Pestizid-Sprühflugzeuge in Argentinien:Aus der Luft vergiftet

Der Soja-Boom hat Argentinien viel Geld eingebracht. Doch die Gifte, die dafür versprüht werden, führen zu Krebs und Missbildungen bei Neugeborenen, sagen Kritiker. Nun klagen Pestizidopfer in Argentinien gegen die Soja-Industrie.

Peter Burghardt

Immer wieder stiegen Kleinflugzeuge auf und versprühten im Tiefflug die Mittel, die Argentiniens wertvollste Pflanzenart schützen sollen. Mit dem Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat und dem Insektenzerstörer Endosulfan wollten auch die Sojabauern von Ituzaingó Anexo bei Córdoba ihre Plantagen schützen. Sofía Gatica brannten die Augen, die Nase, der Hals, und irgendwann ahnte sie, weshalb ihre Tochter 1998 drei Tage nach der Geburt gestorben war.

La Nina May Be Weakening, Helping South American Grain Crops

Der Anbau von Soja in Argentinien bringt dem Land viel Geld. Doch der notwendige Pestizideinsatz stellt offenbar ein Gesundheitsrisiko dar.

(Foto: Bloomberg)

Ihr fiel auf, dass sich auch bei anderen Anliegern der gespritzten Felder Erkrankungen häuften. Unter den 6000 Einwohnern wurde 41-mal so viel Krebs diagnostiziert wie im argentinischen Durchschnitt, besonders Leukämien und Hirntumore. Dazu kamen ungewöhnlich viele Missbildungen bei Neugeborenen. Die Mütter und ein Arzt organisierten sich. Jetzt, nach langem Kampf, befassen sich erstmals Richter mit Soja und Gift, Südamerikas Segen und Fluch.

Seit Montag wird vor einem Gericht in Córdoba der mutige Vorstoß behandelt. 2004 erstattete Sofía Gatica Anzeige wegen der mutmaßlichen Verpestung von Boden, Wasser und Luft. Die Proteste ihrer Vereinigung "Mütter des Viertels Ituzaingó Anexo" reichen zurück bis 2001. 2008 klagte dann Medardo Ávila Vázquez, Stimme der Vereinigung "Mediziner aus besprühten Orten".

Er hatte gesehen, dass eine Propellermaschine die Vorschrift brach, bei Glyphosat mindestens 500 Meter und bei Endosulfan 1500 Meter Abstand zu Wohngebieten zu halten. Dem Piloten und zwei Sojafarmern drohen zehn bis 25 Jahre Gefängnis. Und die Causa Ituzaingó Anexo könnte zu einem Präzedenzfall für Argentinien und angrenzende Staaten werden.

Südamerika verkommt zur Soja-Republik

Soja wächst mittlerweile im halben Land, genauso wie in immer größeren Teilen Brasiliens, Paraguays und Boliviens. Das Herz des Subkontinents verkam zur Soja-Republik, und Argentinien stieg auf zum drittgrößten Produzenten der Hülsenfrucht nach den USA und Brasilien. Die Anbaufläche von Soja wuchs in Argentinien von 6,7 Millionen Hektar 1996 auf 19 Millionen Hektar 2010, mehr als die Hälfte aller Äcker wird mit dem Gewächs bepflanzt.

Flächen, die früher Wälder waren, Kuhweiden oder Weizenfelder, werden der Sojapflanze geopfert. 54 Millionen Tonnen wurden 2011 geerntet, das Gros geht nach China. In Rosario liegen der größte Sojahafen und eine der größten Getreidebörsen der Welt, Frachter stauen sich auf dem Rio Paraná. Brasilien baut ständig Straßen und Verladestationen am Amazonas.

Soja ist leicht anzubauen und bringt enorme Erträge, die argentinische Agrarindustrie bevorzugt genmanipuliertes Saatgut. Man braucht nur Platz und Pestizide, vorneweg das Herbizid Glyphosat und das Insektizid Endosulfan. 1990 wurden 30 Millionen Liter verteilt, 2011 waren es 340 Millionen Liter. Vor allem die Gewinne der Sojabranche erklären, weshalb sich Argentinien nach der Staatspleite 2001/2002 erholte. Entsprechend stark ist die Lobby. Der Soja-Boom im Reich der Rinder brachte vielen Argentiniern ein neues Wirtschaftsleben. Und anderen Krankheit und Tod?

Man nannte sie "Die Verrückten"

Ökologen vermuten das seit langem, Anwohner, die den Sojaanbau aus nächster Nähe mitbekamen, machten auf gesundheitliche Probleme aufmerksam. Im Provinzkaff Ituzaingó Anexo wird es nun konkret.

"Las locas" hatte man die "Mütter des Viertels Ituzaingó Anexo" anfangs genannt, die Verrückten. Sie sind ähnlich furchtlos wie die Mütter der Plaza de Mayo, die in Buenos Aires für ihre während der Militärdiktatur verschwundenen Kinder eintreten. Doch Selbsthilfegruppen wie diese haben es geschafft, sich mit der mächtigen Landwirtschaftslobby anzulegen.

Beweise gebe es reichlich, sagt der Staatsanwalt. "Höchstwahrscheinlich kommt eine Strafe heraus." Es geht zunächst nur um mögliche Verstöße gegen die Sprühbestimmungen, die drei Angeklagten erklärten sich für schuldlos. Es geht aber auch gegen ein System und Konzerne wie Monsanto und DuPont. Die Benutzung von Endosulfan ist ab 2013 in Argentinien untersagt. Glyphosat darf weiter verwendet werden, auch dagegen kämpfen die Kläger.

Die Heimat verlassen - nach 22 Jahren

Sofía Gatica sagte zu Wochenbeginn zwei Stunden lang aus. Sie erzählte, dass 2010 bei 193 Bewohnern Krebs festgestellt wurde, dass mehrere Kinder starben und andere unter Blutleiden und Hasenscharte litten. 2011 wurden bei 80 Prozent von 140 Stichproben im betroffenen Stadtteil toxische Stoffe im Blut entdeckt. Die Aktivistin Gatica bekam für ihren Einsatz den Goldman-Preis für Umweltschutz. Sie glaubt, das Verfahren werde wegweisend sein und "die Rechte vieler Menschen verteidigen".

Sie verließ mit ihrer Familie Ituzaingó Anexo, nach 22 Jahren. Die Heimat ist ihr zu verseucht, außerdem wurde sie mit einer Pistole bedroht. Eine Tochter ist tot, eine andere hat Gifte im Körper, ein Sohn ist krank. "Mein Haus steht 50 Meter vom Feld entfernt. Ich kann nicht riskieren zurückzukehren. Ich habe ein Kind verloren, niemand gibt uns die Gesundheit zurück." 2008 hat sie ein Foto machen lassen. Sofía Gatica zwischen Kindern und Sonnenblumen, die das Soja verdecken.

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