Biodiversität:Wie Pestizide zum Artensterben beitragen

Lesezeit: 2 Min.

Pflanzenschutzmittel sind ein Treiber des Biodiversitätsverlusts. (Foto: Patrick Pleul)

Pestizide bekämpfen nicht nur das, wofür sie gedacht sind, auch andere Arten werden geschädigt. Eine große Analyse kommt zum Schluss: Der aktuelle Einsatz der Mittel ist nicht nachhaltig.

Von Denis Pscheidl

Der Zustand der Insekten ist bedenklich: Vielerorts ist ihre Biomasse drastisch zurückgegangen. 40 Prozent der Insektenarten sind vom Aussterben bedroht. Neben dem Verlust von Lebensraum und Klimaveränderungen stehen auch Pestizide im Verdacht, die Biodiversität von Insekten und anderen Tieren, Pflanzen und Mikroorganismen zu bedrohen.

Für eine in Nature Communications erschienene Studie haben Forscher um Nian-Feng Wan von der East China University of Science and Technology nun die Datenlage zu den Effekten untersucht, die Pestizide über verschiedene Stufen der Nahrungskette hinweg auf Tiere, Pflanzen und Mikroorganismen haben. 1705 Studien gingen in die Auswertung ein.

Pestizide ist ein Sammelbegriff für Stoffe, die als Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden. Herbizide wirken gegen unerwünschte Pflanzen, Insektizide gegen Insekten und Fungizide gegen Pilze. Allerdings wirken viele Pestizide nicht nur auf die Zielorganismen, sondern verursachen auch Kollateralschäden an anderen Arten und Nützlingen. Das Ausmaß dieser Kollateralschäden ist bislang nur wenig erforscht. Häufig wurden nur die Auswirkungen von Pestiziden auf einzelne Arten untersucht. Außerdem gibt es immer wieder Diskussionen darüber, ob die Mengen an Pestiziden, die in der Realität eingesetzt werden, wirklich so schädlich sind, wie Untersuchungen im Labor vermuten lassen.

Insektizide schaden auch Amphibien

Wan und seine Kollegen kamen zu dem Ergebnis, dass Pestizide weitreichende schädliche Auswirkungen auf mehr als 800 Arten haben, die nicht Ziel der Pflanzenschutzmittel sein sollten. Sowohl für Tiere als auch Pflanzen und Mikroorganismen konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler negative Effekte auf das Wachstum, die Fortpflanzung und das Verhalten nachweisen. Auch Pestizide, die speziell dafür hergestellt werden, nur eine spezifische Gruppe von Arten zu bekämpfen, haben demnach negative Auswirkungen auf andere Arten. So wirkten sich zum Beispiel Neonicotinoide, die gegen Insekten wirken sollen, auch auf Amphibien aus.

Selbst wenn nur Studien einbezogen wurden, bei denen die Ergebnisse auf „Feld-realistischen“ Berechnungen basierten, konnten die gleichen Auswirkungen festgestellt werden. „Es ist wichtig, dass die Studie ‚Feld-realistische‘ Mengen an Pestiziden berücksichtigt“, sagte Tom Oliver, Professor für angewandte Ökologie an der Universität Reading, dem britischen Science Media Centre (SMC). „Viele Chemikalien sind giftig, wenn man sie direkt auf Tiere oder Pflanzen kippt.“ Die wichtige Frage sei jedoch, ob die auf Feldern ausgebrachte Menge an Pestiziden schädlich ist.

<strong>„Tickende Zeitbombe für die Gesundheit unserer Ökosysteme“</strong>

Toby Bruce, Professor für Insekten-Ökologie an der Keele-Universität, sieht Handlungsbedarf. Er sagte dem SMC: „Die zunehmenden Beweise für negative Effekte auf andere Organismen bedeuten, dass es einen dringenden Bedarf für gezieltere Ansätze gibt.“ Allerdings seien viele der heute eingesetzten ertragreichen Sorten im Paket mit Pestiziden entwickelt worden. Auch die Autoren der aktuellen Arbeit halten fest, dass Pestizide wohl weiter Teil des landwirtschaftlichen Werkzeugkastens bleiben werden – nur sei der gegenwärtige Einsatz vermutlich nicht nachhaltig.

Hinzu kommt: Auch wenn die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Auswirkungen auf 800 Arten feststellen konnten, gibt es viele weitere Arten, die nicht in ihrem Datensatz auftauchen. Auch diese Arten könnten betroffen und die Konsequenzen durch Pestizide noch größer sein.

„Die starke Zunahme von schädlichen, menschengemachten Chemikalien, die aus Versehen oder absichtlich in die Natur gelangen, ist eine tickende Zeitbombe für die Gesundheit unserer Ökosysteme“, sagte Oliver dem SMC. Ein Verlust der Biodiversität bedeutet außerdem auch negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Schätzungen des Weltbiodiversitätsrats zufolge wird der ökonomische Nutzen von Bestäubern wie Wildbienen, Schwebfliegen und Schmetterlingen allein in Deutschland auf 3,8 Milliarden Euro beziffert.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

EU
:Warum das Pestizid-Verbot auf Eis liegt

Die EU will den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln drastisch einschränken. Doch das bringt nicht nur Vorteile.

SZ PlusVon Josef Kelnberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: