Patienteninformation:Die Kunst, einen Fehler nachzuweisen

Welchen Weg Patienten gehen sollen, wenn sie erfolgreich Schadensersatz wegen schlechter ärztlicher Behandlung erstreiten wollen.

Nina von Hardenberg

Fünf Millionen Euro - das ist die höchste bekanntgewordene Entschädigung, die je in Deutschland nach einem Kunstfehler gezahlt wurde. Im Oktober 2005 erhielt sie die Familie eines Münchner Spitzen-Managers, der bei einer Operation im Rachenraum einen Erstickungsanfall hatte und schwer hirngeschädigt wurde.

Der damals 43-jährige Vater von zwei Kindern litt unter starkem Schnarchen und Atemaussetzern und hatte sich deshalb dem Eingriff unterzogen. Heute lebt er als Wachkomapatient in einem Pflegeheim. Nach einem Vergleich vor dem Landgericht München zahlten die Versicherungen der beteiligten Ärzte der Familie die Millionensumme. Ein großer juristischer Erfolg - in dieser Höhe hierzulande aber eher ein Einzelfall.

Längst nicht allen Opfern von Behandlungsfehlern gelingt es, ihre Ansprüche auf Entschädigung derart erfolgreich gelten zu machen. Zwar bemüht sich die Ärzteschaft seit einigen Jahren um einen offeneren Umgang mit Fehlern. Doch in der Praxis ist es vom Aufdecken eines Fehlers bis zum Schadensersatz ein weiter Weg. "Es ist oft schwer zu beweisen, dass ein Schaden tatsächlich durch den ärztlichen Fehler entstanden ist", erklärt die Münchner Medizinrechtlerin Beate Steldinger, die auch die Familie des HNO-Patienten vertreten hat.

So gibt es bei vielen Operationen immanente Risiken, über die der Patient aufgeklärt wird. Bei einer Bauchoperationen kann es etwa zu Darmverletzungen kommen. Unterläuft dem Arzt nun bei einer solchen Operation ein Fehler, so beweist das noch lange nicht, dass dieses Missgeschick für den Darmriss verantwortlich ist.

"Am Ende verliert deshalb zumeist die Partei, die die Beweislast trägt, die also den Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden nachweisen muss", sagt Steldinger. Wer das ist, hängt von der Schwere des Fehlers ab. Bei einfachen Fehlern, wie einer Abweichung vom medizinischen Standard, muss der Patient begründen, dass ihm durch den Fehler ein Schaden entstanden ist. Für grobe Behandlungsfehler gilt dagegen die Umgekehr der Beweislast. Der Arzt muss seine Unschuld beweisen. Von einem groben Behandlungsfehler spricht man, wenn das Vorgehen für einen Fachkollegen schlechterdings nicht mehr nachzuvollziehen ist.

Zuerst an die Krankenkasse wenden

Patienten, die den Verdacht hegen, dass ihrem Arzt ein Kunstfehler unterlaufen ist, sollten sich zuerst an ihre gesetzliche Krankenversicherung wenden. Die Krankenkassen prüfen solche Fälle in der Regel kostenlos, denn sie haben ein Eigeninteresse daran, Fehler aufzudecken: Hat der Arzt fehlerhaft gehandelt, kann die Versicherung des Patienten die Behandlungskosten von der Haftpflichtversicherung des Arztes zurückfordern.

So hat etwa die AOK ein Behandlungsfehler-Management eingerichtet, das Patienten dabei unterstützt, Gutachten erstellen zu lassen. Patienten würden dieses Angebot zunehmend häufiger nutzen und sich informieren, sagt Kai Kolpatzig, der die AOK im Aktionsbündnis Patientensicherheit vertritt. "Die Patienten werden selbstbewusster und mündiger."

Neben den Krankenkassen können sich Patienten auch direkt an die Ärztekammern wenden. Die dort eingerichteten Schlichtungsstellen versuchen, Streitigkeiten außergerichtlich zu regeln. Das Verfahren ist häufig schneller als ein Gerichtsprozess und es ist gebührenfrei, was für Patienten ohne Rechtschutzversicherung wichtig ist. Nach Angaben der Bundesärztekammer werden die Entscheidungen der Schlichtungsstellen in 90 Prozent der Fälle von beiden Parteien akzeptiert.

Auch Anwälte legen viele Prozesse außergerichtlich bei. Die Münchner Medizinrechtskanzlei Putz & Steldinger gibt an, dass mehr als 90 Prozent ihrer Verfahren so enden. Für eine außergerichtliche Lösung spricht häufig die Verfahrensdauer. "Wenn Sie vor Gericht ziehen, müssen Sie mindestens mit einem Jahr rechnen", sagt Steldinger.

Das Verfahren des Münchner HNO-Patienten dauerte sogar ganze acht Jahre. Die hohe Entschädigung, die er schließlich erhielt, verdankt die Familie auch dem guten Einkommen des Managers. Bei der Berechnung der Entschädigung werden Schmerzensgeld, Behandlungskosten, Verdienstausfall sowie der Unterhalt für Familienmitglieder berücksichtigt.

Bei der Auswahl der Kanzlei sollten Patienten darauf achten, dass die Anwälte auf Medizinrecht spezialisiert sind und mit Ärzten zusammenarbeiten, rät die Juristin Steldinger. Auch sollte das Verfahren nicht zu lange aufgeschoben werden, denn ein Kunstfehler verjährt nach drei Jahren.

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