichtig am Boden liegt, lässt sich die Kanzlerin zu Äußerungen hinreißen. Gegen die "geballte deutsche Wirtschaft" sei die Reparatur des Emissionshandels eben nicht möglich, hat sie am Montag gesagt.

Das ist doppelt bemerkenswert. Zum einen, weil Merkel damit die Fakten auf den Kopf stellt - denn nie zuvor stand eine derart breite Phalanx deutscher Unternehmen hinter schärferen Klimavorgaben; bis hinauf in den Elitezirkel des Dax. Zum anderen, weil sie damit jeden Gestaltungsanspruch schlicht aus der Hand gibt. Wenn Klimaschutz in Europa gegen die "geballte Wirtschaft" nicht durchzusetzen ist - was denn dann? Eine Klimakanzlerin, die solche Auseinandersetzungen scheut, verdient den Titel nicht mehr.

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Quelle:
SZ vom 07.05.2013/beu/rus
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