Süddeutsche Zeitung

Periodensystem der Elemente:Die Bausteine der Welt - von Gold bis Oganesson

Manche Elemente sind wohlbekannt, andere ziemlich obskur. Doch alle folgen einer faszinierenden Ordnung.

Von Hanno Charisius (Text) und Stefan Dimitrov (Illustrationen)

Am Anfang stehen ein Proton und ein Elektron, harmlose Teilchen. Sie bilden zusammen Wasserstoff, ein Gas, leichter als Luft, das einfach in den Himmel steigt und verschwindet. Ein Proton mehr, und man erhält Helium, mit diesem Gas füllt man Luftballons beim Kindergeburtstag. Noch ein Proton dazu, und man ist beim Lithium bei etwas ganz anderem: Das Leichtmetall ist leicht entzündlich und ätzend, zugleich beugt es bei bipolaren Erkrankungen dem Suizid vor.

Auf den ersten Blick ist das Periodensystem der Elemente dröge, beim genauen Hinsehen fasziniert es, wie kleinste Umbauten im Atom zu neuen Eigenschaften führen - die manchmal auch faszinierend gefährlich sind. Geht man etwa in der zweiten Reihe weiter nach rechts, finden sich das giftige Beryllium und Fluor: toxisch, ätzend, brandgefährlich.

Die Gefahren in dieser Reihe lassen sich vielleicht noch bändigen, spätestens in der dritten wird es tödlich. Natrium reagiert noch heftiger als Lithium, das direkt in der Reihe drüber liegt. Phosphor wird in Brandbomben gefüllt. Und Chlorgas, das schwerer ist als Luft und deshalb zu Boden sinkt, wurde erstmals im Ersten Weltkrieg zur brutalen Waffe. In der fünften Reihe kommt die Radioaktivität hinzu. In den Reihen sechs und sieben darunter ist es noch ungemütlicher. Kaum zu glauben, dass eine Welt, die aus solchen Elementen besteht, auch das Leben hervorgebracht hat.

Es ist kein Zufall, dass Elemente mit ähnlichen Eigenschaften oft direkt übereinander in derselben Spalte stehen. Nur durch diese Regelmäßigkeit kam Johann Wolfgang Döbereiner im Jahr 1816 der Ordnung auf die Spur, die den Bausteinen der Welt innewohnt. Dem gelernten Apotheker, einem Freund Goethes, war aufgefallen, dass Barium, Strontium und Calcium einander ähneln und sortierte sie in eine Gruppe, die er "Triade" nannte. In den folgenden Jahren fand er weitere Dreiergruppen - etwa Chlor, Brom, Jod und Lithium, Natrium, Kalium. 1829 veröffentlichte er das erste Ordnungssystem der chemischen Elemente.

"Von der Natur vorgegeben"

Döbereiner konnte jedoch viele Elemente nicht richtig einsortieren, außerdem waren erst 52 der heute 118 Bausteine der Welt bekannt. Das gelang erst in den 1860er-Jahren dem russischen Chemiker Dmitrij Mendelejew und dem Deutschen Julius Meyer, die unabhängig voneinander das Periodensystem entwickelten, das die meisten Menschen aus ihrem ehemaligen Klassenzimmer kennen.

Wobei man eigentlich eher von einer Entdeckung sprechen sollte, denn die Ordnung ist "von der Natur vorgegeben", sagt Carola Pomplun vom GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt, mit dessen Teilchenbeschleuniger Wissenschaftler versuchen, neue chemische Elemente herzustellen.

So einen Ordnungssinn kennt man eigentlich gar nicht aus der Natur. 118 Elemente, fein säuberlich durchnummeriert, sortieren sich in sieben Reihen (oder Perioden) mit regelmäßig wiederkehrenden ähnlichen Eigenschaften. Das zumindest hatte Döbereiner richtig erkannt.

Oben links steht das leichteste, einfachste Element, Wasserstoff mit der Ordnungszahl 1, die auch die Zahl der positiv geladenen Protonen im Atomkern angibt. Unten rechts Oganesson, mit der Ordnungszahl 118 das bislang schwerste Atom. In der Natur kommt es nicht vor, Kernphysiker können es nur im Labor für Sekundenbruchteile herstellen. Oganesson hat mit einer Halbwertszeit von 0,89 Millisekunden ein sehr kurzes Leben.

Carola Pomplun vergleicht ein solches Experiment mit dem Versuch, einen Kirschkern auf einem Fußballfeld mit einem weiteren Kirschkern zu treffen, wobei sich das Projektil mit zehn Prozent der Lichtgeschwindigkeit bewegt. Die Energie der Partikel muss hoch sein, denn die Kerne sind positiv geladen und stoßen sich ab wie zwei gleich gepolte Magneten. Deshalb ist die Gewalt eines Teilchenbeschleunigers nötig, um die Atomkerne zu vereinen.

Um Oganesson herzustellen, beschossen Physiker eine Probe des ebenfalls künstlichen Elements Californium (Ordnungszahl 98) mit Calcium-Ionen (Ordnungszahl 20). Das ergibt zusammen die 118 Protonen des Oganesson-Atoms. Große Mengen der neuen Materie entstehen auf diesem Wege nicht, sagt Pomplun. "Man kann die Zahl der Atome, die bei so einer Kollision entstehen, an zwei Händen abzählen."

Eigentlich müsste es eine weitere Insel der Stabilität geben, so um das Element 164 herum

Berechnungen zufolge könnte es auch noch eine achte Periode geben. Die Elemente 120 und 126 könnten sogar deutlich stabiler sein als ihre direkten Nachbarn, möglicherweise mehrere Jahre. Der russische Kernphysiker Juri Oganesjan, dessen Team im Jahr 2006 zum ersten Mal das Element 118 erschuf, glaubt sogar an eine weitere "Insel der Stabilität" um das Element 164 herum. Doch um die zu erreichen - falls es sie überhaupt gibt - müssten er und seine Kollegen nicht nur die Natur der Materie noch besser verstehen, sondern auch noch deutlich stärkere Teilchenbeschleuniger bauen.

Bislang ist das Spekulation. Doch Kernphysiker haben bereits viele Elemente des Periodensystems künstlich erschaffen. Die Liste der natürlich vorkommenden Elemente endet bei der Ordnungszahl 94, Plutonium. Alle Elemente darüber hinaus wurden bislang nur von Menschen gemacht. Das gilt zumindest für das Sonnensystem. Aber es ist unwahrscheinlich, dass irgendwo im Universum bedeutsame Lagerstätten dieser superschweren Elemente existieren. Als Faustregel gilt: je höher die Ordnungszahl, desto seltener das Element.

Das hängt mit der Entstehung der Elemente zusammen. Die waren nicht plötzlich mit dem Urknall da und haben sich dann im Weltall verteilt. Am Anfang gab es nur die leichten Atome Wasserstoff und Helium. Alle schweren Element entstanden durch Kernreaktionen in den Sternen oder indem bestehende Atome Elementarteilchen einfingen, die zum Beispiel ein explodierender Stern herausschleuderte. So gesehen besteht alles auf der Erde, die Brandbomben und die Luftballons, die Menschen und die Tiere, nur aus Sternenstaub.

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Quelle:
SZ vom 28.01.2017/chrb
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