Süddeutsche Zeitung

Pestizide im Gemüse:Giftiger Re-Import

Wie in Deutschland hergestellte, aber verbotene Pflanzenschutzmittel in Lebensmitteln zurückkommen.

Katja Ebbecke

Polnischer Wodka in Kölner Kneipen, holländischer Käse an bayerischen Marktständen - der europäische Binnenmarkt hat das Angebot an Lebensmitteln in Deutschland vergrößert. Doch in der Vielfalt importierter Güter finden sich auch Lebensmittel, deren Inhaltsstoffe nach deutschem Gesetz gar nicht zugelassen sind.

So entdeckte Greenpeace vor kurzem bei einer Überprüfung von 750 Gemüseproben Rückstände von Endosulfan in Tomaten, Birnen und Gurken aus Spanien, in Trauben aus Italien und in Gurken aus Österreich und den Niederlanden. Die Mengen des Wirkstoffes, der Milben und Blattläuse bekämpft, waren nicht gesundheitsgefährdend, beruhigt das Bundesinstitut für Risikobewertung.

Doch in deutschen Produkten hätten solche Rückstände überhaupt nicht auftauchen dürfen. Der von der Weltgesundheitsorganisation als gefährlich eingestufte Stoff wird in Deutschland zwar hergestellt und exportiert, sein Einsatz ist seit 1991 in der Bundesrepublik jedoch nicht mehr zugelassen.

"Streng genommen verstoßen Produkte mit solchen Rückständen gegen deutsches Recht", sagt Irene Lukassowitz vom Bundesinstitut für Risikobewertung. Wenn jedoch keine Gesundheitsgefährdung vorliege und die im Herkunftsland erlaubte Höchstmenge eingehalten sei, könne das Produkt nicht vom Markt genommen werden. "Das würde sonst andere europäische Landwirte benachteiligen."

"Massenhaft deutsche Vorgaben zerschossen"

In der Amtssprache heißt das "gegenseitige Anerkennung" - der freie Binnenhandel fordert hier seinen Tribut. So kann etwa ein Spanier, der sein Gemüse mit einem Pflanzenschutzmittel bespritzt, welches womöglich in Deutschland produziert wurde, aber hier nicht zugelassen ist, beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Stellt das Bundesinstitut für Risikobewertung keine Gesundheitsgefährdung fest, erlaubt das BVL die Einfuhr nach spanischen Regeln.

"Auf diese Art und Weise sind in den letzten Jahren massenhaft deutsche Vorgaben zerschossen worden", sagt Manfred Krautter, Chemieexperte bei Greenpeace. "Andere Länder zwingen uns so ihre Rückstandsmengen auf, und diese sind meist höher als die deutschen." Tatsächlich hat das BVL in den vergangenen drei Jahren 224 so genannten Allgemeinverfügungen stattgegeben.

"Ein Antrag kann nur dann abgelehnt werden, wenn zwingende Gründe des Gesundheitsschutzes entgegenstehen", schreibt dazu das BVL. Die Ablehnung aus anderen Gründen sei rechtswidrig und könne vom Antragsteller angefochten werden. Er hätte gute Aussichten, Schadensersatzforderungen in erheblicher Höhe durchzusetzen.

Doch nicht immer lag eine akute Gesundheitsgefährdung vor, wenn ein Mittel in Deutschland nicht zugelassen wurde. Endosulfan zum Beispiel ist schädlich für die Umwelt.

Der Weg, wie der Wirkstoff abgebaut werde, sei immer noch unklar, so die Begründung für die verweigerte Zulassung in den 90er-Jahren. Andere europäische Länder wie Spanien und Italien sahen das nicht so eng und spritzten das Insektizid weiter auf ihre Pflanzen. Und so erreicht Endosulfan nicht nur deutsche Verbraucher, sondern auch die deutsche Umwelt:

Erst kürzlich fand eine Gruppe vom GSF Forschungszentrum in Neuherberg bei München den Wirkstoff in den Alpen und im Bayerischen Wald. "Endosulfan taucht überall wieder auf, sogar ganz oben auf den Bergen", sagt Karl-Werner Schramm, Leiter der Forschungsgruppe. Wie die Chemikalie dorthin gekommen ist, sei noch nicht geklärt. Messungen zur Luftübertragung laufen, aber auch den Weg über die Kompostierung belasteter Nahrungsmittel hält Schramm für möglich.

739 abgeschwächte Grenzwerte

Diesen Regel-Wirrwarr will die EU nun demnächst beenden. Die Harmonisierung der Pflanzenschutzregeln ist im Gange, Zulassungskriterien und erlaubte Höchstmengen von Pestizidrückständen werden europaweit angeglichen. Nicht immer allerdings zugunsten der deutschen Vorgaben. "Wir hatten bisher ein sehr restriktives Pflanzenschutzrecht", sagt Irene Lukassowitz. "Die Tendenz bei Kompromissen auf EU-Ebene geht dahin, dass das Niveau sinkt."

Als eines der letzten Länder hatte Deutschland 1998 die sieben Jahre zuvor von der EU erlassene "Richtlinie über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln" mit dem Pflanzenschutzgesetz in nationales Recht umgewandelt. Seitdem folgt die Zulassung von Pestiziden einem zweigleisigen Verfahren: Auf EU-Ebene werden die grundlegenden Wirkstoffe geprüft und, falls zugelassen, auf eine Positiv-Liste gesetzt. Diese gilt für alle EU-Länder gleichermaßen.

Über den Einsatz der daraus produzierten Pflanzenschutzmittel jedoch entscheiden weiterhin die einzelnen Mitgliedsstaaten - nach gemeinsamen Grundsätzen und Kriterien. Dass diese weniger streng seien als zuvor die deutschen, bestreitet das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. "Das Niveau beim Gesundheits- und Umweltschutz ist nicht gesunken", lässt die Pressestelle wissen. Die Datenanforderungen und Zulassungskriterien der EU-Richtlinie hätten im Wesentlichen dem deutschen Standard Anfang der neunziger Jahre entsprochen.

Nach Umsetzung der Richtlinie zwischen 1999 und 2003 sind jedoch 739 mal Grenzwerte erhöht und nur 385 mal Höchstmengen gesenkt worden, hat Greenpeace recherchiert. Darunter fallen auch jene Wirkstoffe, die erst über die Harmonisierung eine Zulassung in Deutschland bekommen haben. "Wenn wir harmonisieren wollen, müssen wir auch akzeptieren, dass andere Länder andere Schutzmittel benötigen", sagt dazu Karsten Hohgardt vom BVL.

Doch selbst die Pflanzenschutzmittel produzierende Industrie, die die Harmonisierung grundsätzlich begrüßt, räumt eine Schwächung deutscher Regeln ein: "EU-weit müssen jetzt die Bedürfnisse jenes Landwirtes berücksichtigt werden, der unter den schwersten Bedingungen arbeitet", sagt Hannelore Schmid vom Industrieverband Agrar.

Unter schweren Bedingungen benötigen Bauern die meisten Pestizide - und produzieren Erzeugnisse mit den höchsten Rückständen. Die weitere Harmonisierung soll diesen Automatismus jedoch brechen. "Wo wir heute lediglich den Wert präsentiert bekommen und eine Allgemeinverfügung kaum ablehnen können, muss künftig ein Nachweis erbracht werden, warum der Wert so hoch ist", sagt Hohgardt vom BVL.

Nicht jedes Pestizid bleibt zugelassen

Auch in einem anderen Bereich schafft die Harmonisierung mittlerweile Fakten: Nicht jedes Pestizid, das zurzeit in einem EU-Land zugelassen ist, darf dies auch bleiben. Insgesamt 1135 dieser so genannten Altwirkstoffe werden durch die Europäische Kommission überprüft. 478 davon haben keine Chance auf Aufnahme in die Positiv-Liste. Ein Kandidat auf der Abschussliste ist Endosulfan.

Im Dezember 2005 wurde der Antrag auf Zulassung abgewiesen. Was in Deutschland schon Anfang der neunziger Jahre bekannt war, erkennen nun auch alle anderen EU-Staaten an: Endosulfan gefährdet die Umwelt. Übergangsregeln eingeschlossen, darf es von Juli 2007 an keine Rückstände des Insektizids mehr in Lebensmitteln geben. Nicht in deutschen und auch nicht mehr in spanischen Tomaten.

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Quelle:
Süddeutsche Zeitung vom 24. März 2006
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